eines allgemeinen Gesetzes. Die Deduction folgert aus diesem generellen Gesetze eine einzelne specielle Thatsache. Wird diese letztere nun nachher durch die Erfahrung als wirklich erwiesen, so war die de- ductive Folgerung richtig, und durch die Probe oder Verification, welche diese nachträgliche Erfahrung liefert, ist das Gesetz bestätigt, ist die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes mit weit grösserer Sicher- heit festgestellt, als es durch die Induction jemals hätte geschehen können.
Eine klare und vollständige Erkenntniss von dem Wesen dieser beiden wichtigsten Verstandes-Operationen, eine vollkommene Ueber- zeugung von der Nothwendigkeit ihrer präcisen Anwendung, und eine richtige Auffassung des innigen gegenseitigen Wechselverhältnisses, in welchem Induction und Deduction zu einander stehen, halten wir für äusserst wichtig, und für einen jeden Naturforscher, der die Mittel zur Lösung seiner Aufgabe klar erkennen und sein Ziel mit Bewusstsein verfolgen will, ganz unerlässlich. Wenn die meisten Naturforscher gegenwärtig von diesen Methoden, sowie überhaupt von einer streng philosophischen Behandlung ihrer Aufgabe, Nichts wissen und leider auch meist Nichts wissen wollen, so ist es ihr eigener schlimmer Nachtheil. Denn thatsächlich können sie diese beiden wichtigsten Geistesoperationen des Naturforschers nirgends entbehren, und that- sächlich bedienen sie sich derselben fortwährend, wenn auch ganz un- bewusst, und daher meist unvollständig. Inductive und deductive Methode sind keineswegs, wie Viele meinen, besondere Erfindungen der Philosophen, sondern es sind natürliche Operationen des mensch- lichen Geistes, welche wir überall und allgemein, wenn auch meist unklar, unvollständig und unbewusst anwenden. Wenn aber die wis- senschaftliche Anwendung der Induction und Deduction mit Bewusst- sein erfolgt, wenn sich der Naturforscher der Bedeutung und des Nutzens, der Tragweite und der Gefahren dieser Methoden bewusst ist, so kann er sich derselben mit weit grösserem Erfolge und mit weit vollkommnerer Sicherheit bedienen, als wenn er sie unklar, unbe- wusst und daher unvollständig und unvorsichtig anwendet. Jeder Wanderer, der auf verwickelten Wegen, durch Wald und Feld, über Berg und Thal, sein Wanderziel verfolgt, erreicht dasselbe rascher und sicherer, mit weniger Gefahr des Irrthums und mit geringerem Zeit- aufwand, wenn er die Wege kennt, als wenn sie ihm unbekannt sind. Methoden, und zwar ganz vorzüglich die philosophischen Methoden der Naturwissenschaft, sind aber nichts Anderes, als Wege der Forschung, und wer diese Wege genau kennt und mit sicherem Bewusstsein ver- folgt, wird sein wissenschaftliches Ziel ohne Zweifel immer besser und schneller erreichen, als derjenige, dem diese Kenntniss der richti- gen Wege fehlt.
Methodik der Morphologie der Organismen.
eines allgemeinen Gesetzes. Die Deduction folgert aus diesem generellen Gesetze eine einzelne specielle Thatsache. Wird diese letztere nun nachher durch die Erfahrung als wirklich erwiesen, so war die de- ductive Folgerung richtig, und durch die Probe oder Verification, welche diese nachträgliche Erfahrung liefert, ist das Gesetz bestätigt, ist die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes mit weit grösserer Sicher- heit festgestellt, als es durch die Induction jemals hätte geschehen können.
