schieht, sondern es bleibt flüssig, und bedingt durch seine eigenthüm- liche Verbindung mit der fest gewordenen organischen Materie den Imbibitionszustand des structurlosen Urwesens, und dadurch die blei- bende Beweglichkeit seiner inneren Bestandtheile, welche für alle weiteren Entwickelungs-Bewegungen desselben die erste Bedingung ist.
Sehen wir nun aber von diesen wichtigen Grundunterschieden im Aggregatzustande der Organismen und der Anorgane zunächst ab, so finden wir andererseits in dem Wesen der Wachsthums-Bewegungen, welche bei der Bildung der Krystalle und der einfachsten organischen Individuen, der Moneren, sich zeigen, die wichtigste Uebereinstimmung. Besonders ist hier als ein sehr wichtiger allgemeiner Character des Wachsthums hervorzuheben, dass in allen Fällen die Aneignung der zum Wachsthum dienenden Stoffe aus der umgebenden Mutterflüssigkeit mit einer gewissen Auswahl erfolgt. Sowohl der wachsende Krystall, als das wachsende Moner zieht, wie jede andere Cytode und wie jede Zelle, aus der umgebenden Ernährungsflüssigkeit nur diejenigen Substanzen an, welche es zu seinem individuellen Wachsthum braucht, und trifft daher, wenn viele verschiedene ernährende Substanzen unter einander in der Flüssigkeit gelöst sind, zwischen diesen eine bestimmte Auswahl. Bei der Krystallisation der Anorgane zeigt sich dieses Phä- nomen ganz einfach darin, dass, wenn in einer Mutterlauge viele ver- schiedene Salzlösungen unter einander gemischt sich befinden, beim Abdampfen derselben alle einzelnen Salze gesondert heraus krystalli- siren, indem das Gleiche stets das Gleiche anzieht. Beim Wachsthum aller Organismen zeigt sich dasselbe Grundgesetz in dem Phänomen der Assimilation, indem z. B. in einem Teiche, in welchem viele ein- zellige Algen und Protisten unter einander leben, jede nur diejenigen bestimmten Salze, diejenigen Quantitäten der organischen Verbindungs- Elemente in sich aufnimmt, welche zur Bildung von organischer Sub- stanz Ihresgleichen dienen. Offenbar beruht diese wichtige Erscheinung, welche die Gleichartigkeit der chemischen Substanz ganz ebenso in dem structurlosen Monere, wie in dem Krystalle bedingt, auf denselben Gesetzen der molekularen Anziehung und Abstossung. Dieselben Ge- setze der chemischen Wahlverwandtschaft und der physikalischen Massenanziehung bewirken zusammen in gleicher Weise das Wachs- thum der Organismen und der Anorgane.
Wenn wir uns nun von den structurlosen Moneren zu den höheren Organismen wenden, deren Leib aus einem Complex von differenzirten Zellen besteht, so finden wir auch hier dieselben einfachen und grossen Gesetze wirksam, und nur dadurch häufig sehr versteckt, dass die unendlich verwickeltere Zusammensetzung der höheren organischen Individuen aus sehr verschiedenartigen Theilen auch immer unendlich verwickeltere Bedingung des Wachsthums und der Stoffauswahl setzt.
Haeckel, Generelle Morphologie. 10
III. Organische und anorganische Kräfte.
schieht, sondern es bleibt flüssig, und bedingt durch seine eigenthüm- liche Verbindung mit der fest gewordenen organischen Materie den Imbibitionszustand des structurlosen Urwesens, und dadurch die blei- bende Beweglichkeit seiner inneren Bestandtheile, welche für alle weiteren Entwickelungs-Bewegungen desselben die erste Bedingung ist.
Sehen wir nun aber von diesen wichtigen Grundunterschieden im Aggregatzustande der Organismen und der Anorgane zunächst ab, so finden wir andererseits in dem Wesen der Wachsthums-Bewegungen, welche bei der Bildung der Krystalle und der einfachsten organischen Individuen, der Moneren, sich zeigen, die wichtigste Uebereinstimmung. Besonders ist hier als ein sehr wichtiger allgemeiner Character des Wachsthums hervorzuheben, dass in allen Fällen die Aneignung der zum Wachsthum dienenden Stoffe aus der umgebenden Mutterflüssigkeit mit einer gewissen Auswahl erfolgt. Sowohl der wachsende Krystall, als das wachsende Moner zieht, wie jede andere Cytode und wie jede Zelle, aus der umgebenden Ernährungsflüssigkeit nur diejenigen Substanzen an, welche es zu seinem individuellen Wachsthum braucht, und trifft daher, wenn viele verschiedene ernährende Substanzen unter einander in der Flüssigkeit gelöst sind, zwischen diesen eine bestimmte Auswahl. Bei der Krystallisation der Anorgane zeigt sich dieses Phä- nomen ganz einfach darin, dass, wenn in einer Mutterlauge viele ver- schiedene Salzlösungen unter einander gemischt sich befinden, beim Abdampfen derselben alle einzelnen Salze gesondert heraus krystalli- siren, indem das Gleiche stets das Gleiche anzieht. Beim Wachsthum aller Organismen zeigt sich dasselbe Grundgesetz in dem Phänomen der Assimilation, indem z. B. in einem Teiche, in welchem viele ein- zellige Algen und Protisten unter einander leben, jede nur diejenigen bestimmten Salze, diejenigen Quantitäten der organischen Verbindungs- Elemente in sich aufnimmt, welche zur Bildung von organischer Sub- stanz Ihresgleichen dienen. Offenbar beruht diese wichtige Erscheinung, welche die Gleichartigkeit der chemischen Substanz ganz ebenso in dem structurlosen Monere, wie in dem Krystalle bedingt, auf denselben Gesetzen der molekularen Anziehung und Abstossung. Dieselben Ge- setze der chemischen Wahlverwandtschaft und der physikalischen Massenanziehung bewirken zusammen in gleicher Weise das Wachs- thum der Organismen und der Anorgane.
