Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.verlangt reflektive Basreliefs, ja wohl eine tendentiöse Jdee als Postament des Ganzen. Wie in alten Zeiten das Drama alle Gattungen der Poesie in sich vereinigte, so soll jezt der Roman von dem Wesen aller derselben einen Anklang geben, so daß die Poesie des Reimes jezt weit weniger kultivirt und beliebt ist, als die in prosaischer Form auftretende, wo das dichterische in dem schönen Jneinanderspiel von Kunst und Leben liegen muß. Die meisten poetischen Talente absorbirt der Roman und die allgemein zugestandene Erfahrung, daß zu einem guten Gedichte weit weniger Talent gehört, als zu einem guten Romane, hat auch gemacht, daß man den Leztern mehr als das Erstere für den Prüfstein des Genies hält. Daß ein Romanendichter kein gutes lyrisches Gedicht machen kann, wird ihm weit weniger nachgetragen, als wenn ein Lyriker gestände, daß er es nicht über sich vermöchte, einen wohlgefügten Roman zu schreiben. Leider ist nur der Roman sehr der Verfälschung ausgesezt. Wie oft ist seine Erfindung spannend und hält doch nicht die poetische Nagelprobe aus? Und wie mancher durch und durch poetische Roman verfehlt es in der Fabel und den spannenden Situationen. Man muß dreierlei Gattungen der gegenwärtigen Romanendichtung unterscheiden. Der historische Roman hing innerlichst mit einer Zeit zusammen, wo eben erst ein großes Kriegstheater eingepackt und eine große historische Katastrophe zur Abrundung reif verlangt reflektive Basreliefs, ja wohl eine tendentiöse Jdee als Postament des Ganzen. Wie in alten Zeiten das Drama alle Gattungen der Poesie in sich vereinigte, so soll jezt der Roman von dem Wesen aller derselben einen Anklang geben, so daß die Poesie des Reimes jezt weit weniger kultivirt und beliebt ist, als die in prosaischer Form auftretende, wo das dichterische in dem schönen Jneinanderspiel von Kunst und Leben liegen muß. Die meisten poetischen Talente absorbirt der Roman und die allgemein zugestandene Erfahrung, daß zu einem guten Gedichte weit weniger Talent gehört, als zu einem guten Romane, hat auch gemacht, daß man den Leztern mehr als das Erstere für den Prüfstein des Genies hält. Daß ein Romanendichter kein gutes lyrisches Gedicht machen kann, wird ihm weit weniger nachgetragen, als wenn ein Lyriker gestände, daß er es nicht über sich vermöchte, einen wohlgefügten Roman zu schreiben. Leider ist nur der Roman sehr der Verfälschung ausgesezt. Wie oft ist seine Erfindung spannend und hält doch nicht die poetische Nagelprobe aus? Und wie mancher durch und durch poetische Roman verfehlt es in der Fabel und den spannenden Situationen. Man muß dreierlei Gattungen der gegenwärtigen Romanendichtung unterscheiden. Der historische Roman hing innerlichst mit einer Zeit zusammen, wo eben erst ein großes Kriegstheater eingepackt und eine große historische Katastrophe zur Abrundung reif <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0287" n="285"/> verlangt reflektive Basreliefs, ja wohl eine tendentiöse Jdee als Postament des Ganzen. Wie in alten Zeiten das Drama alle Gattungen der Poesie in sich vereinigte, so soll jezt der Roman von dem Wesen aller derselben einen Anklang geben, so daß die Poesie des Reimes jezt weit weniger kultivirt und beliebt ist, als die in prosaischer Form auftretende, wo das dichterische in dem schönen Jneinanderspiel von Kunst und Leben liegen muß. Die meisten poetischen Talente absorbirt der Roman und die allgemein zugestandene Erfahrung, daß zu einem guten Gedichte weit weniger Talent gehört, als zu einem guten Romane, hat auch gemacht, daß man den Leztern mehr als das Erstere für den Prüfstein des Genies hält. Daß ein Romanendichter kein gutes lyrisches Gedicht machen kann, wird ihm weit weniger nachgetragen, als wenn ein Lyriker gestände, daß er es nicht über sich vermöchte, einen wohlgefügten Roman zu schreiben. Leider ist nur der Roman sehr der Verfälschung ausgesezt. Wie oft ist seine Erfindung spannend und hält doch nicht die poetische Nagelprobe aus? Und wie mancher durch und durch poetische Roman verfehlt es in der Fabel und den spannenden Situationen.</p> <p>Man muß dreierlei Gattungen der gegenwärtigen Romanendichtung unterscheiden. <hi rendition="#g">Der historische Roman</hi> hing innerlichst mit einer Zeit zusammen, wo eben erst ein großes Kriegstheater eingepackt und eine große historische Katastrophe zur Abrundung reif </p> </div> </body> </text> </TEI> [285/0287]
verlangt reflektive Basreliefs, ja wohl eine tendentiöse Jdee als Postament des Ganzen. Wie in alten Zeiten das Drama alle Gattungen der Poesie in sich vereinigte, so soll jezt der Roman von dem Wesen aller derselben einen Anklang geben, so daß die Poesie des Reimes jezt weit weniger kultivirt und beliebt ist, als die in prosaischer Form auftretende, wo das dichterische in dem schönen Jneinanderspiel von Kunst und Leben liegen muß. Die meisten poetischen Talente absorbirt der Roman und die allgemein zugestandene Erfahrung, daß zu einem guten Gedichte weit weniger Talent gehört, als zu einem guten Romane, hat auch gemacht, daß man den Leztern mehr als das Erstere für den Prüfstein des Genies hält. Daß ein Romanendichter kein gutes lyrisches Gedicht machen kann, wird ihm weit weniger nachgetragen, als wenn ein Lyriker gestände, daß er es nicht über sich vermöchte, einen wohlgefügten Roman zu schreiben. Leider ist nur der Roman sehr der Verfälschung ausgesezt. Wie oft ist seine Erfindung spannend und hält doch nicht die poetische Nagelprobe aus? Und wie mancher durch und durch poetische Roman verfehlt es in der Fabel und den spannenden Situationen.
Man muß dreierlei Gattungen der gegenwärtigen Romanendichtung unterscheiden. Der historische Roman hing innerlichst mit einer Zeit zusammen, wo eben erst ein großes Kriegstheater eingepackt und eine große historische Katastrophe zur Abrundung reif
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/287 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/287>, abgerufen am 16.02.2025. |