Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.geistigen Gebiete empor, zu dem historischen Fache. Historie ist in ihrem weitesten Sinne zu nehmen, als Jnbegriff aller positiven, die moralischen Jnteressen des Menschen betreffenden Wissenschaften. Die Rechts- und Staatslehre mit ihren viel verzweigten Nebenfächern gehört hier eben so her, wie die Geschichte selbst und, was die Geschichte betrifft, auch alles, was in den höhern, spekulativen Wissenschaften, z. B. der Theologie historisch-philologisches Material ist. Jn diesem Gebiete haben sich nun Empirie und Spekulation nicht weniger bestritten, wie im vorigen. Dem positiven Rechte stellte sich ein Naturrecht gegenüber; an die Stelle einer kritischen Behandlung der Geschichte trat beim einen politisch-pragmatische, beim andern eine philosophisch-konstruktive. Ja der ungeheuere Stoff, den die Jahrhunderte aufgestapelt haben und den jeder Tag mit seinen regellosen Erfahrungen aufs Neue vermehrt, erheischte eine Vereinfachung, eine Trennung der Haupt- von den Nebensachen, Licht und Ordnung. War in der Naturwissenschaft das Experiment und die mathematische Formel der Regulator ihrer wüsten und unabsehbaren Mannigfaltigkeit, so ist es im historischen Gebiete die Kritik. Sie trennte die Spreu vom Waizen, sie vertheilte Licht und Schatten in den Massen, ja sie sollte es wenigstens thun, sie sollte nicht am Einzelnen haften, und die Historie aus dem Zustand einer chronikartigen Anhäufung auf guten Glauben überlieferter Thatsachen in den andern geistigen Gebiete empor, zu dem historischen Fache. Historie ist in ihrem weitesten Sinne zu nehmen, als Jnbegriff aller positiven, die moralischen Jnteressen des Menschen betreffenden Wissenschaften. Die Rechts- und Staatslehre mit ihren viel verzweigten Nebenfächern gehört hier eben so her, wie die Geschichte selbst und, was die Geschichte betrifft, auch alles, was in den höhern, spekulativen Wissenschaften, z. B. der Theologie historisch-philologisches Material ist. Jn diesem Gebiete haben sich nun Empirie und Spekulation nicht weniger bestritten, wie im vorigen. Dem positiven Rechte stellte sich ein Naturrecht gegenüber; an die Stelle einer kritischen Behandlung der Geschichte trat beim einen politisch-pragmatische, beim andern eine philosophisch-konstruktive. Ja der ungeheuere Stoff, den die Jahrhunderte aufgestapelt haben und den jeder Tag mit seinen regellosen Erfahrungen aufs Neue vermehrt, erheischte eine Vereinfachung, eine Trennung der Haupt- von den Nebensachen, Licht und Ordnung. War in der Naturwissenschaft das Experiment und die mathematische Formel der Regulator ihrer wüsten und unabsehbaren Mannigfaltigkeit, so ist es im historischen Gebiete die Kritik. Sie trennte die Spreu vom Waizen, sie vertheilte Licht und Schatten in den Massen, ja sie sollte es wenigstens thun, sie sollte nicht am Einzelnen haften, und die Historie aus dem Zustand einer chronikartigen Anhäufung auf guten Glauben überlieferter Thatsachen in den andern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0341" n="339"/> geistigen Gebiete empor, zu dem historischen Fache. <hi rendition="#g">Historie</hi> ist in ihrem weitesten Sinne zu nehmen, als Jnbegriff aller positiven, die moralischen Jnteressen des Menschen betreffenden Wissenschaften. Die Rechts- und Staatslehre mit ihren viel verzweigten Nebenfächern gehört hier eben so her, wie die Geschichte selbst und, was die Geschichte betrifft, auch alles, was in den höhern, spekulativen Wissenschaften, z. B. der Theologie historisch-philologisches Material ist.</p> <p>Jn diesem Gebiete haben sich nun Empirie und Spekulation nicht weniger bestritten, wie im vorigen. Dem positiven Rechte stellte sich ein Naturrecht gegenüber; an die Stelle einer kritischen Behandlung der Geschichte trat beim einen politisch-pragmatische, beim andern eine philosophisch-konstruktive. Ja der ungeheuere Stoff, den die Jahrhunderte aufgestapelt haben und den jeder Tag mit seinen regellosen Erfahrungen aufs Neue vermehrt, erheischte eine Vereinfachung, eine Trennung der Haupt- von den Nebensachen, Licht und Ordnung. War in der Naturwissenschaft das Experiment und die mathematische Formel der Regulator ihrer wüsten und unabsehbaren Mannigfaltigkeit, so ist es im historischen Gebiete die Kritik. Sie trennte die Spreu vom Waizen, sie vertheilte Licht und Schatten in den Massen, ja sie sollte es wenigstens thun, sie sollte nicht am Einzelnen haften, und die Historie aus dem Zustand einer chronikartigen Anhäufung auf guten Glauben überlieferter Thatsachen in den andern </p> </div> </body> </text> </TEI> [339/0341]
geistigen Gebiete empor, zu dem historischen Fache. Historie ist in ihrem weitesten Sinne zu nehmen, als Jnbegriff aller positiven, die moralischen Jnteressen des Menschen betreffenden Wissenschaften. Die Rechts- und Staatslehre mit ihren viel verzweigten Nebenfächern gehört hier eben so her, wie die Geschichte selbst und, was die Geschichte betrifft, auch alles, was in den höhern, spekulativen Wissenschaften, z. B. der Theologie historisch-philologisches Material ist.
Jn diesem Gebiete haben sich nun Empirie und Spekulation nicht weniger bestritten, wie im vorigen. Dem positiven Rechte stellte sich ein Naturrecht gegenüber; an die Stelle einer kritischen Behandlung der Geschichte trat beim einen politisch-pragmatische, beim andern eine philosophisch-konstruktive. Ja der ungeheuere Stoff, den die Jahrhunderte aufgestapelt haben und den jeder Tag mit seinen regellosen Erfahrungen aufs Neue vermehrt, erheischte eine Vereinfachung, eine Trennung der Haupt- von den Nebensachen, Licht und Ordnung. War in der Naturwissenschaft das Experiment und die mathematische Formel der Regulator ihrer wüsten und unabsehbaren Mannigfaltigkeit, so ist es im historischen Gebiete die Kritik. Sie trennte die Spreu vom Waizen, sie vertheilte Licht und Schatten in den Massen, ja sie sollte es wenigstens thun, sie sollte nicht am Einzelnen haften, und die Historie aus dem Zustand einer chronikartigen Anhäufung auf guten Glauben überlieferter Thatsachen in den andern
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/341>, abgerufen am 16.07.2024. |