Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Gentleman, der Jnbegriff des Anstandes und der Selbstbeschränkung, so grell abstechen kann. Jn unserer Presse aber herrscht der Gentleman nicht mehr. Dort ist der Firniß der gesellschaftlichen Bildung wieder abgewischt und die gewaltthätigste Rohheit der unter dem Druck hervorschimmernde Hintergrund. Besonnene Gesetzgeber haben über die Abschaffung dieses Uebels nachgedacht. Allein die Kollision mit dem politischen und parteiischen Theile der Presse hinderte sie immer, der Presse einige vernünftige Schranken zu ziehen. Durch das Zeitungswesen und die Begriffe, die a priori der politischen Opposition zum Grunde liegen, hat der Widerspruch so sehr die Physiognomie eines natürlichen und menschlichen Rechtes bekommen, daß es unmöglich ist, da den Staat und die durch gewisse Gesetze zu bildende bürgerliche Gemeinschaft zu substituiren, wo gerade in dem Bewußtseyn des natürlichen Menschenrechtes der Bewegungsgrund zur Opposition liegen soll. Die Presse ist somit, wie das Lallen des Kindes, der unartikulirte Ausdruck unseres modernen Menschen im Naturzustand, sie gilt als eine ursprüngliche Begleiterin und Amme, ja als das mit Wasser gefüllte Ei, aus welchem der Embryo reif hervorbricht. Die Presse ist hier schon ganz aus dem politischen Gesichtspunkt herausgerückt und gibt unter dem Schutz des Libellgesetzes auch dann erst zur Klage Veranlassung, wenn die Jurisprudenz aus ihr injuriöse Thatbestände entnehmen kann. Es ist eigen mit Gentleman, der Jnbegriff des Anstandes und der Selbstbeschränkung, so grell abstechen kann. Jn unserer Presse aber herrscht der Gentleman nicht mehr. Dort ist der Firniß der gesellschaftlichen Bildung wieder abgewischt und die gewaltthätigste Rohheit der unter dem Druck hervorschimmernde Hintergrund. Besonnene Gesetzgeber haben über die Abschaffung dieses Uebels nachgedacht. Allein die Kollision mit dem politischen und parteiischen Theile der Presse hinderte sie immer, der Presse einige vernünftige Schranken zu ziehen. Durch das Zeitungswesen und die Begriffe, die a priori der politischen Opposition zum Grunde liegen, hat der Widerspruch so sehr die Physiognomie eines natürlichen und menschlichen Rechtes bekommen, daß es unmöglich ist, da den Staat und die durch gewisse Gesetze zu bildende bürgerliche Gemeinschaft zu substituiren, wo gerade in dem Bewußtseyn des natürlichen Menschenrechtes der Bewegungsgrund zur Opposition liegen soll. Die Presse ist somit, wie das Lallen des Kindes, der unartikulirte Ausdruck unseres modernen Menschen im Naturzustand, sie gilt als eine ursprüngliche Begleiterin und Amme, ja als das mit Wasser gefüllte Ei, aus welchem der Embryo reif hervorbricht. Die Presse ist hier schon ganz aus dem politischen Gesichtspunkt herausgerückt und gibt unter dem Schutz des Libellgesetzes auch dann erst zur Klage Veranlassung, wenn die Jurisprudenz aus ihr injuriöse Thatbestände entnehmen kann. Es ist eigen mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0313" n="311"/> Gentleman, der Jnbegriff des Anstandes und der Selbstbeschränkung, so grell abstechen kann. Jn unserer Presse aber herrscht der Gentleman nicht mehr. Dort ist der Firniß der gesellschaftlichen Bildung wieder abgewischt und die gewaltthätigste Rohheit der unter dem Druck hervorschimmernde Hintergrund. Besonnene Gesetzgeber haben über die Abschaffung dieses Uebels nachgedacht. Allein die Kollision mit dem politischen und parteiischen Theile der Presse hinderte sie immer, der Presse einige vernünftige Schranken zu ziehen. Durch das Zeitungswesen und die Begriffe, die <hi rendition="#aq">a priori</hi> der politischen Opposition zum Grunde liegen, hat der Widerspruch so sehr die Physiognomie eines natürlichen und menschlichen Rechtes bekommen, daß es unmöglich ist, da den Staat und die durch gewisse Gesetze zu bildende bürgerliche Gemeinschaft zu substituiren, wo gerade in dem Bewußtseyn des natürlichen Menschenrechtes der Bewegungsgrund zur Opposition liegen soll. Die Presse ist somit, wie das Lallen des Kindes, der unartikulirte Ausdruck unseres modernen Menschen im Naturzustand, sie gilt als eine ursprüngliche Begleiterin und Amme, ja als das mit Wasser gefüllte Ei, aus welchem der Embryo reif hervorbricht. Die Presse ist hier schon ganz aus dem politischen Gesichtspunkt herausgerückt und gibt unter dem Schutz des Libellgesetzes auch dann erst zur Klage Veranlassung, wenn die Jurisprudenz aus ihr injuriöse Thatbestände entnehmen kann. Es ist eigen mit </p> </div> </body> </text> </TEI> [311/0313]
Gentleman, der Jnbegriff des Anstandes und der Selbstbeschränkung, so grell abstechen kann. Jn unserer Presse aber herrscht der Gentleman nicht mehr. Dort ist der Firniß der gesellschaftlichen Bildung wieder abgewischt und die gewaltthätigste Rohheit der unter dem Druck hervorschimmernde Hintergrund. Besonnene Gesetzgeber haben über die Abschaffung dieses Uebels nachgedacht. Allein die Kollision mit dem politischen und parteiischen Theile der Presse hinderte sie immer, der Presse einige vernünftige Schranken zu ziehen. Durch das Zeitungswesen und die Begriffe, die a priori der politischen Opposition zum Grunde liegen, hat der Widerspruch so sehr die Physiognomie eines natürlichen und menschlichen Rechtes bekommen, daß es unmöglich ist, da den Staat und die durch gewisse Gesetze zu bildende bürgerliche Gemeinschaft zu substituiren, wo gerade in dem Bewußtseyn des natürlichen Menschenrechtes der Bewegungsgrund zur Opposition liegen soll. Die Presse ist somit, wie das Lallen des Kindes, der unartikulirte Ausdruck unseres modernen Menschen im Naturzustand, sie gilt als eine ursprüngliche Begleiterin und Amme, ja als das mit Wasser gefüllte Ei, aus welchem der Embryo reif hervorbricht. Die Presse ist hier schon ganz aus dem politischen Gesichtspunkt herausgerückt und gibt unter dem Schutz des Libellgesetzes auch dann erst zur Klage Veranlassung, wenn die Jurisprudenz aus ihr injuriöse Thatbestände entnehmen kann. Es ist eigen mit
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