einzelne, isolirt lebende Cytoden. Die Moneren behalten diesen Charakter zeitlebens, während derselbe in den Jugendzuständen der Myxomyceten, Rhizopoden und anderer Protisten nur vorübergehend auftritt. Wenn wir die Zusammensetzung des Körpers aus verschiedenartigen Theilen als Haupt-Character der Organismen hervorheben wollten, so würde die Kluft zwischen jenen einfachen, lebenden Plasmaklumpen und den höheren, aus Individuen verschiedener Ordnung zusammengesetzten Or- ganismen, viel grösser erscheinen, als die Kluft zwischen den ersteren einerseits und den Krystallen andererseits. Die Moneren stehen in dieser Beziehung wirklich auf der Grenze zwischen leblosen und leben- den Naturkörpern. Sie leben, aber ohne Organe des Lebens; alle Lebenserscheinungen, Ernährung und Fortpflanzung, Bewegung und Reizbarkeit, erscheinen hier lediglich als unmittelbare Ausflüsse der formlosen organischen Materie, einer Eiweiss-Verbindung.
Wir können demnach weder die Zusammensetzung des Körpers aus ungleichartigen Theilen (Organen etc.), noch auch nur die Zu- sammensetzung des Individuums aus mehreren gleichartigen Individuen niederer Ordnung, wie bisher geschehen, als allgemeinen Character der Organismen festhalten. Wir werden dies in Zukunft um so weni- ger können, als höchst wahrscheinlich eine vielseitigere Untersuchung der Anorgane nachweisen wird, dass auch hier bisweilen eine Zusam- mensetzung des Individuums aus mehreren Individuen niederer Ordnung vorkommt. Wir meinen hier die zusammengesetzten, theils rein kry- stallinischen, theils krystalloiden Bildungen, welche insbesondere das krystallisirende Wasser so leicht hervorbringt. Offenbar sind diese sehr mannichfaltigen, und oft äusserst zusammengesetzten Gestalten, welche wir als Eisblumen, Eisbäume etc. im Winter an unseren Fen- sterscheiben bewundern, und durch deren Namen schon das Volk gleichsam instinctiv ihre morphologische Aehnlichkeit mit Organismen andeutet, derartige "höhere, vollkommenere" Anorgane, bei welchen die complicirte Gestalt des Ganzen aus einer gesetzmässigen Ver- einigung untergeordneter Theile resultirt. Offenbar sind diese Eis- blumen, Eisblätter etc. nach bestimmten Gesetzen gebildet; es sind Aggregate von zahlreichen einzelnen Krystallen, von vielen Individuen niederer Ordnung, welche zur Bildung des höheren Ganzen sich ver- einigt haben. Eine bestimmte Summe von centralen Krystall-Indivi- duen bildet die Axe, um welche sich die peripherischen Individuen, bestimmten Anziehungs- und Abstossungs-Verhältnissen jener Axe ge- horchend, ansetzen. Bei den complicirteren Eisbäumen, welche den zusammengesetzteren Fiederblättern z. B. von Farrnen gleichen, scheint jede Fieder, jeder Seitenzweig der Hauptaxe selbst wieder die An- satzlinie für eine neue Reihe noch mehr untergeordneter Individuen werden zu können etc. Auch vielfach sonst finden wir solche ein-
Organismen und Anorgane.
einzelne, isolirt lebende Cytoden. Die Moneren behalten diesen Charakter zeitlebens, während derselbe in den Jugendzuständen der Myxomyceten, Rhizopoden und anderer Protisten nur vorübergehend auftritt. Wenn wir die Zusammensetzung des Körpers aus verschiedenartigen Theilen als Haupt-Character der Organismen hervorheben wollten, so würde die Kluft zwischen jenen einfachen, lebenden Plasmaklumpen und den höheren, aus Individuen verschiedener Ordnung zusammengesetzten Or- ganismen, viel grösser erscheinen, als die Kluft zwischen den ersteren einerseits und den Krystallen andererseits. Die Moneren stehen in dieser Beziehung wirklich auf der Grenze zwischen leblosen und leben- den Naturkörpern. Sie leben, aber ohne Organe des Lebens; alle Lebenserscheinungen, Ernährung und Fortpflanzung, Bewegung und Reizbarkeit, erscheinen hier lediglich als unmittelbare Ausflüsse der formlosen organischen Materie, einer Eiweiss-Verbindung.
