fisch constituirten Materie selbst. Die Erblichkeit der Organismen wirkt vollkommen aequivalent der atomistischen Constitution der An- organe; hier wie dort ist es die Materie, welche sämmtliche allgemei- nen Functionen (die Lebenserscheinungen der Organismen, die physi- kalischen und chemischen Kräfte der Anorgane) unmittelbar als Causa efficiens mit absoluter Nothwendigkeit bedingt.
Diesem mächtigen gestaltenden Princip, welches der Materie des sich bildenden Individuums (gleicherweise des Krystalls wie des Or- ganismus) unmittelbar inhärirt, und welches wir demgemäss allgemein als die innere Gestaltungskraft oder den inneren Bildungstrieb bezeichnen werden, wirkt nun beständig und überall entgegen die zweite formbildende Macht, welche die zahllosen Eigenthümlichkeiten der individuellen Bildungen bedingt, durch die sich alle Einzelwesen jeder Art von einander unterscheiden. Diese nicht minder wichtige Function des werdenden, des sich gestaltenden Individuums können wir allgemein als Anpassung (Adaptatio, Accommodatio) bezeichnen, oder, im Gegensatz zu ihrem Antagonisten, als äussere Gestaltungs- kraft oder äusseren Bildungstrieb. Die allgemeine Existenz und Wirksamkeit dieser formbildenden Potenz wird einfach durch die That- sache bedingt, dass kein einziger Naturkörper isolirt im Raume sich bildet und existirt, dass vielmehr sämmtliche Naturkörper sich bilden und existiren in Wechselwirkung mit den anderen Naturkörpern, welche sie unmittelbar von allen Seiten umgeben. Die allgemeine Wech- selwirkung der gesammten Materie tritt uns hier als eines der obersten und wichtigsten Naturgesetze gegenüber, welches unmittelbar mit dem allgemeinen Causalgesetze zusammenhängt. Die innere Ge- staltungskraft jedes Theils der Materie, der innere Bildungstrieb jedes einzelnen Naturkörpers, als die aus ihrer atomistischen Constitution unmittelbar entspringende Kraftsumme kann niemals rein und unge- stört die individuelle Bildung vollenden. Denn beständig wird sie ge- stört von der entgegenwirkenden äusseren Gestaltungskraft der um- schliessenden Materie, von dem äusseren Bildungstriebe aller einzelnen Naturkörper, welche sie unmittelbar oder mittelbar umgeben. Da nun die Summe dieser von aussen einwirkenden Kräfte überall eine ver- schiedenartige, überall aus verschiedenen Componenten zusammenge- setzt ist, so muss auch ihre Wirkung auf ein und dieselbe Materie in jedem individuellen Falle verschieden sein, und lediglich diese Wechsel- wirkung jedes Individuums mit seiner gesammten Umgebung ist es, welche als Anpassung seine besonderen individuellen Charactere bedingt.
Versuchen wir diese äusserst wichtigen Fundamental-Verhältnisse der gesammten Körperwelt, welche für die anorganische und die or- ganische Natur ganz gleiche Geltung haben, als allgemeines Gesetz zu formuliren, so liesse sich dieses etwa in folgenden Worten aus-
Organismen und Anorgane.
fisch constituirten Materie selbst. Die Erblichkeit der Organismen wirkt vollkommen aequivalent der atomistischen Constitution der An- organe; hier wie dort ist es die Materie, welche sämmtliche allgemei- nen Functionen (die Lebenserscheinungen der Organismen, die physi- kalischen und chemischen Kräfte der Anorgane) unmittelbar als Causa efficiens mit absoluter Nothwendigkeit bedingt.
Diesem mächtigen gestaltenden Princip, welches der Materie des sich bildenden Individuums (gleicherweise des Krystalls wie des Or- ganismus) unmittelbar inhärirt, und welches wir demgemäss allgemein als die innere Gestaltungskraft oder den inneren Bildungstrieb bezeichnen werden, wirkt nun beständig und überall entgegen die zweite formbildende Macht, welche die zahllosen Eigenthümlichkeiten der individuellen Bildungen bedingt, durch die sich alle Einzelwesen jeder Art von einander unterscheiden. Diese nicht minder wichtige Function des werdenden, des sich gestaltenden Individuums können wir allgemein als Anpassung (Adaptatio, Accommodatio) bezeichnen, oder, im Gegensatz zu ihrem Antagonisten, als äussere Gestaltungs- kraft oder äusseren Bildungstrieb. Die allgemeine Existenz und Wirksamkeit dieser formbildenden Potenz wird einfach durch die That- sache bedingt, dass kein einziger Naturkörper isolirt im Raume sich bildet und existirt, dass vielmehr sämmtliche Naturkörper sich bilden und existiren in Wechselwirkung mit den anderen Naturkörpern, welche sie unmittelbar von allen Seiten umgeben. Die allgemeine Wech- selwirkung der gesammten Materie tritt uns hier als eines der obersten und wichtigsten Naturgesetze gegenüber, welches unmittelbar mit dem allgemeinen Causalgesetze zusammenhängt. Die innere Ge- staltungskraft jedes Theils der Materie, der innere Bildungstrieb jedes einzelnen Naturkörpers, als die aus ihrer atomistischen Constitution unmittelbar entspringende Kraftsumme kann niemals rein und unge- stört die individuelle Bildung vollenden. Denn beständig wird sie ge- stört von der entgegenwirkenden äusseren Gestaltungskraft der um- schliessenden Materie, von dem äusseren Bildungstriebe aller einzelnen Naturkörper, welche sie unmittelbar oder mittelbar umgeben. Da nun die Summe dieser von aussen einwirkenden Kräfte überall eine ver- schiedenartige, überall aus verschiedenen Componenten zusammenge- setzt ist, so muss auch ihre Wirkung auf ein und dieselbe Materie in jedem individuellen Falle verschieden sein, und lediglich diese Wechsel- wirkung jedes Individuums mit seiner gesammten Umgebung ist es, welche als Anpassung seine besonderen individuellen Charactere bedingt.
