Hackländer, Friedrich Wilhelm: Zwei Nächte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 109–174. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der Offizier gezwungen war, sich ins Fenster hinein zu lehnen. Ihr Arm aber blieb auf der Fensterbrüstung, und der Kopf neigte sich vor, und ebenso die weißen Schultern und der Oberleib. Wen meinen Sie denn eigentlich, fuhr der Graf S. fort, den sich der Vater zum Schwiegersohn aussuchen wird, etwa einen aus Pusterlengo oder einen jungen Kaufmann aus Lodi? Nein, nein! sagte das Mädchen plötzlich ernst werdend, eher den Sohn des Posthalters aus Pianenza, der ist schon mehrere Male ohne allen Grund dagewesen, und er scheint dem Vater nicht übel zu gefallen; mir aber ganz und gar nicht, setzte sie ganz leise hinzu. Ist er nicht schön, nicht jung? fragte der Offizier lächelnd, und die Kleine antwortete leise und sich scheu umsehend: Nein, gewiß nicht! aber er ist bösartig und falsch, und den könnte ich nicht lieben, und wenn ich ihn heirathen müßte, so wär' mein ganzes junges Leben verdorben, denn sie sagen, es sei schrecklich, heirathen zu müssen, ohne geliebt zu haben. Da wäre es also noch viel besser, oder wenigstens viel schöner, geliebt zu haben ohne zu heirathen? sagte der Offizier. Schöner vielleicht, entgegnete das Mädchen und hob die Augen empor, um ihn anzusehen, schöner vielleicht wohl, aber nicht besser. Jetzt trat in diesem seltsamen Gespräche eine Pause der Offizier gezwungen war, sich ins Fenster hinein zu lehnen. Ihr Arm aber blieb auf der Fensterbrüstung, und der Kopf neigte sich vor, und ebenso die weißen Schultern und der Oberleib. Wen meinen Sie denn eigentlich, fuhr der Graf S. fort, den sich der Vater zum Schwiegersohn aussuchen wird, etwa einen aus Pusterlengo oder einen jungen Kaufmann aus Lodi? Nein, nein! sagte das Mädchen plötzlich ernst werdend, eher den Sohn des Posthalters aus Pianenza, der ist schon mehrere Male ohne allen Grund dagewesen, und er scheint dem Vater nicht übel zu gefallen; mir aber ganz und gar nicht, setzte sie ganz leise hinzu. Ist er nicht schön, nicht jung? fragte der Offizier lächelnd, und die Kleine antwortete leise und sich scheu umsehend: Nein, gewiß nicht! aber er ist bösartig und falsch, und den könnte ich nicht lieben, und wenn ich ihn heirathen müßte, so wär' mein ganzes junges Leben verdorben, denn sie sagen, es sei schrecklich, heirathen zu müssen, ohne geliebt zu haben. Da wäre es also noch viel besser, oder wenigstens viel schöner, geliebt zu haben ohne zu heirathen? sagte der Offizier. Schöner vielleicht, entgegnete das Mädchen und hob die Augen empor, um ihn anzusehen, schöner vielleicht wohl, aber nicht besser. Jetzt trat in diesem seltsamen Gespräche eine Pause <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0026"/> der Offizier gezwungen war, sich ins Fenster hinein zu lehnen. Ihr Arm aber blieb auf der Fensterbrüstung, und der Kopf neigte sich vor, und ebenso die weißen Schultern und der Oberleib.</p><lb/> <p>Wen meinen Sie denn eigentlich, fuhr der Graf S. fort, den sich der Vater zum Schwiegersohn aussuchen wird, etwa einen aus Pusterlengo oder einen jungen Kaufmann aus Lodi?</p><lb/> <p>Nein, nein! sagte das Mädchen plötzlich ernst werdend, eher den Sohn des Posthalters aus Pianenza, der ist schon mehrere Male ohne allen Grund dagewesen, und er scheint dem Vater nicht übel zu gefallen; mir aber ganz und gar nicht, setzte sie ganz leise hinzu.</p><lb/> <p>Ist er nicht schön, nicht jung? fragte der Offizier lächelnd, und die Kleine antwortete leise und sich scheu umsehend:</p><lb/> <p>Nein, gewiß nicht! aber er ist bösartig und falsch, und den könnte ich nicht lieben, und wenn ich ihn heirathen müßte, so wär' mein ganzes junges Leben verdorben, denn sie sagen, es sei schrecklich, heirathen zu müssen, ohne geliebt zu haben.</p><lb/> <p>Da wäre es also noch viel besser, oder wenigstens viel schöner, geliebt zu haben ohne zu heirathen? sagte der Offizier.</p><lb/> <p>Schöner vielleicht, entgegnete das Mädchen und hob die Augen empor, um ihn anzusehen, schöner vielleicht wohl, aber nicht besser.</p><lb/> <p>Jetzt trat in diesem seltsamen Gespräche eine Pause<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
der Offizier gezwungen war, sich ins Fenster hinein zu lehnen. Ihr Arm aber blieb auf der Fensterbrüstung, und der Kopf neigte sich vor, und ebenso die weißen Schultern und der Oberleib.
Wen meinen Sie denn eigentlich, fuhr der Graf S. fort, den sich der Vater zum Schwiegersohn aussuchen wird, etwa einen aus Pusterlengo oder einen jungen Kaufmann aus Lodi?
Nein, nein! sagte das Mädchen plötzlich ernst werdend, eher den Sohn des Posthalters aus Pianenza, der ist schon mehrere Male ohne allen Grund dagewesen, und er scheint dem Vater nicht übel zu gefallen; mir aber ganz und gar nicht, setzte sie ganz leise hinzu.
Ist er nicht schön, nicht jung? fragte der Offizier lächelnd, und die Kleine antwortete leise und sich scheu umsehend:
Nein, gewiß nicht! aber er ist bösartig und falsch, und den könnte ich nicht lieben, und wenn ich ihn heirathen müßte, so wär' mein ganzes junges Leben verdorben, denn sie sagen, es sei schrecklich, heirathen zu müssen, ohne geliebt zu haben.
Da wäre es also noch viel besser, oder wenigstens viel schöner, geliebt zu haben ohne zu heirathen? sagte der Offizier.
Schöner vielleicht, entgegnete das Mädchen und hob die Augen empor, um ihn anzusehen, schöner vielleicht wohl, aber nicht besser.
Jetzt trat in diesem seltsamen Gespräche eine Pause
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Zitationshilfe: | Hackländer, Friedrich Wilhelm: Zwei Nächte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 109–174. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hacklaender_naechte_1910/26>, abgerufen am 16.02.2025. |