Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.kann! Das Gespräch ist vibrirend, keineswegs gründlich erschöpfend; ein Redner, der die Unterhaltung an sich reißen will, wird gern gehört; denn löst er nicht Alle, die nur sprechen, um zu sprechen, von ihrer Mühsal ab? Die Stoffe, über welche man sich ohne Leidenschaft unterhalten kann, sind so karg zugemessen. Die Kunst und Literatur münden sich, wenn man ihnen ein wenig tiefer auf den Grund gehen will, in Fragen aus, wo das Blut heißer wird, als zu einem unbefangnen Gespräche nöthig ist. Weil es an Stoffen fehlt, oder die, welche man behandeln könnte, dem Ort und der Stunde nicht angemessen sind, so ergeht man sich in Formalitäten, man liebt den Witz, sogar den Wortwitz; man überredet sich, sogenannte Geistesspiele für angenehm zu halten. Die Salons sind etwas unsrer Zeit ganz Eigenthümliches; es ist das Haus, die Familie, aber mit geöffneten Flügelthüren. Die Salons sind Nischen, Arkaden, sind Absteigquartiere, in welchen die das Drama unsrer Zeit abhandelnden Schauspieler eine Zeit lang hineintreten, um sich den Schweiß von der Stirne zu kühlen, oder nur in der Eile ein Glas Zuckerwasser zu trinken. Jeder ist geladen, der kommen will, denn in dem Prinzipe der Salons liegt nicht das Bleiben, sondern das baldige Wiederweggehen. Alles, was verhandelt wird, ist von flüchtiger Dauer; man hat den Degen seiner Ansichten an die Lenden geschnallt, obschon nicht blank, sondern in der kann! Das Gespräch ist vibrirend, keineswegs gründlich erschöpfend; ein Redner, der die Unterhaltung an sich reißen will, wird gern gehört; denn löst er nicht Alle, die nur sprechen, um zu sprechen, von ihrer Mühsal ab? Die Stoffe, über welche man sich ohne Leidenschaft unterhalten kann, sind so karg zugemessen. Die Kunst und Literatur münden sich, wenn man ihnen ein wenig tiefer auf den Grund gehen will, in Fragen aus, wo das Blut heißer wird, als zu einem unbefangnen Gespräche nöthig ist. Weil es an Stoffen fehlt, oder die, welche man behandeln könnte, dem Ort und der Stunde nicht angemessen sind, so ergeht man sich in Formalitäten, man liebt den Witz, sogar den Wortwitz; man überredet sich, sogenannte Geistesspiele für angenehm zu halten. Die Salons sind etwas unsrer Zeit ganz Eigenthümliches; es ist das Haus, die Familie, aber mit geöffneten Flügelthüren. Die Salons sind Nischen, Arkaden, sind Absteigquartiere, in welchen die das Drama unsrer Zeit abhandelnden Schauspieler eine Zeit lang hineintreten, um sich den Schweiß von der Stirne zu kühlen, oder nur in der Eile ein Glas Zuckerwasser zu trinken. Jeder ist geladen, der kommen will, denn in dem Prinzipe der Salons liegt nicht das Bleiben, sondern das baldige Wiederweggehen. Alles, was verhandelt wird, ist von flüchtiger Dauer; man hat den Degen seiner Ansichten an die Lenden geschnallt, obschon nicht blank, sondern in der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0036" n="34"/> kann! Das Gespräch ist vibrirend, keineswegs gründlich erschöpfend; ein Redner, der die Unterhaltung an sich reißen will, wird gern gehört; denn löst er nicht Alle, die nur sprechen, um zu sprechen, von ihrer Mühsal ab? Die Stoffe, über welche man sich ohne Leidenschaft unterhalten kann, sind so karg zugemessen. Die Kunst und Literatur münden sich, wenn man ihnen ein wenig tiefer auf den Grund gehen will, in Fragen aus, wo das Blut heißer wird, als zu einem unbefangnen Gespräche nöthig ist. Weil es an Stoffen fehlt, oder die, welche man behandeln könnte, dem Ort und der Stunde nicht angemessen sind, so ergeht man sich in Formalitäten, man liebt den Witz, sogar den Wortwitz; man überredet sich, sogenannte Geistesspiele für angenehm zu halten. Die <hi rendition="#g">Salons</hi> sind etwas unsrer Zeit ganz Eigenthümliches; es ist das Haus, die Familie, aber mit geöffneten Flügelthüren. Die Salons sind Nischen, Arkaden, sind Absteigquartiere, in welchen die das Drama unsrer Zeit abhandelnden Schauspieler eine Zeit lang hineintreten, um sich den Schweiß von der Stirne zu kühlen, oder nur in der Eile ein Glas Zuckerwasser zu trinken. Jeder ist geladen, der kommen will, denn in dem Prinzipe der Salons liegt nicht das Bleiben, sondern das baldige Wiede<hi rendition="#g">rweg</hi>gehen. Alles, was verhandelt wird, ist von flüchtiger Dauer; man hat den Degen seiner Ansichten an die Lenden geschnallt, obschon nicht blank, sondern in der </p> </div> </body> </text> </TEI> [34/0036]
kann! Das Gespräch ist vibrirend, keineswegs gründlich erschöpfend; ein Redner, der die Unterhaltung an sich reißen will, wird gern gehört; denn löst er nicht Alle, die nur sprechen, um zu sprechen, von ihrer Mühsal ab? Die Stoffe, über welche man sich ohne Leidenschaft unterhalten kann, sind so karg zugemessen. Die Kunst und Literatur münden sich, wenn man ihnen ein wenig tiefer auf den Grund gehen will, in Fragen aus, wo das Blut heißer wird, als zu einem unbefangnen Gespräche nöthig ist. Weil es an Stoffen fehlt, oder die, welche man behandeln könnte, dem Ort und der Stunde nicht angemessen sind, so ergeht man sich in Formalitäten, man liebt den Witz, sogar den Wortwitz; man überredet sich, sogenannte Geistesspiele für angenehm zu halten. Die Salons sind etwas unsrer Zeit ganz Eigenthümliches; es ist das Haus, die Familie, aber mit geöffneten Flügelthüren. Die Salons sind Nischen, Arkaden, sind Absteigquartiere, in welchen die das Drama unsrer Zeit abhandelnden Schauspieler eine Zeit lang hineintreten, um sich den Schweiß von der Stirne zu kühlen, oder nur in der Eile ein Glas Zuckerwasser zu trinken. Jeder ist geladen, der kommen will, denn in dem Prinzipe der Salons liegt nicht das Bleiben, sondern das baldige Wiederweggehen. Alles, was verhandelt wird, ist von flüchtiger Dauer; man hat den Degen seiner Ansichten an die Lenden geschnallt, obschon nicht blank, sondern in der
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/36>, abgerufen am 05.07.2024. |