Versuchen wir diese äusserst wichtigen Fundamental-Verhältnisse der gesammten Körperwelt, welche für die anorganische und die or- ganische Natur ganz gleiche Geltung haben, als allgemeines Gesetz zu formuliren, so liesse sich dieses etwa in folgenden Worten aus-
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Organismen und Anorgane.
fisch constituirten Materie selbst. Die Erblichkeit der Organismen
wirkt vollkommen aequivalent der atomistischen Constitution der An-
organe; hier wie dort ist es die Materie, welche sämmtliche allgemei-
nen Functionen (die Lebenserscheinungen der Organismen, die physi-
kalischen und chemischen Kräfte der Anorgane) unmittelbar als Causa
efficiens mit absoluter Nothwendigkeit bedingt.
Diesem mächtigen gestaltenden Princip, welches der Materie des
sich bildenden Individuums (gleicherweise des Krystalls wie des Or-
ganismus) unmittelbar inhärirt, und welches wir demgemäss allgemein
als die innere Gestaltungskraft oder den inneren Bildungstrieb
bezeichnen werden, wirkt nun beständig und überall entgegen die
zweite formbildende Macht, welche die zahllosen Eigenthümlichkeiten
der individuellen Bildungen bedingt, durch die sich alle Einzelwesen
jeder Art von einander unterscheiden. Diese nicht minder wichtige
Function des werdenden, des sich gestaltenden Individuums können wir
allgemein als Anpassung (Adaptatio, Accommodatio) bezeichnen,
oder, im Gegensatz zu ihrem Antagonisten, als äussere Gestaltungs-
kraft oder äusseren Bildungstrieb. Die allgemeine Existenz und
Wirksamkeit dieser formbildenden Potenz wird einfach durch die That-
sache bedingt, dass kein einziger Naturkörper isolirt im Raume sich
bildet und existirt, dass vielmehr sämmtliche Naturkörper sich bilden
und existiren in Wechselwirkung mit den anderen Naturkörpern, welche
sie unmittelbar von allen Seiten umgeben. Die allgemeine Wech-
selwirkung der gesammten Materie tritt uns hier als eines der
obersten und wichtigsten Naturgesetze gegenüber, welches unmittelbar
mit dem allgemeinen Causalgesetze zusammenhängt. Die innere Ge-
staltungskraft jedes Theils der Materie, der innere Bildungstrieb jedes
einzelnen Naturkörpers, als die aus ihrer atomistischen Constitution
unmittelbar entspringende Kraftsumme kann niemals rein und unge-
stört die individuelle Bildung vollenden. Denn beständig wird sie ge-
stört von der entgegenwirkenden äusseren Gestaltungskraft der um-
schliessenden Materie, von dem äusseren Bildungstriebe aller einzelnen
Naturkörper, welche sie unmittelbar oder mittelbar umgeben. Da nun
die Summe dieser von aussen einwirkenden Kräfte überall eine ver-
schiedenartige, überall aus verschiedenen Componenten zusammenge-
setzt ist, so muss auch ihre Wirkung auf ein und dieselbe Materie in
jedem individuellen Falle verschieden sein, und lediglich diese Wechsel-
wirkung jedes Individuums mit seiner gesammten Umgebung ist es, welche
als Anpassung seine besonderen individuellen Charactere bedingt.
Versuchen wir diese äusserst wichtigen Fundamental-Verhältnisse
der gesammten Körperwelt, welche für die anorganische und die or-
ganische Natur ganz gleiche Geltung haben, als allgemeines Gesetz
zu formuliren, so liesse sich dieses etwa in folgenden Worten aus-
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/193>, abgerufen am 28.11.2024.
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