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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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II. Organische und anorganische Formen.
in der äusseren Gestalt. Die sehr auffallenden Differenzen, welche in
allen diesen Beziehungen zwischen leblosen und belebten Körpern
existiren, sind immer nur relativer Natur, indem sie sich allmählig ab-
stufen, und indem die complicirtere Zusammensetzungsweise und die Im-
bibitionsfähigkeit der organischen Kohlenstoffverbindungen nothwendig
eine complicirtere Function und eine complicirtere Form mit sich bringt.
Allein auf der untersten Stufe der so reich differenzirten Organismen-
Welt finden wir einfachste Formen, welche in Bezug auf Einfachheit
der Zusammensetzung und Form nicht hinter den Anorganen zurück-
bleiben.

Wir haben bereits oben (p. 24 ff.) eine allgemeine Vergleichung
der Organismen und Anorgane bezüglich der Zusammensetzung und
Entstehung ihrer Formen angestellt, um die verschiedenen Seiten der
Formbetrachtung, mit welchen wir uns beschäftigen werden, klar und
scharf hervortreten zu lassen. Wir haben dort absichtlich, wie be-
merkt (p. 24), "die wesentlichen Formunterschiede zwischen Organis-
men und Anorganen so scharf und durchgreifend gegenübergestellt, wie
dies fast von allen Naturforschern geschieht." Nun haben wir aber
gerechterweise auch die gewöhnlich ganz vernachlässigte Kehrseite
jener Betrachtung hervorzuheben, und zu untersuchen, ob die dort
hervorgehobenen Differenzen wirklich absolut durchgreifende sind.

An der Spitze unserer vergleichenden Betrachtung der organi-
schen und anorganischen Form haben wir oben hervorgehoben, dass
beiderlei Formen uns gewöhnlich als bestimmt abgeschlossene räum-
liche Einheiten, als Individuen entgegentreten. Hier ist nun zu-
nächst hervorzuheben, dass dies bei den Anorganen keineswegs con-
stant der Fall ist. Vielmehr tritt uns die leblose Materie sehr häufig
nicht in individueller Form entgegen. Dies gilt zunächst von allen
Gasen oder elastischen Flüssigkeiten. Dasselbe könnte ferner auch von
allen tropfbaren Flüssigkeiten behauptet werden, falls man hier nicht
die einzelnen Tropfen, welche, innerhalb einer nicht mit ihrem Stoff
mischbaren Flüssigkeit, vermöge der Cohäsion ihrer Moleküle eine be-
stimmte Form (in einer Flüssigkeit vom gleichen specifischen Gewichte
eine Kugelform) annehmen, als Individuen gelten lassen will. Auch
die festen Anorgane treten sehr oft in einer nicht individualisirten
Form auf, als "amorphe" unregelmässige Stücke u. s. w.

Als eigentliche ausgebildete anorganische Individuen können wir
nur die Krystalle gelten lassen, welche auch schon von anderen Na-
turforschern (vorzüglich von Schwann) in dieser Beziehung unter-
sucht und mit den organischen Individuen verglichen worden sind.
Doch müssen wir auch hier die Uebergangsbildungen hervorheben,
welche zwischen vollkommen amorphen und rein krystallinischen
Körpern vorkommen, und welche man allgemein mit dem Namen der

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II. Organische und anorganische Formen.
in der äusseren Gestalt. Die sehr auffallenden Differenzen, welche in
allen diesen Beziehungen zwischen leblosen und belebten Körpern
existiren, sind immer nur relativer Natur, indem sie sich allmählig ab-
stufen, und indem die complicirtere Zusammensetzungsweise und die Im-
bibitionsfähigkeit der organischen Kohlenstoffverbindungen nothwendig
eine complicirtere Function und eine complicirtere Form mit sich bringt.
Allein auf der untersten Stufe der so reich differenzirten Organismen-
Welt finden wir einfachste Formen, welche in Bezug auf Einfachheit
der Zusammensetzung und Form nicht hinter den Anorganen zurück-
bleiben.

Wir haben bereits oben (p. 24 ff.) eine allgemeine Vergleichung
der Organismen und Anorgane bezüglich der Zusammensetzung und
Entstehung ihrer Formen angestellt, um die verschiedenen Seiten der
Formbetrachtung, mit welchen wir uns beschäftigen werden, klar und
scharf hervortreten zu lassen. Wir haben dort absichtlich, wie be-
merkt (p. 24), „die wesentlichen Formunterschiede zwischen Organis-
men und Anorganen so scharf und durchgreifend gegenübergestellt, wie
dies fast von allen Naturforschern geschieht.“ Nun haben wir aber
gerechterweise auch die gewöhnlich ganz vernachlässigte Kehrseite
jener Betrachtung hervorzuheben, und zu untersuchen, ob die dort
hervorgehobenen Differenzen wirklich absolut durchgreifende sind.

