Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.den Verbrechen, von Recht und Gerechtigkeit, von Strafe und ihrem Maße. Das Unrecht ist älter als das Recht. Gewalt ging selbst in den blühendsten Zeiten des Alterthums noch vor Recht; oder man wußte nicht, worein das Recht gesezt werden sollte. Die antiken Civil- und Kriminalgesetzgebungen ließen sich auf allgemeine humane Grundsätze und auf eine Gleichstellung Aller dem Gesetz gegenüber nicht ein. Ein Sklave wurde für dieselbe Freiheit, die er sich herausnahm, getödtet, für welche ein freier Mann straflos blieb oder höchstens verbannt wurde. Wenn Räuber und Mörder aus niederm Stande hingerichtet wurden, so war Mord, ging er von einem freien und wohl gar angesehenen Manne aus, nur ein Zeugniß gegen sein Herz, ein Beweis seiner Leidenschaft, eine Kränkung der öffentlichen Moral und ein Aergerniß für sie; allein an die absolute Entmenschung, wie jezt, an die Schlechtigkeit der innern Grundverfassung eines solchen vorsätzlichen Mörders glaubte man nicht, am wenigsten daran, daß er für die Gesellschaft unschädlich gemacht werden müsse. Die Rache wurde den Verwandten, nicht dem Staate überlassen. Die Alten wußten, daß wenn Orestes den Aegisth und seine Mutter für den an seinem Vater begangenen Mord strafte, die Furien nicht ausbleiben würden. Jn allen ihren Dichtungen von tieferer Bedeutung schildern sie die Verkettungen der Göttin Ate, wie eine Schuld, die den Verbrechen, von Recht und Gerechtigkeit, von Strafe und ihrem Maße. Das Unrecht ist älter als das Recht. Gewalt ging selbst in den blühendsten Zeiten des Alterthums noch vor Recht; oder man wußte nicht, worein das Recht gesezt werden sollte. Die antiken Civil- und Kriminalgesetzgebungen ließen sich auf allgemeine humane Grundsätze und auf eine Gleichstellung Aller dem Gesetz gegenüber nicht ein. Ein Sklave wurde für dieselbe Freiheit, die er sich herausnahm, getödtet, für welche ein freier Mann straflos blieb oder höchstens verbannt wurde. Wenn Räuber und Mörder aus niederm Stande hingerichtet wurden, so war Mord, ging er von einem freien und wohl gar angesehenen Manne aus, nur ein Zeugniß gegen sein Herz, ein Beweis seiner Leidenschaft, eine Kränkung der öffentlichen Moral und ein Aergerniß für sie; allein an die absolute Entmenschung, wie jezt, an die Schlechtigkeit der innern Grundverfassung eines solchen vorsätzlichen Mörders glaubte man nicht, am wenigsten daran, daß er für die Gesellschaft unschädlich gemacht werden müsse. Die Rache wurde den Verwandten, nicht dem Staate überlassen. Die Alten wußten, daß wenn Orestes den Aegisth und seine Mutter für den an seinem Vater begangenen Mord strafte, die Furien nicht ausbleiben würden. Jn allen ihren Dichtungen von tieferer Bedeutung schildern sie die Verkettungen der Göttin Ate, wie eine Schuld, die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0060" n="58"/> den Verbrechen, von Recht und Gerechtigkeit, von Strafe und ihrem Maße.</p> <p>Das Unrecht ist älter als das Recht. Gewalt ging selbst in den blühendsten Zeiten des Alterthums noch vor Recht; oder man wußte nicht, worein das Recht gesezt werden sollte. Die antiken Civil- und Kriminalgesetzgebungen ließen sich auf allgemeine humane Grundsätze und auf eine Gleichstellung <hi rendition="#g">Aller</hi> dem Gesetz gegenüber nicht ein. Ein Sklave wurde für dieselbe Freiheit, die er sich herausnahm, getödtet, für welche ein freier Mann straflos blieb oder höchstens verbannt wurde. Wenn Räuber und Mörder aus niederm Stande hingerichtet wurden, so war Mord, ging er von einem freien und wohl gar angesehenen Manne aus, nur ein Zeugniß gegen sein Herz, ein Beweis seiner Leidenschaft, eine Kränkung der öffentlichen Moral und ein Aergerniß für sie; allein an die absolute Entmenschung, wie jezt, an die Schlechtigkeit der innern Grundverfassung eines solchen vorsätzlichen Mörders glaubte man nicht, am wenigsten daran, daß er für die Gesellschaft unschädlich gemacht werden müsse. Die Rache wurde den Verwandten, nicht dem Staate überlassen. Die Alten wußten, daß wenn <hi rendition="#g">Orestes</hi> den <hi rendition="#g">Aegisth</hi> und seine Mutter für den an seinem Vater begangenen Mord strafte, die Furien nicht ausbleiben würden. Jn allen ihren Dichtungen von tieferer Bedeutung schildern sie die Verkettungen der Göttin <hi rendition="#g">Ate</hi>, wie <hi rendition="#g">eine</hi> Schuld, die </p> </div> </body> </text> </TEI> [58/0060]
den Verbrechen, von Recht und Gerechtigkeit, von Strafe und ihrem Maße.
Das Unrecht ist älter als das Recht. Gewalt ging selbst in den blühendsten Zeiten des Alterthums noch vor Recht; oder man wußte nicht, worein das Recht gesezt werden sollte. Die antiken Civil- und Kriminalgesetzgebungen ließen sich auf allgemeine humane Grundsätze und auf eine Gleichstellung Aller dem Gesetz gegenüber nicht ein. Ein Sklave wurde für dieselbe Freiheit, die er sich herausnahm, getödtet, für welche ein freier Mann straflos blieb oder höchstens verbannt wurde. Wenn Räuber und Mörder aus niederm Stande hingerichtet wurden, so war Mord, ging er von einem freien und wohl gar angesehenen Manne aus, nur ein Zeugniß gegen sein Herz, ein Beweis seiner Leidenschaft, eine Kränkung der öffentlichen Moral und ein Aergerniß für sie; allein an die absolute Entmenschung, wie jezt, an die Schlechtigkeit der innern Grundverfassung eines solchen vorsätzlichen Mörders glaubte man nicht, am wenigsten daran, daß er für die Gesellschaft unschädlich gemacht werden müsse. Die Rache wurde den Verwandten, nicht dem Staate überlassen. Die Alten wußten, daß wenn Orestes den Aegisth und seine Mutter für den an seinem Vater begangenen Mord strafte, die Furien nicht ausbleiben würden. Jn allen ihren Dichtungen von tieferer Bedeutung schildern sie die Verkettungen der Göttin Ate, wie eine Schuld, die
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/60>, abgerufen am 16.02.2025. |