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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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I. Organische und anorganische Stoffe.
existirt, glaubte man in der Art und Weise des Zusammentritts der
Elemente zu zusammengesetzten Verbindungen einen absoluten Unter-
schied zwischen Organismen und Anorganen aufstellen zu können. Be-
sondere Gesetze des "Lebens" sollten die Vereinigung der Elemente
innerhalb des Organismus regeln, und die mystische "Lebenskraft"
sollte die Elemente zum Eingehen von Verbindungen zwingen, welche
ausserhalb des lebendigen Körpers nie sollten zu Stande kommen
können. Diese irrthümliche Vorstellung, welche vorzüglich durch die
Autoritäten von Berzelius und Johannes Müller in der Biologie
zu sehr allgemeinem Ansehen gelangte, hat solchen Einfluss auf die
allgemeine Beurtheilung der Organismen gewonnen, und behauptet
denselben theilweis noch heute, dass wir dieselbe hier ausdrücklich
als einen Irrthum bezeichnen müssen, der durch die neuere Chemie
definitiv widerlegt ist.

Vollkommen richtig ist es, dass diejenigen eigenthümlichen For-
men und Functionen, welche die Organismen von den Anorganen un-
terscheiden, einzig und allein die nothwendige Wirkung sind von den
eigenthümlichen Verbindungen, welche die Elemente im Körper der
Organismen eingehen, und welche man allgemein als "organische"
Materien zusammenfasst. Vollkommen falsch aber ist es, wenn man
diese eigenthümlichen "organischen Verbindungen" von etwas Anderem
ableitet, als von der chemischen Wahlverwandtschaft der Elemente,
welche in allen Fällen, selbstständig, vermöge der ihren Atomen un-
zertrennlich innewohnenden Kräfte, diese Verbindungen activ schaffen.
Es existirt also auch in dieser Beziehung durchaus kein Unterschied
zwischen den leblosen und den belebten Naturkörpern. Wie wir in
der leblosen Natur die gewöhnlich einfacheren, sogenannten "anorgani-
schen Verbindungen" lediglich durch die ureigenen Kräfte der Ele-
mente, nach den unabänderlichen und ewigen Gesetzen der chemischen
Wahlverwandtschaft, entstehen sehen, so erkennen wir eben so be-
stimmt, dass innerhalb der lebendigen Körper die gewöhnlich ver-
wickelteren, sogenannten "organischen Verbindungen" lediglich nach
denselben Gesetzen der chemischen Affinität, mit absoluter Nothwen-
digkeit, entstehen und vergehen.

Der einzige Unterschied, welcher in der chemischen Zusammen-
setzung der Organismen und Anorgane gefunden werden kann, be-
steht darin, dass in allen Organismen neben den einfacheren Ver-
bindungen der Elemente, die allenthalben auch in der leblosen Natur
vorkommen (Wasser, Kohlensäure etc.), eine Anzahl von verwickelteren
Verbindungen des Kohlenstoffs (und namentlich allgemein gewisse Ei-
weisskörper) sich finden, welche gewöhnlich in der anorganischen
Natur sich nicht zu bilden scheinen. Diese Verbindungen verdanken
aber ihre Existenz nicht einer besonderen Lebenskraft, sondern den

I. Organische und anorganische Stoffe.
existirt, glaubte man in der Art und Weise des Zusammentritts der
Elemente zu zusammengesetzten Verbindungen einen absoluten Unter-
schied zwischen Organismen und Anorganen aufstellen zu können. Be-
sondere Gesetze des „Lebens“ sollten die Vereinigung der Elemente
innerhalb des Organismus regeln, und die mystische „Lebenskraft“
sollte die Elemente zum Eingehen von Verbindungen zwingen, welche
ausserhalb des lebendigen Körpers nie sollten zu Stande kommen
können. Diese irrthümliche Vorstellung, welche vorzüglich durch die
Autoritäten von Berzelius und Johannes Müller in der Biologie
zu sehr allgemeinem Ansehen gelangte, hat solchen Einfluss auf die
allgemeine Beurtheilung der Organismen gewonnen, und behauptet
denselben theilweis noch heute, dass wir dieselbe hier ausdrücklich
als einen Irrthum bezeichnen müssen, der durch die neuere Chemie
definitiv widerlegt ist.

