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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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III. Organische und anorganische Kräfte.
III) 3. Selbsterhaltung der organischen und anorganischen
Individuen.

Gleich der Kraft des Wachsthums ist auch die Kraft der Selbst-
erhaltung eine allgemeine Function der Naturkörper. Jedes organische
und jedes anorganische Individuum erhält sich einen beschränkten
Zeitraum hindurch selbst, so lange nämlich, als es die Wechselwirkung
seiner eigenen Materie mit derjenigen seiner Umgebung gestattet.

Die Thätigkeit der Selbsterhaltung ist nun zwar allen Naturkörpern
gemeinsam, äussert sich aber doch bei den organischen und anorgani-
schen Individuen in sehr verschiedenen Erscheinungen. Bei den Orga-
nismen ruft dieselbe die verwickelten Bewegungserscheinungen der
Ernährung oder des Stoffwechsels hervor. Diese Functionen sind
für den Bestand des organischen Individuums ebenso wie für seine
sämmtlichen übrigen Lebenserscheinungen die nothwendige Unterlage.
Denn alle anderen Functionen, Willensbewegung und Empfindung,
Sinnesthätigkeit und Fortpflanzung, beruhen auf molekularen Bewegungs-
Erscheinungen, welche erst durch den Stoffwechsel und die Ernährung
möglich werden. Alle diese Bewegungen beruhen im Grunde darauf,
dass durch Bildung chemischer Verbindungen gewisse bewegende
Kräfte frei werden, welche in den unverbundenen Materien gebunden
waren, darauf also, dass gebundene oder Spann-Kräfte in leben-
dige Kräfte
übergehen.1) Der Vorrath an Spannkraft, welcher bei
dem Uebergang in lebendige Kraft verbraucht wurde, muss ersetzt
werden, wenn das organische Individuum weiter existiren soll, und
dieser nothwendige Ersatz wird durch die Ernährung geliefert. Die
Ernährung beruht nun wieder, wie das Wachsthum der Organismen,
darauf, dass die neu erworbenen, assimilirten Moleküle in das Innere
des Körpers hineingeführt werden und hier die Stelle derjenigen Mole-
küle einnehmen, welche bei der Arbeitsleistung des Organismus ver-
braucht wurden. Diese Einführung neuer Substanz und ihre Assimi-
lation, welche das Wesen der Ernährung ausmacht, ist wieder nur
möglich mittelst des festflüssigen Aggregatzustandes, und es erklärt
sich hieraus, warum die anorganischen Individuen der Ernährung nicht
fähig sind. Sie sind ihrer aber auch nicht bedürftig. Sämmtliche be-
lebte Naturkörper existiren nur, sie können ihre Existenz nur behaupten,
indem sie sich beständig, wenn auch langsam zersetzen; alle sind sie
eingeschlossen in ein Medium (Luft, Wasser, Inneres eines anderen Or-
ganismus), in welchem sie sich nothwendig zersetzen müssen. Denn die
Bildung der Verbindungen, durch welche die lebendigen Kräfte frei

1) Ueber das äusserst wichtige Verhältniss der gebundenen oder potentiellen
(Spann-)Kräfte zu den lebendigen oder actuellen (Bewegungs-)Kräften, auf welchem
der Kraftwechsel in der gesammten Natur beruht, vergl. H. Helmholtz: Ueber
die Wechselwirkung der Naturkräfte. Königsberg. 1854.
III. Organische und anorganische Kräfte.
III) 3. Selbsterhaltung der organischen und anorganischen
Individuen.

Gleich der Kraft des Wachsthums ist auch die Kraft der Selbst-
erhaltung eine allgemeine Function der Naturkörper. Jedes organische
und jedes anorganische Individuum erhält sich einen beschränkten
Zeitraum hindurch selbst, so lange nämlich, als es die Wechselwirkung
seiner eigenen Materie mit derjenigen seiner Umgebung gestattet.

