Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Aus dem skeptischen Geiste des vorigen Jahrhunderts, vielleicht auch aus dem Gefühl, daß eine Wiedererweckung vieler zu Anfang unsres Jahrhunderts beliebt werdender antikromantischer Studien in der Poesie nur einen dilettantischen Beigeschmack habe und ohne wesentliche Realität für das Genie sey, entsprang jene eigenthümliche Jronie, welche wir auf Kunstwerken der vergangenen Epoche oft mit reizender Zartheit haben hingehaucht gesehen. Diese Jronie milderte den Ernst und ließ auch dem Scherze eine Hinterthür zum Ernste wieder offen. Sie war in Gestalt des Humors eine köstliche Neuerung, die dem modernen Zeitalter angehörte. Später, wo ihr nicht mehr bloß das menschliche Gemüth, überhaupt die psychologische Erfahrung zum Grunde lag und sich, wie wir schon sagten, der Geschmack befestigte, bekam die Jronie einen antiken Charakter und wurde nicht bloß in den Reden des Sokrates, sondern auch auf den antiken Bildwerken, wo ich freilich gestehe, sie nicht finden zu können, wiedergefunden. Diese moderne Jronie war die behagliche Folge einer üppig genießenden Kunstanschauung. Sie wirkte bei Göthe großartig: sie konnte aber auch bei kleineren Geistern die größte Feindin des Schönen werden, sie konnte der Mittelmäßigkeit einen Anstrich von exclusiver Abrundung geben. Sie entwöhnte das Publikum von dem Ernste. Sie machte die wichtigsten Fragen zum Spielzeuge eines Witzes, der nur der Form Aus dem skeptischen Geiste des vorigen Jahrhunderts, vielleicht auch aus dem Gefühl, daß eine Wiedererweckung vieler zu Anfang unsres Jahrhunderts beliebt werdender antikromantischer Studien in der Poesie nur einen dilettantischen Beigeschmack habe und ohne wesentliche Realität für das Genie sey, entsprang jene eigenthümliche Jronie, welche wir auf Kunstwerken der vergangenen Epoche oft mit reizender Zartheit haben hingehaucht gesehen. Diese Jronie milderte den Ernst und ließ auch dem Scherze eine Hinterthür zum Ernste wieder offen. Sie war in Gestalt des Humors eine köstliche Neuerung, die dem modernen Zeitalter angehörte. Später, wo ihr nicht mehr bloß das menschliche Gemüth, überhaupt die psychologische Erfahrung zum Grunde lag und sich, wie wir schon sagten, der Geschmack befestigte, bekam die Jronie einen antiken Charakter und wurde nicht bloß in den Reden des Sokrates, sondern auch auf den antiken Bildwerken, wo ich freilich gestehe, sie nicht finden zu können, wiedergefunden. Diese moderne Jronie war die behagliche Folge einer üppig genießenden Kunstanschauung. Sie wirkte bei Göthe großartig: sie konnte aber auch bei kleineren Geistern die größte Feindin des Schönen werden, sie konnte der Mittelmäßigkeit einen Anstrich von exclusiver Abrundung geben. Sie entwöhnte das Publikum von dem Ernste. Sie machte die wichtigsten Fragen zum Spielzeuge eines Witzes, der nur der Form <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0292" n="290"/> <p> Aus dem skeptischen Geiste des vorigen Jahrhunderts, vielleicht auch aus dem Gefühl, daß eine Wiedererweckung vieler zu Anfang unsres Jahrhunderts beliebt werdender antikromantischer Studien in der Poesie nur einen dilettantischen Beigeschmack habe und ohne wesentliche Realität für das Genie sey, entsprang jene eigenthümliche <hi rendition="#g">Jronie</hi>, welche wir auf Kunstwerken der vergangenen Epoche oft mit reizender Zartheit haben hingehaucht gesehen. Diese Jronie milderte den Ernst und ließ auch dem Scherze eine Hinterthür zum Ernste wieder offen. Sie war in Gestalt des Humors eine köstliche Neuerung, die dem modernen Zeitalter angehörte. Später, wo ihr nicht mehr bloß das menschliche Gemüth, überhaupt die psychologische Erfahrung zum Grunde lag und sich, wie wir schon sagten, der Geschmack befestigte, bekam die Jronie einen antiken Charakter und wurde nicht bloß in den Reden des <hi rendition="#g">Sokrates</hi>, sondern auch auf den antiken Bildwerken, wo ich freilich gestehe, sie nicht finden zu können, wiedergefunden. Diese moderne Jronie war die behagliche Folge einer üppig genießenden Kunstanschauung. Sie wirkte bei Göthe großartig: sie konnte aber auch bei kleineren Geistern die größte Feindin des Schönen werden, sie konnte der Mittelmäßigkeit einen Anstrich von exclusiver Abrundung geben. Sie entwöhnte das Publikum von dem Ernste. Sie machte die wichtigsten Fragen zum Spielzeuge eines Witzes, der nur der Form </p> </div> </body> </text> </TEI> [290/0292]
Aus dem skeptischen Geiste des vorigen Jahrhunderts, vielleicht auch aus dem Gefühl, daß eine Wiedererweckung vieler zu Anfang unsres Jahrhunderts beliebt werdender antikromantischer Studien in der Poesie nur einen dilettantischen Beigeschmack habe und ohne wesentliche Realität für das Genie sey, entsprang jene eigenthümliche Jronie, welche wir auf Kunstwerken der vergangenen Epoche oft mit reizender Zartheit haben hingehaucht gesehen. Diese Jronie milderte den Ernst und ließ auch dem Scherze eine Hinterthür zum Ernste wieder offen. Sie war in Gestalt des Humors eine köstliche Neuerung, die dem modernen Zeitalter angehörte. Später, wo ihr nicht mehr bloß das menschliche Gemüth, überhaupt die psychologische Erfahrung zum Grunde lag und sich, wie wir schon sagten, der Geschmack befestigte, bekam die Jronie einen antiken Charakter und wurde nicht bloß in den Reden des Sokrates, sondern auch auf den antiken Bildwerken, wo ich freilich gestehe, sie nicht finden zu können, wiedergefunden. Diese moderne Jronie war die behagliche Folge einer üppig genießenden Kunstanschauung. Sie wirkte bei Göthe großartig: sie konnte aber auch bei kleineren Geistern die größte Feindin des Schönen werden, sie konnte der Mittelmäßigkeit einen Anstrich von exclusiver Abrundung geben. Sie entwöhnte das Publikum von dem Ernste. Sie machte die wichtigsten Fragen zum Spielzeuge eines Witzes, der nur der Form
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/292>, abgerufen am 16.02.2025. |