Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Verrätherei in Hellas sich bemächtigen würde; Niemand aber an den mazedonischen Staat dachte und zur Zeit des Demosthenes wiederum Niemand, daß wenig über hundert Jahre vergehen würde, wo ein ganz neues Volk an die Stelle der Mazedonier treten würde, die Römer. Und was konnten Kato und Cicero über ihre Zeit philosophiren, mit welcher Wahrscheinlichkeit, die ohnedies noch ein Erfolg krönte, konnten sie der sinkenden Größe und Freiheit des römischen Reiches nachdenken, der Alleinherrschaft, der Tyrannei und der endlichen Auflösung; allein wer von ihnen dachte an das spezifisch Neue, welches sich mit dem Christenthum in den Verlauf der römischen Geschichte mischte? Und so baute sich eine Epoche über die andere, immer bedingt und belebt durch etwas, was selbst der nächsten Vergangenheit noch ein Geheimniß gewesen war. Möglich, daß für Europas Zukunft geographische und ethnologische Umwälzungen weniger zu erwarten stehen, als vielleicht Erfindungen, welche die Menschheit jezt noch nicht ahnt, wie Napoleon, als Fulton ihm die Kraft des Dampfes, als Mittel, die Welt zu erobern, anempfahl, nicht glauben wollte und nicht wissen konnte, wie Zeit und Raum durch Dampfschiffe und Eisenbahnen würden abgekürzt werden. Möglich aber auch, daß wir das Höchste in dieser Hinsicht erreicht haben und daß das Neue von einer ganz andern Seite aus losbrechen könnte. Es ist charakteristisch in der Geschichte, daß

Verrätherei in Hellas sich bemächtigen würde; Niemand aber an den mazedonischen Staat dachte und zur Zeit des Demosthenes wiederum Niemand, daß wenig über hundert Jahre vergehen würde, wo ein ganz neues Volk an die Stelle der Mazedonier treten würde, die Römer. Und was konnten Kato und Cicero über ihre Zeit philosophiren, mit welcher Wahrscheinlichkeit, die ohnedies noch ein Erfolg krönte, konnten sie der sinkenden Größe und Freiheit des römischen Reiches nachdenken, der Alleinherrschaft, der Tyrannei und der endlichen Auflösung; allein wer von ihnen dachte an das spezifisch Neue, welches sich mit dem Christenthum in den Verlauf der römischen Geschichte mischte? Und so baute sich eine Epoche über die andere, immer bedingt und belebt durch etwas, was selbst der nächsten Vergangenheit noch ein Geheimniß gewesen war. Möglich, daß für Europas Zukunft geographische und ethnologische Umwälzungen weniger zu erwarten stehen, als vielleicht Erfindungen, welche die Menschheit jezt noch nicht ahnt, wie Napoleon, als Fulton ihm die Kraft des Dampfes, als Mittel, die Welt zu erobern, anempfahl, nicht glauben wollte und nicht wissen konnte, wie Zeit und Raum durch Dampfschiffe und Eisenbahnen würden abgekürzt werden. Möglich aber auch, daß wir das Höchste in dieser Hinsicht erreicht haben und daß das Neue von einer ganz andern Seite aus losbrechen könnte. Es ist charakteristisch in der Geschichte, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0370" n="368"/>
Verrätherei in Hellas sich bemächtigen würde; Niemand aber an den mazedonischen Staat dachte und zur Zeit des <hi rendition="#g">Demosthenes</hi> wiederum Niemand, daß wenig über hundert Jahre vergehen würde, wo ein ganz neues Volk an die Stelle der Mazedonier treten würde, die Römer. Und was konnten <hi rendition="#g">Kato</hi> und <hi rendition="#g">Cicero</hi> über ihre Zeit philosophiren, mit welcher Wahrscheinlichkeit, die ohnedies noch ein Erfolg krönte, konnten sie der sinkenden Größe und Freiheit des römischen Reiches nachdenken, der Alleinherrschaft, der Tyrannei und der endlichen Auflösung; allein wer von ihnen dachte an das spezifisch Neue, welches sich mit dem Christenthum in den Verlauf der römischen Geschichte mischte? Und so baute sich eine Epoche über die andere, immer bedingt und belebt durch etwas, was selbst der nächsten Vergangenheit noch ein Geheimniß gewesen war. Möglich, daß für Europas Zukunft geographische und ethnologische Umwälzungen weniger zu erwarten stehen, als vielleicht Erfindungen, welche die Menschheit jezt noch nicht ahnt, wie <hi rendition="#g">Napoleon</hi>, als <hi rendition="#g">Fulton</hi> ihm die Kraft des Dampfes, als Mittel, die Welt zu erobern, anempfahl, nicht glauben wollte und nicht wissen konnte, wie Zeit und Raum durch Dampfschiffe und Eisenbahnen würden abgekürzt werden. Möglich aber auch, daß wir das Höchste in dieser Hinsicht erreicht haben und daß das Neue von einer ganz andern Seite aus losbrechen könnte. Es ist charakteristisch in der Geschichte, daß
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[368/0370] Verrätherei in Hellas sich bemächtigen würde; Niemand aber an den mazedonischen Staat dachte und zur Zeit des Demosthenes wiederum Niemand, daß wenig über hundert Jahre vergehen würde, wo ein ganz neues Volk an die Stelle der Mazedonier treten würde, die Römer. Und was konnten Kato und Cicero über ihre Zeit philosophiren, mit welcher Wahrscheinlichkeit, die ohnedies noch ein Erfolg krönte, konnten sie der sinkenden Größe und Freiheit des römischen Reiches nachdenken, der Alleinherrschaft, der Tyrannei und der endlichen Auflösung; allein wer von ihnen dachte an das spezifisch Neue, welches sich mit dem Christenthum in den Verlauf der römischen Geschichte mischte? Und so baute sich eine Epoche über die andere, immer bedingt und belebt durch etwas, was selbst der nächsten Vergangenheit noch ein Geheimniß gewesen war. Möglich, daß für Europas Zukunft geographische und ethnologische Umwälzungen weniger zu erwarten stehen, als vielleicht Erfindungen, welche die Menschheit jezt noch nicht ahnt, wie Napoleon, als Fulton ihm die Kraft des Dampfes, als Mittel, die Welt zu erobern, anempfahl, nicht glauben wollte und nicht wissen konnte, wie Zeit und Raum durch Dampfschiffe und Eisenbahnen würden abgekürzt werden. Möglich aber auch, daß wir das Höchste in dieser Hinsicht erreicht haben und daß das Neue von einer ganz andern Seite aus losbrechen könnte. Es ist charakteristisch in der Geschichte, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/370
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/370>, abgerufen am 22.11.2024.