Eine klare und vollständige Erkenntniss von dem Wesen dieser beiden wichtigsten Verstandes-Operationen, eine vollkommene Ueber- zeugung von der Nothwendigkeit ihrer präcisen Anwendung, und eine richtige Auffassung des innigen gegenseitigen Wechselverhältnisses, in welchem Induction und Deduction zu einander stehen, halten wir für äusserst wichtig, und für einen jeden Naturforscher, der die Mittel zur Lösung seiner Aufgabe klar erkennen und sein Ziel mit Bewusstsein verfolgen will, ganz unerlässlich. Wenn die meisten Naturforscher gegenwärtig von diesen Methoden, sowie überhaupt von einer streng philosophischen Behandlung ihrer Aufgabe, Nichts wissen und leider auch meist Nichts wissen wollen, so ist es ihr eigener schlimmer Nachtheil. Denn thatsächlich können sie diese beiden wichtigsten Geistesoperationen des Naturforschers nirgends entbehren, und that- sächlich bedienen sie sich derselben fortwährend, wenn auch ganz un- bewusst, und daher meist unvollständig. Inductive und deductive Methode sind keineswegs, wie Viele meinen, besondere Erfindungen der Philosophen, sondern es sind natürliche Operationen des mensch- lichen Geistes, welche wir überall und allgemein, wenn auch meist unklar, unvollständig und unbewusst anwenden. Wenn aber die wis- senschaftliche Anwendung der Induction und Deduction mit Bewusst- sein erfolgt, wenn sich der Naturforscher der Bedeutung und des Nutzens, der Tragweite und der Gefahren dieser Methoden bewusst ist, so kann er sich derselben mit weit grösserem Erfolge und mit weit vollkommnerer Sicherheit bedienen, als wenn er sie unklar, unbe- wusst und daher unvollständig und unvorsichtig anwendet. Jeder Wanderer, der auf verwickelten Wegen, durch Wald und Feld, über Berg und Thal, sein Wanderziel verfolgt, erreicht dasselbe rascher und sicherer, mit weniger Gefahr des Irrthums und mit geringerem Zeit- aufwand, wenn er die Wege kennt, als wenn sie ihm unbekannt sind. Methoden, und zwar ganz vorzüglich die philosophischen Methoden der Naturwissenschaft, sind aber nichts Anderes, als Wege der Forschung, und wer diese Wege genau kennt und mit sicherem Bewusstsein ver- folgt, wird sein wissenschaftliches Ziel ohne Zweifel immer besser und schneller erreichen, als derjenige, dem diese Kenntniss der richti- gen Wege fehlt.
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Methodik der Morphologie der Organismen.
eines allgemeinen Gesetzes. Die Deduction folgert aus diesem generellen
Gesetze eine einzelne specielle Thatsache. Wird diese letztere nun
nachher durch die Erfahrung als wirklich erwiesen, so war die de-
ductive Folgerung richtig, und durch die Probe oder Verification,
welche diese nachträgliche Erfahrung liefert, ist das Gesetz bestätigt,
ist die allgemeine Gültigkeit des Gesetzes mit weit grösserer Sicher-
heit festgestellt, als es durch die Induction jemals hätte geschehen
können.
Eine klare und vollständige Erkenntniss von dem Wesen dieser
beiden wichtigsten Verstandes-Operationen, eine vollkommene Ueber-
zeugung von der Nothwendigkeit ihrer präcisen Anwendung, und eine
richtige Auffassung des innigen gegenseitigen Wechselverhältnisses, in
welchem Induction und Deduction zu einander stehen, halten wir für
äusserst wichtig, und für einen jeden Naturforscher, der die Mittel zur
Lösung seiner Aufgabe klar erkennen und sein Ziel mit Bewusstsein
verfolgen will, ganz unerlässlich. Wenn die meisten Naturforscher
gegenwärtig von diesen Methoden, sowie überhaupt von einer streng
philosophischen Behandlung ihrer Aufgabe, Nichts wissen und leider
auch meist Nichts wissen wollen, so ist es ihr eigener schlimmer
Nachtheil. Denn thatsächlich können sie diese beiden wichtigsten
Geistesoperationen des Naturforschers nirgends entbehren, und that-
sächlich bedienen sie sich derselben fortwährend, wenn auch ganz un-
bewusst, und daher meist unvollständig. Inductive und deductive
Methode sind keineswegs, wie Viele meinen, besondere Erfindungen
der Philosophen, sondern es sind natürliche Operationen des mensch-
lichen Geistes, welche wir überall und allgemein, wenn auch meist
unklar, unvollständig und unbewusst anwenden. Wenn aber die wis-
senschaftliche Anwendung der Induction und Deduction mit Bewusst-
sein erfolgt, wenn sich der Naturforscher der Bedeutung und des
Nutzens, der Tragweite und der Gefahren dieser Methoden bewusst
ist, so kann er sich derselben mit weit grösserem Erfolge und mit
weit vollkommnerer Sicherheit bedienen, als wenn er sie unklar, unbe-
wusst und daher unvollständig und unvorsichtig anwendet. Jeder
Wanderer, der auf verwickelten Wegen, durch Wald und Feld, über
Berg und Thal, sein Wanderziel verfolgt, erreicht dasselbe rascher und
sicherer, mit weniger Gefahr des Irrthums und mit geringerem Zeit-
aufwand, wenn er die Wege kennt, als wenn sie ihm unbekannt sind.
Methoden, und zwar ganz vorzüglich die philosophischen Methoden der
Naturwissenschaft, sind aber nichts Anderes, als Wege der Forschung,
und wer diese Wege genau kennt und mit sicherem Bewusstsein ver-
folgt, wird sein wissenschaftliches Ziel ohne Zweifel immer besser
und schneller erreichen, als derjenige, dem diese Kenntniss der richti-
gen Wege fehlt.
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/123>, abgerufen am 24.11.2024.
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