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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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III. Organische und anorganische Kräfte.
gleicher Weise für die Organismen wie für die Anorgane gelten und
wird namentlich dann zu berücksichtigen sein, wenn es sich um die
Autogonie der Moneren handelt, welche offenbar ein der primitiven
Krystallbildung in der Mutterlauge ganz analoger Process ist.

Wenn wir nach diesen Ausführungen nochmals die wesentlichen Vor-
gänge, welche das Wachsthum der Naturkörper bedingen, vergleichend
überblicken, so gelangen wir zu dem Resultate, dass dieselben überall, in
der anorganischen wie in der organischen Natur, auf denselben einfachen
und grossen Gesetzen beruhen, vor Allem auf den Gesetzen der gleichartigen
Massen-Anziehung und der chemischen Wahlverwandtschaft. Jede Wachs-
thumserscheinung des lebenden Individuums, wie des leblosen Krystalls,
beruht darauf, dass ein bereits vorhandener fester Körper gleichartige
Materie anzieht, und sie nöthigt, aus dem flüssigen in den festflüssigen oder
in den festen Aggregatzustand überzugehen, und dabei zugleich sich mit
ihm zu verbinden. Die auffallenden Unterschiede, welche sich weiterhin
im Wachsthum der Organismen und der Anorgane zeigen, lassen sich alle
auf die Verschiedenheit des materiellen Substrats reduciren, nämlich auf den
festflüssigen Aggregatzustand, welcher den Organismen allein eigenthüm-
lich ist, und welcher seinerseits wieder bedingt ist durch die verwickelten
Verbindungen, welche der Kohlenstoff, als das vorzugsweise organogene
Element, mit den verschiedenen anderen Atom-Arten eingehen kann. Wir
müssen annehmen, dass allein aus diesen wichtigen Differenzen in der
chemischen Zusammensetzung und dem Aggregatzustande die Hauptver-
schiedenheiten im Wachsthum der Organismen und Anorgane abzuleiten sind.
Der feste Aggregatzustand der anorganischen Individuen, und zunächst der
Krystalle, erlaubt nur ein Wachsthum durch Apposition von aussen, wäh-
rend der festflüssige Aggregatzustand der organischen Individuen (und zu-
nächst der einfachsten Urorganismen, der Moneren, weiterhin der Zellen etc.)
ein inneres Wachsthum durch Intussusception gestattet. Offenbar ist in
dieser Beziehung die innigere und festere Verbindung der Krystall-Mole-
küle, gegenüber der mehr lockeren und flüssigen Verbindung der Moneren-
Moleküle von der grössten Bedeutung. In den Krystallen liegen die Mole-
küle der festen Materie und des daran chemisch gebundenen festen Was-
sers (des Krystallwassers) so nahe bei einander, dass sie nicht ihre gegen-
seitige Lage und Entfernung verändern können, ohne die Existenz des an-

forderlich ist, als zum Wachsthum einer schon gebildeten Zelle. Bei der ge-
wöhnlichen Krystallisation muss die Auflösung mehr als gesättigt sein, wenn die
Krystallisation beginnen soll. Ist aber die Krystallisation vor sich gegangen,
so bleibt eine Mutterlange übrig, die nicht mehr bei dieser Temperatur gesättigt
ist. Dies ist ganz dasselbe Phaenomen, wie bei den Zellen; es zeigt, dass zum
Anfang der Krystallisation eine concentrirtere Auflösung erforderlich ist, als zum
Wachsthum der schon gebildeten Krystalle." Offenbar stehen wir hier vor einem,
übrigens noch wenig beachteten und nicht gehörig formulirten Grundgesetz der
Materie, welches bei jeder Formbildung, bei jedem Uebergang flüssiger, form-
loser Materie in feste oder festflüssige geformte Materie, von der grössten Be-
deutung ist.
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gleicher Weise für die Organismen wie für die Anorgane gelten und
wird namentlich dann zu berücksichtigen sein, wenn es sich um die
Autogonie der Moneren handelt, welche offenbar ein der primitiven
Krystallbildung in der Mutterlauge ganz analoger Process ist.

Wenn wir nach diesen Ausführungen nochmals die wesentlichen Vor-
gänge, welche das Wachsthum der Naturkörper bedingen, vergleichend
überblicken, so gelangen wir zu dem Resultate, dass dieselben überall, in
der anorganischen wie in der organischen Natur, auf denselben einfachen
und grossen Gesetzen beruhen, vor Allem auf den Gesetzen der gleichartigen
Massen-Anziehung und der chemischen Wahlverwandtschaft. Jede Wachs-
thumserscheinung des lebenden Individuums, wie des leblosen Krystalls,
beruht darauf, dass ein bereits vorhandener fester Körper gleichartige
Materie anzieht, und sie nöthigt, aus dem flüssigen in den festflüssigen oder
in den festen Aggregatzustand überzugehen, und dabei zugleich sich mit
ihm zu verbinden. Die auffallenden Unterschiede, welche sich weiterhin
im Wachsthum der Organismen und der Anorgane zeigen, lassen sich alle
auf die Verschiedenheit des materiellen Substrats reduciren, nämlich auf den
festflüssigen Aggregatzustand, welcher den Organismen allein eigenthüm-
lich ist, und welcher seinerseits wieder bedingt ist durch die verwickelten
Verbindungen, welche der Kohlenstoff, als das vorzugsweise organogene
Element, mit den verschiedenen anderen Atom-Arten eingehen kann. Wir
müssen annehmen, dass allein aus diesen wichtigen Differenzen in der
chemischen Zusammensetzung und dem Aggregatzustande die Hauptver-
schiedenheiten im Wachsthum der Organismen und Anorgane abzuleiten sind.
Der feste Aggregatzustand der anorganischen Individuen, und zunächst der
Krystalle, erlaubt nur ein Wachsthum durch Apposition von aussen, wäh-
rend der festflüssige Aggregatzustand der organischen Individuen (und zu-
nächst der einfachsten Urorganismen, der Moneren, weiterhin der Zellen etc.)
ein inneres Wachsthum durch Intussusception gestattet. Offenbar ist in
dieser Beziehung die innigere und festere Verbindung der Krystall-Mole-
küle, gegenüber der mehr lockeren und flüssigen Verbindung der Moneren-
Moleküle von der grössten Bedeutung. In den Krystallen liegen die Mole-
küle der festen Materie und des daran chemisch gebundenen festen Was-
sers (des Krystallwassers) so nahe bei einander, dass sie nicht ihre gegen-
seitige Lage und Entfernung verändern können, ohne die Existenz des an-