Die Thätigkeit der Selbsterhaltung ist nun zwar allen Naturkörpern
gemeinsam, äussert sich aber doch bei den organischen und anorgani-
schen Individuen in sehr verschiedenen Erscheinungen. Bei den Orga-
nismen ruft dieselbe die verwickelten Bewegungserscheinungen der
Ernährung oder des Stoffwechsels hervor. Diese Functionen sind
für den Bestand des organischen Individuums ebenso wie für seine
sämmtlichen übrigen Lebenserscheinungen die nothwendige Unterlage.
Denn alle anderen Functionen, Willensbewegung und Empfindung,
Sinnesthätigkeit und Fortpflanzung, beruhen auf molekularen Bewegungs-
Erscheinungen, welche erst durch den Stoffwechsel und die Ernährung
möglich werden. Alle diese Bewegungen beruhen im Grunde darauf,
dass durch Bildung chemischer Verbindungen gewisse bewegende
Kräfte frei werden, welche in den unverbundenen Materien gebunden
waren, darauf also, dass gebundene oder Spann-Kräfte in leben-
dige Kräfte
übergehen.1) Der Vorrath an Spannkraft, welcher bei
dem Uebergang in lebendige Kraft verbraucht wurde, muss ersetzt
werden, wenn das organische Individuum weiter existiren soll, und
dieser nothwendige Ersatz wird durch die Ernährung geliefert. Die
Ernährung beruht nun wieder, wie das Wachsthum der Organismen,
darauf, dass die neu erworbenen, assimilirten Moleküle in das Innere
des Körpers hineingeführt werden und hier die Stelle derjenigen Mole-
küle einnehmen, welche bei der Arbeitsleistung des Organismus ver-
braucht wurden. Diese Einführung neuer Substanz und ihre Assimi-
lation, welche das Wesen der Ernährung ausmacht, ist wieder nur
möglich mittelst des festflüssigen Aggregatzustandes, und es erklärt
sich hieraus, warum die anorganischen Individuen der Ernährung nicht
fähig sind. Sie sind ihrer aber auch nicht bedürftig. Sämmtliche be-
lebte Naturkörper existiren nur, sie können ihre Existenz nur behaupten,
indem sie sich beständig, wenn auch langsam zersetzen; alle sind sie
eingeschlossen in ein Medium (Luft, Wasser, Inneres eines anderen Or-
ganismus), in welchem sie sich nothwendig zersetzen müssen. Denn die
Bildung der Verbindungen, durch welche die lebendigen Kräfte frei

1) Ueber das äusserst wichtige Verhältniss der gebundenen oder potentiellen
(Spann-)Kräfte zu den lebendigen oder actuellen (Bewegungs-)Kräften, auf welchem
der Kraftwechsel in der gesammten Natur beruht, vergl. H. Helmholtz: Ueber
die Wechselwirkung der Naturkräfte. Königsberg. 1854.
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[149/0188] III. Organische und anorganische Kräfte. III) 3. Selbsterhaltung der organischen und anorganischen Individuen. Gleich der Kraft des Wachsthums ist auch die Kraft der Selbst- erhaltung eine allgemeine Function der Naturkörper. Jedes organische und jedes anorganische Individuum erhält sich einen beschränkten Zeitraum hindurch selbst, so lange nämlich, als es die Wechselwirkung seiner eigenen Materie mit derjenigen seiner Umgebung gestattet. Die Thätigkeit der Selbsterhaltung ist nun zwar allen Naturkörpern gemeinsam, äussert sich aber doch bei den organischen und anorgani- schen Individuen in sehr verschiedenen Erscheinungen. Bei den Orga- nismen ruft dieselbe die verwickelten Bewegungserscheinungen der Ernährung oder des Stoffwechsels hervor. Diese Functionen sind für den Bestand des organischen Individuums ebenso wie für seine sämmtlichen übrigen Lebenserscheinungen die nothwendige Unterlage. Denn alle anderen Functionen, Willensbewegung und Empfindung, Sinnesthätigkeit und Fortpflanzung, beruhen auf molekularen Bewegungs- Erscheinungen, welche erst durch den Stoffwechsel und die Ernährung möglich werden. Alle diese Bewegungen beruhen im Grunde darauf, dass durch Bildung chemischer Verbindungen gewisse bewegende Kräfte frei werden, welche in den unverbundenen Materien gebunden waren, darauf also, dass gebundene oder Spann-Kräfte in leben- dige Kräfte übergehen. 1) Der Vorrath an Spannkraft, welcher bei dem Uebergang in lebendige Kraft verbraucht wurde, muss ersetzt werden, wenn das organische Individuum weiter existiren soll, und dieser nothwendige Ersatz wird durch die Ernährung geliefert. Die Ernährung beruht nun wieder, wie das Wachsthum der Organismen, darauf, dass die neu erworbenen, assimilirten Moleküle in das Innere des Körpers hineingeführt werden und hier die Stelle derjenigen Mole- küle einnehmen, welche bei der Arbeitsleistung des Organismus ver- braucht wurden. Diese Einführung neuer Substanz und ihre Assimi- lation, welche das Wesen der Ernährung ausmacht, ist wieder nur möglich mittelst des festflüssigen Aggregatzustandes, und es erklärt sich hieraus, warum die anorganischen Individuen der Ernährung nicht fähig sind. Sie sind ihrer aber auch nicht bedürftig. Sämmtliche be- lebte Naturkörper existiren nur, sie können ihre Existenz nur behaupten, indem sie sich beständig, wenn auch langsam zersetzen; alle sind sie eingeschlossen in ein Medium (Luft, Wasser, Inneres eines anderen Or- ganismus), in welchem sie sich nothwendig zersetzen müssen. Denn die Bildung der Verbindungen, durch welche die lebendigen Kräfte frei 1) Ueber das äusserst wichtige Verhältniss der gebundenen oder potentiellen (Spann-)Kräfte zu den lebendigen oder actuellen (Bewegungs-)Kräften, auf welchem der Kraftwechsel in der gesammten Natur beruht, vergl. H. Helmholtz: Ueber die Wechselwirkung der Naturkräfte. Königsberg. 1854.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/188>, abgerufen am 27.11.2024.