Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Ausländische verachtende Engländer dem Charakter der Nation und der Dauerhaftigkeit ihrer Einrichtungen zugetraut hätte. Wir können, indem wir von Englands Einfluß auf Europa sprechen, hier nicht umhin, einen Jdeengang zu entwickeln, welcher sich mit glänzender Wahrscheinlichkeit uns aufdrängt. Man kann im Allgemeinen als gewiß annehmen, daß die meisten Erfahrungen und Abstraktionen, welche im vorigen Jahrhundert auf die Literatur paßten, im neunzehnten Jahrhundert auf die Verhältnisse der Politik zutreffen. Es läßt sich zwischen beiden Zeiträumen und beiden sie bewegenden Jdeenkreisen eine Parallele ziehen, die in allen Beziehungen schlagend ist. Was heutigen Tags die Literatur ist, das war im vorigen Jahrhundert die Politik, eine Tradition mit viel Routine, viel Feinheit und spitzfindiger Gewandtheit, die aber durchaus aller frischen, lebendigen Kraft ermangelte, zwar das Alte sehr gut zu beurtheilen, aber durchaus nichts Neues zu schaffen wußte. Was die Friedensschlüsse, Allianztraktate und diplomatischen Noten in der Politik sind, das ist in der Literatur die Kritik, die Konversation, die Rhetorik. Wir haben gegenwärtig sehr feine und gespizte Federn. Wir hatten im Anfang des vorigen Jahrhunderts sehr schlaue und umsichtige Staatsmänner. Wir haben jezt viel Witz; wir hatten früher viel Jntrigue (Jntrigue ist der objektive Witz der Verhältnisse). Wir haben jezt Ausländische verachtende Engländer dem Charakter der Nation und der Dauerhaftigkeit ihrer Einrichtungen zugetraut hätte. Wir können, indem wir von Englands Einfluß auf Europa sprechen, hier nicht umhin, einen Jdeengang zu entwickeln, welcher sich mit glänzender Wahrscheinlichkeit uns aufdrängt. Man kann im Allgemeinen als gewiß annehmen, daß die meisten Erfahrungen und Abstraktionen, welche im vorigen Jahrhundert auf die Literatur paßten, im neunzehnten Jahrhundert auf die Verhältnisse der Politik zutreffen. Es läßt sich zwischen beiden Zeiträumen und beiden sie bewegenden Jdeenkreisen eine Parallele ziehen, die in allen Beziehungen schlagend ist. Was heutigen Tags die Literatur ist, das war im vorigen Jahrhundert die Politik, eine Tradition mit viel Routine, viel Feinheit und spitzfindiger Gewandtheit, die aber durchaus aller frischen, lebendigen Kraft ermangelte, zwar das Alte sehr gut zu beurtheilen, aber durchaus nichts Neues zu schaffen wußte. Was die Friedensschlüsse, Allianztraktate und diplomatischen Noten in der Politik sind, das ist in der Literatur die Kritik, die Konversation, die Rhetorik. Wir haben gegenwärtig sehr feine und gespizte Federn. Wir hatten im Anfang des vorigen Jahrhunderts sehr schlaue und umsichtige Staatsmänner. Wir haben jezt viel Witz; wir hatten früher viel Jntrigue (Jntrigue ist der objektive Witz der Verhältnisse). Wir haben jezt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0405" n="403"/> Ausländische verachtende Engländer dem Charakter der Nation und der Dauerhaftigkeit ihrer Einrichtungen zugetraut hätte.</p> <p>Wir können, indem wir von Englands Einfluß auf Europa sprechen, hier nicht umhin, einen Jdeengang zu entwickeln, welcher sich mit glänzender Wahrscheinlichkeit uns aufdrängt. Man kann im Allgemeinen als gewiß annehmen, daß die meisten Erfahrungen und Abstraktionen, welche im vorigen Jahrhundert auf die Literatur paßten, im neunzehnten Jahrhundert auf die Verhältnisse der Politik zutreffen. Es läßt sich zwischen beiden Zeiträumen und beiden sie bewegenden Jdeenkreisen eine Parallele ziehen, die in allen Beziehungen schlagend ist. Was heutigen Tags die Literatur ist, das war im vorigen Jahrhundert die Politik, eine Tradition mit viel Routine, viel Feinheit und spitzfindiger Gewandtheit, die aber durchaus aller frischen, lebendigen Kraft ermangelte, zwar das Alte sehr gut zu beurtheilen, aber durchaus nichts Neues zu schaffen wußte. Was die Friedensschlüsse, Allianztraktate und diplomatischen Noten in der Politik sind, das ist in der Literatur die Kritik, die Konversation, die Rhetorik. Wir haben gegenwärtig sehr feine und gespizte Federn. Wir hatten im Anfang des vorigen Jahrhunderts sehr schlaue und umsichtige Staatsmänner. Wir haben jezt viel Witz; wir hatten früher viel Jntrigue (Jntrigue ist der objektive Witz der Verhältnisse). Wir haben jezt </p> </div> </body> </text> </TEI> [403/0405]
Ausländische verachtende Engländer dem Charakter der Nation und der Dauerhaftigkeit ihrer Einrichtungen zugetraut hätte.
Wir können, indem wir von Englands Einfluß auf Europa sprechen, hier nicht umhin, einen Jdeengang zu entwickeln, welcher sich mit glänzender Wahrscheinlichkeit uns aufdrängt. Man kann im Allgemeinen als gewiß annehmen, daß die meisten Erfahrungen und Abstraktionen, welche im vorigen Jahrhundert auf die Literatur paßten, im neunzehnten Jahrhundert auf die Verhältnisse der Politik zutreffen. Es läßt sich zwischen beiden Zeiträumen und beiden sie bewegenden Jdeenkreisen eine Parallele ziehen, die in allen Beziehungen schlagend ist. Was heutigen Tags die Literatur ist, das war im vorigen Jahrhundert die Politik, eine Tradition mit viel Routine, viel Feinheit und spitzfindiger Gewandtheit, die aber durchaus aller frischen, lebendigen Kraft ermangelte, zwar das Alte sehr gut zu beurtheilen, aber durchaus nichts Neues zu schaffen wußte. Was die Friedensschlüsse, Allianztraktate und diplomatischen Noten in der Politik sind, das ist in der Literatur die Kritik, die Konversation, die Rhetorik. Wir haben gegenwärtig sehr feine und gespizte Federn. Wir hatten im Anfang des vorigen Jahrhunderts sehr schlaue und umsichtige Staatsmänner. Wir haben jezt viel Witz; wir hatten früher viel Jntrigue (Jntrigue ist der objektive Witz der Verhältnisse). Wir haben jezt
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/405>, abgerufen am 16.02.2025. |