forderlich ist, als zum Wachsthum einer schon gebildeten Zelle. Bei der ge-
wöhnlichen Krystallisation muss die Auflösung mehr als gesättigt sein, wenn die
Krystallisation beginnen soll. Ist aber die Krystallisation vor sich gegangen,
so bleibt eine Mutterlange übrig, die nicht mehr bei dieser Temperatur gesättigt
ist. Dies ist ganz dasselbe Phaenomen, wie bei den Zellen; es zeigt, dass zum
Anfang der Krystallisation eine concentrirtere Auflösung erforderlich ist, als zum
Wachsthum der schon gebildeten Krystalle.“ Offenbar stehen wir hier vor einem,
übrigens noch wenig beachteten und nicht gehörig formulirten Grundgesetz der
Materie, welches bei jeder Formbildung, bei jedem Uebergang flüssiger, form-
loser Materie in feste oder festflüssige geformte Materie, von der grössten Be-
deutung ist.
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[147/0186] III. Organische und anorganische Kräfte. gleicher Weise für die Organismen wie für die Anorgane gelten und wird namentlich dann zu berücksichtigen sein, wenn es sich um die Autogonie der Moneren handelt, welche offenbar ein der primitiven Krystallbildung in der Mutterlauge ganz analoger Process ist. Wenn wir nach diesen Ausführungen nochmals die wesentlichen Vor- gänge, welche das Wachsthum der Naturkörper bedingen, vergleichend überblicken, so gelangen wir zu dem Resultate, dass dieselben überall, in der anorganischen wie in der organischen Natur, auf denselben einfachen und grossen Gesetzen beruhen, vor Allem auf den Gesetzen der gleichartigen Massen-Anziehung und der chemischen Wahlverwandtschaft. Jede Wachs- thumserscheinung des lebenden Individuums, wie des leblosen Krystalls, beruht darauf, dass ein bereits vorhandener fester Körper gleichartige Materie anzieht, und sie nöthigt, aus dem flüssigen in den festflüssigen oder in den festen Aggregatzustand überzugehen, und dabei zugleich sich mit ihm zu verbinden. Die auffallenden Unterschiede, welche sich weiterhin im Wachsthum der Organismen und der Anorgane zeigen, lassen sich alle auf die Verschiedenheit des materiellen Substrats reduciren, nämlich auf den festflüssigen Aggregatzustand, welcher den Organismen allein eigenthüm- lich ist, und welcher seinerseits wieder bedingt ist durch die verwickelten Verbindungen, welche der Kohlenstoff, als das vorzugsweise organogene Element, mit den verschiedenen anderen Atom-Arten eingehen kann. Wir müssen annehmen, dass allein aus diesen wichtigen Differenzen in der chemischen Zusammensetzung und dem Aggregatzustande die Hauptver- schiedenheiten im Wachsthum der Organismen und Anorgane abzuleiten sind. Der feste Aggregatzustand der anorganischen Individuen, und zunächst der Krystalle, erlaubt nur ein Wachsthum durch Apposition von aussen, wäh- rend der festflüssige Aggregatzustand der organischen Individuen (und zu- nächst der einfachsten Urorganismen, der Moneren, weiterhin der Zellen etc.) ein inneres Wachsthum durch Intussusception gestattet. Offenbar ist in dieser Beziehung die innigere und festere Verbindung der Krystall-Mole- küle, gegenüber der mehr lockeren und flüssigen Verbindung der Moneren- Moleküle von der grössten Bedeutung. In den Krystallen liegen die Mole- küle der festen Materie und des daran chemisch gebundenen festen Was- sers (des Krystallwassers) so nahe bei einander, dass sie nicht ihre gegen- seitige Lage und Entfernung verändern können, ohne die Existenz des an- 2) 2) forderlich ist, als zum Wachsthum einer schon gebildeten Zelle. Bei der ge- wöhnlichen Krystallisation muss die Auflösung mehr als gesättigt sein, wenn die Krystallisation beginnen soll. Ist aber die Krystallisation vor sich gegangen, so bleibt eine Mutterlange übrig, die nicht mehr bei dieser Temperatur gesättigt ist. Dies ist ganz dasselbe Phaenomen, wie bei den Zellen; es zeigt, dass zum Anfang der Krystallisation eine concentrirtere Auflösung erforderlich ist, als zum Wachsthum der schon gebildeten Krystalle.“ Offenbar stehen wir hier vor einem, übrigens noch wenig beachteten und nicht gehörig formulirten Grundgesetz der Materie, welches bei jeder Formbildung, bei jedem Uebergang flüssiger, form- loser Materie in feste oder festflüssige geformte Materie, von der grössten Be- deutung ist. 10*

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/186>, abgerufen am 27.11.2024.