Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.von blos äußerlichen Tendenzen sich dabei lossagt. Die französische Schule wird hier mit der deutschen zusammentreffen. Die Deutschen können von den Franzosen Komposition, die Franzosen von den Deutschen Färbung lernen. Die deutsche Malerschule ahnt das Schöne, hat es auch vor Augen und gibt es im Gemälde wieder; allein noch verhüllen viel Flöre ihre Anschauung; es liegt eine gewisse Unbestimmtheit in Allem, was sie noch bis jezt geschaffen haben. Die Malerei der Deutschen ist mehr religiös, die der Franzosen mehr weltlich; vielleicht lernen leztere von den erstern die Welt ein wenig tiefer fassen und diese von jenen das Religiöse und Jdeale überall finden und selbst in dem, was oft blos für weltlich gilt. Die Musik ist so allgemein verbreitet, daß man gar nicht mehr unterscheiden kann, wo sie aufhört als Bildungsmittel, und anfängt, Kunst zu seyn. Jhre Fähigkeit wird in den Schulen gelehrt, selbst die Komposition wird von vielen wie eine Spielerei getrieben. Wahrscheinlich wird die Kunst in der Musik da anfangen sollen, wo sie sich öffentlich gibt, in diesem Sinne kann man wohl sagen, daß das vorige Jahrhundert für die Musik mehr Genialität besaß und das Unsrige mehr Virtuosität. Die Musik des achtzehnten Jahrhunderts hatte mehr Charakter als die Unsrige. Jn der Musik scheint es fast, als gebührte dem achtzehnten Jahrhundert der Beiname des spekulativen und dem neunzehnten der des von blos äußerlichen Tendenzen sich dabei lossagt. Die französische Schule wird hier mit der deutschen zusammentreffen. Die Deutschen können von den Franzosen Komposition, die Franzosen von den Deutschen Färbung lernen. Die deutsche Malerschule ahnt das Schöne, hat es auch vor Augen und gibt es im Gemälde wieder; allein noch verhüllen viel Flöre ihre Anschauung; es liegt eine gewisse Unbestimmtheit in Allem, was sie noch bis jezt geschaffen haben. Die Malerei der Deutschen ist mehr religiös, die der Franzosen mehr weltlich; vielleicht lernen leztere von den erstern die Welt ein wenig tiefer fassen und diese von jenen das Religiöse und Jdeale überall finden und selbst in dem, was oft blos für weltlich gilt. Die Musik ist so allgemein verbreitet, daß man gar nicht mehr unterscheiden kann, wo sie aufhört als Bildungsmittel, und anfängt, Kunst zu seyn. Jhre Fähigkeit wird in den Schulen gelehrt, selbst die Komposition wird von vielen wie eine Spielerei getrieben. Wahrscheinlich wird die Kunst in der Musik da anfangen sollen, wo sie sich öffentlich gibt, in diesem Sinne kann man wohl sagen, daß das vorige Jahrhundert für die Musik mehr Genialität besaß und das Unsrige mehr Virtuosität. Die Musik des achtzehnten Jahrhunderts hatte mehr Charakter als die Unsrige. Jn der Musik scheint es fast, als gebührte dem achtzehnten Jahrhundert der Beiname des spekulativen und dem neunzehnten der des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0275" n="273"/> von blos äußerlichen Tendenzen sich dabei lossagt. Die französische Schule wird hier mit der deutschen zusammentreffen. Die Deutschen können von den Franzosen Komposition, die Franzosen von den Deutschen Färbung lernen. Die deutsche Malerschule ahnt das Schöne, hat es auch vor Augen und gibt es im Gemälde wieder; allein noch verhüllen viel Flöre ihre Anschauung; es liegt eine gewisse Unbestimmtheit in Allem, was sie noch bis jezt geschaffen haben. Die Malerei der Deutschen ist mehr religiös, die der Franzosen mehr weltlich; vielleicht lernen leztere von den erstern die Welt ein wenig tiefer fassen und diese von jenen das Religiöse und Jdeale überall finden und selbst in dem, was oft blos für weltlich gilt.</p> <p>Die Musik ist so allgemein verbreitet, daß man gar nicht mehr unterscheiden kann, wo sie aufhört als Bildungsmittel, und anfängt, Kunst zu seyn. Jhre Fähigkeit wird in den Schulen gelehrt, selbst die Komposition wird von vielen wie eine Spielerei getrieben. Wahrscheinlich wird die Kunst in der Musik da anfangen sollen, wo sie sich <hi rendition="#g">öffentlich</hi> gibt, in diesem Sinne kann man wohl sagen, daß das vorige Jahrhundert für die Musik mehr Genialität besaß und das Unsrige mehr Virtuosität. Die Musik des achtzehnten Jahrhunderts hatte mehr Charakter als die Unsrige. Jn der <hi rendition="#g">Musik</hi> scheint es fast, als gebührte dem achtzehnten Jahrhundert der Beiname des <hi rendition="#g">spekulativen</hi> und dem neunzehnten der des </p> </div> </body> </text> </TEI> [273/0275]
von blos äußerlichen Tendenzen sich dabei lossagt. Die französische Schule wird hier mit der deutschen zusammentreffen. Die Deutschen können von den Franzosen Komposition, die Franzosen von den Deutschen Färbung lernen. Die deutsche Malerschule ahnt das Schöne, hat es auch vor Augen und gibt es im Gemälde wieder; allein noch verhüllen viel Flöre ihre Anschauung; es liegt eine gewisse Unbestimmtheit in Allem, was sie noch bis jezt geschaffen haben. Die Malerei der Deutschen ist mehr religiös, die der Franzosen mehr weltlich; vielleicht lernen leztere von den erstern die Welt ein wenig tiefer fassen und diese von jenen das Religiöse und Jdeale überall finden und selbst in dem, was oft blos für weltlich gilt.
Die Musik ist so allgemein verbreitet, daß man gar nicht mehr unterscheiden kann, wo sie aufhört als Bildungsmittel, und anfängt, Kunst zu seyn. Jhre Fähigkeit wird in den Schulen gelehrt, selbst die Komposition wird von vielen wie eine Spielerei getrieben. Wahrscheinlich wird die Kunst in der Musik da anfangen sollen, wo sie sich öffentlich gibt, in diesem Sinne kann man wohl sagen, daß das vorige Jahrhundert für die Musik mehr Genialität besaß und das Unsrige mehr Virtuosität. Die Musik des achtzehnten Jahrhunderts hatte mehr Charakter als die Unsrige. Jn der Musik scheint es fast, als gebührte dem achtzehnten Jahrhundert der Beiname des spekulativen und dem neunzehnten der des
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/275 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/275>, abgerufen am 16.02.2025. |