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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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I. Organische und anorganische Stoffe.
Fünftes Capitel.
Organismen und Anorgane.
"Der Geist übt sich an dem würdigsten Gegen-
stande, indem er das Lebendige nach seinem inner-
sten Werth zu kennen und zu zergliedern sucht."
Goethe.



I. Organische und anorganische Stoffe.
I) 1. Differentielle Bedeutung der organischen und anorganischen
Materien
.

Bevor wir an unsere eigentliche Aufgabe gehen, und nach den
im ersten Buche festgestellten Methoden und Principien die Grundzüge
der generellen Morphologie der Organismen zu entwerfen versuchen,
scheint es uns unerlässlich, den Begriff des Organismus selbst, sowie
sein Verhältniss zur anorganischen Natur, und die übliche Eintheilung
der Organismen in Thiere und Pflanzen, einer allgemeinen kritischen
Untersuchung zu unterwerfen. Indem wir diese wichtigen Grundbe-
griffe feststellen, gewinnen wir den festen Boden, auf welchem wir
nachher sicher weiter bauen können, während die gewöhnliche Ver-
nachlässigung der unentbehrlichen Fundamente zu der chaotischen
Begriffs-Verwirrung führt, von welcher gegenwärtig unsere Wissen-
schaft ein so trauriges Bild liefert.

Um zu einer klaren Einsicht in "den innersten Werth des Leben-
digen," in den wesentlichen Character der Organismen, der Thiere
und Pflanzen, zu gelangen, erscheint es uns am zweckmässigsten, den-
selben die leblosen Naturkörper, die Anorgane, gegenüber zu stellen,
und beide Hauptgruppen von Naturkörpern, lebendige und leblose, hin-
sichtlich aller allgemeinen Eigenschaften (in chemischer, morphologi-
scher und physikalischer Beziehung) zu vergleichen. Indem wir hier-
bei sowohl synthetisch die Uebereinstimmungen, als analytisch die Un-
terschiede beider Körpergruppen hervorheben, werden wir zu einer
tieferen Einsicht in die innerste Natur und die gegenseitigen Be-

I. Organische und anorganische Stoffe.
Fünftes Capitel.
Organismen und Anorgane.
„Der Geist übt sich an dem würdigsten Gegen-
stande, indem er das Lebendige nach seinem inner-
sten Werth zu kennen und zu zergliedern sucht.“
Goethe.



I. Organische und anorganische Stoffe.
I) 1. Differentielle Bedeutung der organischen und anorganischen
Materien
.

Bevor wir an unsere eigentliche Aufgabe gehen, und nach den
im ersten Buche festgestellten Methoden und Principien die Grundzüge
der generellen Morphologie der Organismen zu entwerfen versuchen,
scheint es uns unerlässlich, den Begriff des Organismus selbst, sowie
sein Verhältniss zur anorganischen Natur, und die übliche Eintheilung
der Organismen in Thiere und Pflanzen, einer allgemeinen kritischen
Untersuchung zu unterwerfen. Indem wir diese wichtigen Grundbe-
griffe feststellen, gewinnen wir den festen Boden, auf welchem wir
nachher sicher weiter bauen können, während die gewöhnliche Ver-
nachlässigung der unentbehrlichen Fundamente zu der chaotischen
Begriffs-Verwirrung führt, von welcher gegenwärtig unsere Wissen-
schaft ein so trauriges Bild liefert.

Um zu einer klaren Einsicht in „den innersten Werth des Leben-
digen,“ in den wesentlichen Character der Organismen, der Thiere
und Pflanzen, zu gelangen, erscheint es uns am zweckmässigsten, den-
selben die leblosen Naturkörper, die Anorgane, gegenüber zu stellen,
und beide Hauptgruppen von Naturkörpern, lebendige und leblose, hin-
sichtlich aller allgemeinen Eigenschaften (in chemischer, morphologi-
scher und physikalischer Beziehung) zu vergleichen. Indem wir hier-
bei sowohl synthetisch die Uebereinstimmungen, als analytisch die Un-
terschiede beider Körpergruppen hervorheben, werden wir zu einer
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[111/0150] I. Organische und anorganische Stoffe. Fünftes Capitel. Organismen und Anorgane. „Der Geist übt sich an dem würdigsten Gegen- stande, indem er das Lebendige nach seinem inner- sten Werth zu kennen und zu zergliedern sucht.“ Goethe. I. Organische und anorganische Stoffe. I) 1. Differentielle Bedeutung der organischen und anorganischen Materien. Bevor wir an unsere eigentliche Aufgabe gehen, und nach den im ersten Buche festgestellten Methoden und Principien die Grundzüge der generellen Morphologie der Organismen zu entwerfen versuchen, scheint es uns unerlässlich, den Begriff des Organismus selbst, sowie sein Verhältniss zur anorganischen Natur, und die übliche Eintheilung der Organismen in Thiere und Pflanzen, einer allgemeinen kritischen Untersuchung zu unterwerfen. Indem wir diese wichtigen Grundbe- griffe feststellen, gewinnen wir den festen Boden, auf welchem wir nachher sicher weiter bauen können, während die gewöhnliche Ver- nachlässigung der unentbehrlichen Fundamente zu der chaotischen Begriffs-Verwirrung führt, von welcher gegenwärtig unsere Wissen- schaft ein so trauriges Bild liefert. Um zu einer klaren Einsicht in „den innersten Werth des Leben- digen,“ in den wesentlichen Character der Organismen, der Thiere und Pflanzen, zu gelangen, erscheint es uns am zweckmässigsten, den- selben die leblosen Naturkörper, die Anorgane, gegenüber zu stellen, und beide Hauptgruppen von Naturkörpern, lebendige und leblose, hin- sichtlich aller allgemeinen Eigenschaften (in chemischer, morphologi- scher und physikalischer Beziehung) zu vergleichen. Indem wir hier- bei sowohl synthetisch die Uebereinstimmungen, als analytisch die Un- terschiede beider Körpergruppen hervorheben, werden wir zu einer tieferen Einsicht in die innerste Natur und die gegenseitigen Be-

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/150>, abgerufen am 28.11.2024.