An der Spitze unserer vergleichenden Betrachtung der organi-
schen und anorganischen Form haben wir oben hervorgehoben, dass
beiderlei Formen uns gewöhnlich als bestimmt abgeschlossene räum-
liche Einheiten, als Individuen entgegentreten. Hier ist nun zu-
nächst hervorzuheben, dass dies bei den Anorganen keineswegs con-
stant der Fall ist. Vielmehr tritt uns die leblose Materie sehr häufig
nicht in individueller Form entgegen. Dies gilt zunächst von allen
Gasen oder elastischen Flüssigkeiten. Dasselbe könnte ferner auch von
allen tropfbaren Flüssigkeiten behauptet werden, falls man hier nicht
die einzelnen Tropfen, welche, innerhalb einer nicht mit ihrem Stoff
mischbaren Flüssigkeit, vermöge der Cohäsion ihrer Moleküle eine be-
stimmte Form (in einer Flüssigkeit vom gleichen specifischen Gewichte
eine Kugelform) annehmen, als Individuen gelten lassen will. Auch
die festen Anorgane treten sehr oft in einer nicht individualisirten
Form auf, als „amorphe“ unregelmässige Stücke u. s. w.

Als eigentliche ausgebildete anorganische Individuen können wir
nur die Krystalle gelten lassen, welche auch schon von anderen Na-
turforschern (vorzüglich von Schwann) in dieser Beziehung unter-
sucht und mit den organischen Individuen verglichen worden sind.
Doch müssen wir auch hier die Uebergangsbildungen hervorheben,
welche zwischen vollkommen amorphen und rein krystallinischen
Körpern vorkommen, und welche man allgemein mit dem Namen der

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[131/0170] II. Organische und anorganische Formen. in der äusseren Gestalt. Die sehr auffallenden Differenzen, welche in allen diesen Beziehungen zwischen leblosen und belebten Körpern existiren, sind immer nur relativer Natur, indem sie sich allmählig ab- stufen, und indem die complicirtere Zusammensetzungsweise und die Im- bibitionsfähigkeit der organischen Kohlenstoffverbindungen nothwendig eine complicirtere Function und eine complicirtere Form mit sich bringt. Allein auf der untersten Stufe der so reich differenzirten Organismen- Welt finden wir einfachste Formen, welche in Bezug auf Einfachheit der Zusammensetzung und Form nicht hinter den Anorganen zurück- bleiben. Wir haben bereits oben (p. 24 ff.) eine allgemeine Vergleichung der Organismen und Anorgane bezüglich der Zusammensetzung und Entstehung ihrer Formen angestellt, um die verschiedenen Seiten der Formbetrachtung, mit welchen wir uns beschäftigen werden, klar und scharf hervortreten zu lassen. Wir haben dort absichtlich, wie be- merkt (p. 24), „die wesentlichen Formunterschiede zwischen Organis- men und Anorganen so scharf und durchgreifend gegenübergestellt, wie dies fast von allen Naturforschern geschieht.“ Nun haben wir aber gerechterweise auch die gewöhnlich ganz vernachlässigte Kehrseite jener Betrachtung hervorzuheben, und zu untersuchen, ob die dort hervorgehobenen Differenzen wirklich absolut durchgreifende sind. An der Spitze unserer vergleichenden Betrachtung der organi- schen und anorganischen Form haben wir oben hervorgehoben, dass beiderlei Formen uns gewöhnlich als bestimmt abgeschlossene räum- liche Einheiten, als Individuen entgegentreten. Hier ist nun zu- nächst hervorzuheben, dass dies bei den Anorganen keineswegs con- stant der Fall ist. Vielmehr tritt uns die leblose Materie sehr häufig nicht in individueller Form entgegen. Dies gilt zunächst von allen Gasen oder elastischen Flüssigkeiten. Dasselbe könnte ferner auch von allen tropfbaren Flüssigkeiten behauptet werden, falls man hier nicht die einzelnen Tropfen, welche, innerhalb einer nicht mit ihrem Stoff mischbaren Flüssigkeit, vermöge der Cohäsion ihrer Moleküle eine be- stimmte Form (in einer Flüssigkeit vom gleichen specifischen Gewichte eine Kugelform) annehmen, als Individuen gelten lassen will. Auch die festen Anorgane treten sehr oft in einer nicht individualisirten Form auf, als „amorphe“ unregelmässige Stücke u. s. w. Als eigentliche ausgebildete anorganische Individuen können wir nur die Krystalle gelten lassen, welche auch schon von anderen Na- turforschern (vorzüglich von Schwann) in dieser Beziehung unter- sucht und mit den organischen Individuen verglichen worden sind. Doch müssen wir auch hier die Uebergangsbildungen hervorheben, welche zwischen vollkommen amorphen und rein krystallinischen Körpern vorkommen, und welche man allgemein mit dem Namen der 9*

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/170>, abgerufen am 26.11.2024.