Vollkommen richtig ist es, dass diejenigen eigenthümlichen For-
men und Functionen, welche die Organismen von den Anorganen un-
terscheiden, einzig und allein die nothwendige Wirkung sind von den
eigenthümlichen Verbindungen, welche die Elemente im Körper der
Organismen eingehen, und welche man allgemein als „organische“
Materien zusammenfasst. Vollkommen falsch aber ist es, wenn man
diese eigenthümlichen „organischen Verbindungen“ von etwas Anderem
ableitet, als von der chemischen Wahlverwandtschaft der Elemente,
welche in allen Fällen, selbstständig, vermöge der ihren Atomen un-
zertrennlich innewohnenden Kräfte, diese Verbindungen activ schaffen.
Es existirt also auch in dieser Beziehung durchaus kein Unterschied
zwischen den leblosen und den belebten Naturkörpern. Wie wir in
der leblosen Natur die gewöhnlich einfacheren, sogenannten „anorgani-
schen Verbindungen“ lediglich durch die ureigenen Kräfte der Ele-
mente, nach den unabänderlichen und ewigen Gesetzen der chemischen
Wahlverwandtschaft, entstehen sehen, so erkennen wir eben so be-
stimmt, dass innerhalb der lebendigen Körper die gewöhnlich ver-
wickelteren, sogenannten „organischen Verbindungen“ lediglich nach
denselben Gesetzen der chemischen Affinität, mit absoluter Nothwen-
digkeit, entstehen und vergehen.

Der einzige Unterschied, welcher in der chemischen Zusammen-
setzung der Organismen und Anorgane gefunden werden kann, be-
steht darin, dass in allen Organismen neben den einfacheren Ver-
bindungen der Elemente, die allenthalben auch in der leblosen Natur
vorkommen (Wasser, Kohlensäure etc.), eine Anzahl von verwickelteren
Verbindungen des Kohlenstoffs (und namentlich allgemein gewisse Ei-
weisskörper) sich finden, welche gewöhnlich in der anorganischen
Natur sich nicht zu bilden scheinen. Diese Verbindungen verdanken
aber ihre Existenz nicht einer besonderen Lebenskraft, sondern den

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[119/0158] I. Organische und anorganische Stoffe. existirt, glaubte man in der Art und Weise des Zusammentritts der Elemente zu zusammengesetzten Verbindungen einen absoluten Unter- schied zwischen Organismen und Anorganen aufstellen zu können. Be- sondere Gesetze des „Lebens“ sollten die Vereinigung der Elemente innerhalb des Organismus regeln, und die mystische „Lebenskraft“ sollte die Elemente zum Eingehen von Verbindungen zwingen, welche ausserhalb des lebendigen Körpers nie sollten zu Stande kommen können. Diese irrthümliche Vorstellung, welche vorzüglich durch die Autoritäten von Berzelius und Johannes Müller in der Biologie zu sehr allgemeinem Ansehen gelangte, hat solchen Einfluss auf die allgemeine Beurtheilung der Organismen gewonnen, und behauptet denselben theilweis noch heute, dass wir dieselbe hier ausdrücklich als einen Irrthum bezeichnen müssen, der durch die neuere Chemie definitiv widerlegt ist. Vollkommen richtig ist es, dass diejenigen eigenthümlichen For- men und Functionen, welche die Organismen von den Anorganen un- terscheiden, einzig und allein die nothwendige Wirkung sind von den eigenthümlichen Verbindungen, welche die Elemente im Körper der Organismen eingehen, und welche man allgemein als „organische“ Materien zusammenfasst. Vollkommen falsch aber ist es, wenn man diese eigenthümlichen „organischen Verbindungen“ von etwas Anderem ableitet, als von der chemischen Wahlverwandtschaft der Elemente, welche in allen Fällen, selbstständig, vermöge der ihren Atomen un- zertrennlich innewohnenden Kräfte, diese Verbindungen activ schaffen. Es existirt also auch in dieser Beziehung durchaus kein Unterschied zwischen den leblosen und den belebten Naturkörpern. Wie wir in der leblosen Natur die gewöhnlich einfacheren, sogenannten „anorgani- schen Verbindungen“ lediglich durch die ureigenen Kräfte der Ele- mente, nach den unabänderlichen und ewigen Gesetzen der chemischen Wahlverwandtschaft, entstehen sehen, so erkennen wir eben so be- stimmt, dass innerhalb der lebendigen Körper die gewöhnlich ver- wickelteren, sogenannten „organischen Verbindungen“ lediglich nach denselben Gesetzen der chemischen Affinität, mit absoluter Nothwen- digkeit, entstehen und vergehen. Der einzige Unterschied, welcher in der chemischen Zusammen- setzung der Organismen und Anorgane gefunden werden kann, be- steht darin, dass in allen Organismen neben den einfacheren Ver- bindungen der Elemente, die allenthalben auch in der leblosen Natur vorkommen (Wasser, Kohlensäure etc.), eine Anzahl von verwickelteren Verbindungen des Kohlenstoffs (und namentlich allgemein gewisse Ei- weisskörper) sich finden, welche gewöhnlich in der anorganischen Natur sich nicht zu bilden scheinen. Diese Verbindungen verdanken aber ihre Existenz nicht einer besonderen Lebenskraft, sondern den

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/158>, abgerufen am 25.11.2024.