Wenn wir uns nun von den structurlosen Moneren zu den höheren Organismen wenden, deren Leib aus einem Complex von differenzirten Zellen besteht, so finden wir auch hier dieselben einfachen und grossen Gesetze wirksam, und nur dadurch häufig sehr versteckt, dass die unendlich verwickeltere Zusammensetzung der höheren organischen Individuen aus sehr verschiedenartigen Theilen auch immer unendlich verwickeltere Bedingung des Wachsthums und der Stoffauswahl setzt.
Haeckel, Generelle Morphologie. 10
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III. Organische und anorganische Kräfte.
schieht, sondern es bleibt flüssig, und bedingt durch seine eigenthüm-
liche Verbindung mit der fest gewordenen organischen Materie den
Imbibitionszustand des structurlosen Urwesens, und dadurch die blei-
bende Beweglichkeit seiner inneren Bestandtheile, welche für alle
weiteren Entwickelungs-Bewegungen desselben die erste Bedingung ist.
Sehen wir nun aber von diesen wichtigen Grundunterschieden im
Aggregatzustande der Organismen und der Anorgane zunächst ab, so
finden wir andererseits in dem Wesen der Wachsthums-Bewegungen,
welche bei der Bildung der Krystalle und der einfachsten organischen
Individuen, der Moneren, sich zeigen, die wichtigste Uebereinstimmung.
Besonders ist hier als ein sehr wichtiger allgemeiner Character des
Wachsthums hervorzuheben, dass in allen Fällen die Aneignung der
zum Wachsthum dienenden Stoffe aus der umgebenden Mutterflüssigkeit
mit einer gewissen Auswahl erfolgt. Sowohl der wachsende Krystall,
als das wachsende Moner zieht, wie jede andere Cytode und wie
jede Zelle, aus der umgebenden Ernährungsflüssigkeit nur diejenigen
Substanzen an, welche es zu seinem individuellen Wachsthum braucht,
und trifft daher, wenn viele verschiedene ernährende Substanzen unter
einander in der Flüssigkeit gelöst sind, zwischen diesen eine bestimmte
Auswahl. Bei der Krystallisation der Anorgane zeigt sich dieses Phä-
nomen ganz einfach darin, dass, wenn in einer Mutterlauge viele ver-
schiedene Salzlösungen unter einander gemischt sich befinden, beim
Abdampfen derselben alle einzelnen Salze gesondert heraus krystalli-
siren, indem das Gleiche stets das Gleiche anzieht. Beim Wachsthum
aller Organismen zeigt sich dasselbe Grundgesetz in dem Phänomen
der Assimilation, indem z. B. in einem Teiche, in welchem viele ein-
zellige Algen und Protisten unter einander leben, jede nur diejenigen
bestimmten Salze, diejenigen Quantitäten der organischen Verbindungs-
Elemente in sich aufnimmt, welche zur Bildung von organischer Sub-
stanz Ihresgleichen dienen. Offenbar beruht diese wichtige Erscheinung,
welche die Gleichartigkeit der chemischen Substanz ganz ebenso in
dem structurlosen Monere, wie in dem Krystalle bedingt, auf denselben
Gesetzen der molekularen Anziehung und Abstossung. Dieselben Ge-
setze der chemischen Wahlverwandtschaft und der physikalischen
Massenanziehung bewirken zusammen in gleicher Weise das Wachs-
thum der Organismen und der Anorgane.
Wenn wir uns nun von den structurlosen Moneren zu den höheren
Organismen wenden, deren Leib aus einem Complex von differenzirten
Zellen besteht, so finden wir auch hier dieselben einfachen und grossen
Gesetze wirksam, und nur dadurch häufig sehr versteckt, dass die
unendlich verwickeltere Zusammensetzung der höheren organischen
Individuen aus sehr verschiedenartigen Theilen auch immer unendlich
verwickeltere Bedingung des Wachsthums und der Stoffauswahl setzt.
Haeckel, Generelle Morphologie. 10
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/184>, abgerufen am 27.11.2024.
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