Wir können demnach weder die Zusammensetzung des Körpers aus ungleichartigen Theilen (Organen etc.), noch auch nur die Zu- sammensetzung des Individuums aus mehreren gleichartigen Individuen niederer Ordnung, wie bisher geschehen, als allgemeinen Character der Organismen festhalten. Wir werden dies in Zukunft um so weni- ger können, als höchst wahrscheinlich eine vielseitigere Untersuchung der Anorgane nachweisen wird, dass auch hier bisweilen eine Zusam- mensetzung des Individuums aus mehreren Individuen niederer Ordnung vorkommt. Wir meinen hier die zusammengesetzten, theils rein kry- stallinischen, theils krystalloiden Bildungen, welche insbesondere das krystallisirende Wasser so leicht hervorbringt. Offenbar sind diese sehr mannichfaltigen, und oft äusserst zusammengesetzten Gestalten, welche wir als Eisblumen, Eisbäume etc. im Winter an unseren Fen- sterscheiben bewundern, und durch deren Namen schon das Volk gleichsam instinctiv ihre morphologische Aehnlichkeit mit Organismen andeutet, derartige „höhere, vollkommenere“ Anorgane, bei welchen die complicirte Gestalt des Ganzen aus einer gesetzmässigen Ver- einigung untergeordneter Theile resultirt. Offenbar sind diese Eis- blumen, Eisblätter etc. nach bestimmten Gesetzen gebildet; es sind Aggregate von zahlreichen einzelnen Krystallen, von vielen Individuen niederer Ordnung, welche zur Bildung des höheren Ganzen sich ver- einigt haben. Eine bestimmte Summe von centralen Krystall-Indivi- duen bildet die Axe, um welche sich die peripherischen Individuen, bestimmten Anziehungs- und Abstossungs-Verhältnissen jener Axe ge- horchend, ansetzen. Bei den complicirteren Eisbäumen, welche den zusammengesetzteren Fiederblättern z. B. von Farrnen gleichen, scheint jede Fieder, jeder Seitenzweig der Hauptaxe selbst wieder die An- satzlinie für eine neue Reihe noch mehr untergeordneter Individuen werden zu können etc. Auch vielfach sonst finden wir solche ein-
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Organismen und Anorgane.
einzelne, isolirt lebende Cytoden. Die Moneren behalten diesen Charakter
zeitlebens, während derselbe in den Jugendzuständen der Myxomyceten,
Rhizopoden und anderer Protisten nur vorübergehend auftritt. Wenn
wir die Zusammensetzung des Körpers aus verschiedenartigen Theilen
als Haupt-Character der Organismen hervorheben wollten, so würde
die Kluft zwischen jenen einfachen, lebenden Plasmaklumpen und den
höheren, aus Individuen verschiedener Ordnung zusammengesetzten Or-
ganismen, viel grösser erscheinen, als die Kluft zwischen den ersteren
einerseits und den Krystallen andererseits. Die Moneren stehen in
dieser Beziehung wirklich auf der Grenze zwischen leblosen und leben-
den Naturkörpern. Sie leben, aber ohne Organe des Lebens; alle
Lebenserscheinungen, Ernährung und Fortpflanzung, Bewegung und
Reizbarkeit, erscheinen hier lediglich als unmittelbare Ausflüsse der
formlosen organischen Materie, einer Eiweiss-Verbindung.
Wir können demnach weder die Zusammensetzung des Körpers
aus ungleichartigen Theilen (Organen etc.), noch auch nur die Zu-
sammensetzung des Individuums aus mehreren gleichartigen Individuen
niederer Ordnung, wie bisher geschehen, als allgemeinen Character
der Organismen festhalten. Wir werden dies in Zukunft um so weni-
ger können, als höchst wahrscheinlich eine vielseitigere Untersuchung
der Anorgane nachweisen wird, dass auch hier bisweilen eine Zusam-
mensetzung des Individuums aus mehreren Individuen niederer Ordnung
vorkommt. Wir meinen hier die zusammengesetzten, theils rein kry-
stallinischen, theils krystalloiden Bildungen, welche insbesondere das
krystallisirende Wasser so leicht hervorbringt. Offenbar sind diese
sehr mannichfaltigen, und oft äusserst zusammengesetzten Gestalten,
welche wir als Eisblumen, Eisbäume etc. im Winter an unseren Fen-
sterscheiben bewundern, und durch deren Namen schon das Volk
gleichsam instinctiv ihre morphologische Aehnlichkeit mit Organismen
andeutet, derartige „höhere, vollkommenere“ Anorgane, bei welchen
die complicirte Gestalt des Ganzen aus einer gesetzmässigen Ver-
einigung untergeordneter Theile resultirt. Offenbar sind diese Eis-
blumen, Eisblätter etc. nach bestimmten Gesetzen gebildet; es sind
Aggregate von zahlreichen einzelnen Krystallen, von vielen Individuen
niederer Ordnung, welche zur Bildung des höheren Ganzen sich ver-
einigt haben. Eine bestimmte Summe von centralen Krystall-Indivi-
duen bildet die Axe, um welche sich die peripherischen Individuen,
bestimmten Anziehungs- und Abstossungs-Verhältnissen jener Axe ge-
horchend, ansetzen. Bei den complicirteren Eisbäumen, welche den
zusammengesetzteren Fiederblättern z. B. von Farrnen gleichen, scheint
jede Fieder, jeder Seitenzweig der Hauptaxe selbst wieder die An-
satzlinie für eine neue Reihe noch mehr untergeordneter Individuen
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/175>, abgerufen am 26.11.2024.
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