Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Vorarbeiten bedarf. Trifft man hier nicht die höchste Fertigkeit bei Ungebildeten an? Selbst Komponisten gibt es, die die schönsten Notensätze, aber keinen richtigen Satz in einem Briefe schreiben. Keine Kunst isolirt sich so sehr, als die Musik. Die Musiker haben die Wirkung ihres Talentes immer gleich in der Nähe und sind an unbedingten Tadel nicht gewöhnt, da ein Theil von Beifall doch immer gespendet wird, wenn auch nur dem Jnstrument, das so schön klingt, und den Noten, die doch immer einen harmonischen Zusammenhang haben. Unter den Weibern sind vielleicht die Sängerinnen theilweise die ungeschlachtesten. Sie reiten und fahren, sie trinken Bier und reißen Zoten. Jhre Stimme ist himmlisch, ihre Bildung höllisch. Jedenfalls liegt diese Rohheit der Musiker in der außerordentlichen Anstrengung, welche zu tüchtigen musikalischen Leistungen heute erfordert wird. Keine Kunst nimmt die unermüdliche Hingebung ihres Schülers so sehr in Anspruch. Man muß von Kindheit auf für sein Jnstrument ausschließlich erzogen seyn; da bleibt keine andere Erholung übrig, als die einer allgemeinen Abspannung der geistigen Kräfte. Wer an der einseitigen Ausbildung für ein Jnstrument verzweifelt, flüchtet sich zulezt zur Komposition. Die Komponisten bewegen sich entweder im reinen Gebiete des Tons, indem sie Quartette oder Concerte schreiben, aber sie müssen sich an die Dichtung anlehnen, wo ihre Sorge nur darin besteht, gute Texte zu Vorarbeiten bedarf. Trifft man hier nicht die höchste Fertigkeit bei Ungebildeten an? Selbst Komponisten gibt es, die die schönsten Notensätze, aber keinen richtigen Satz in einem Briefe schreiben. Keine Kunst isolirt sich so sehr, als die Musik. Die Musiker haben die Wirkung ihres Talentes immer gleich in der Nähe und sind an unbedingten Tadel nicht gewöhnt, da ein Theil von Beifall doch immer gespendet wird, wenn auch nur dem Jnstrument, das so schön klingt, und den Noten, die doch immer einen harmonischen Zusammenhang haben. Unter den Weibern sind vielleicht die Sängerinnen theilweise die ungeschlachtesten. Sie reiten und fahren, sie trinken Bier und reißen Zoten. Jhre Stimme ist himmlisch, ihre Bildung höllisch. Jedenfalls liegt diese Rohheit der Musiker in der außerordentlichen Anstrengung, welche zu tüchtigen musikalischen Leistungen heute erfordert wird. Keine Kunst nimmt die unermüdliche Hingebung ihres Schülers so sehr in Anspruch. Man muß von Kindheit auf für sein Jnstrument ausschließlich erzogen seyn; da bleibt keine andere Erholung übrig, als die einer allgemeinen Abspannung der geistigen Kräfte. Wer an der einseitigen Ausbildung für ein Jnstrument verzweifelt, flüchtet sich zulezt zur Komposition. Die Komponisten bewegen sich entweder im reinen Gebiete des Tons, indem sie Quartette oder Concerte schreiben, aber sie müssen sich an die Dichtung anlehnen, wo ihre Sorge nur darin besteht, gute Texte zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0259" n="257"/> Vorarbeiten bedarf. Trifft man hier nicht die höchste Fertigkeit bei Ungebildeten an? Selbst Komponisten gibt es, die die schönsten Notensätze, aber keinen richtigen Satz in einem Briefe schreiben. Keine Kunst isolirt sich so sehr, als die Musik. Die Musiker haben die Wirkung ihres Talentes immer gleich in der Nähe und sind an unbedingten Tadel nicht gewöhnt, da ein Theil von Beifall doch immer gespendet wird, wenn auch nur dem Jnstrument, das so schön klingt, und den Noten, die doch immer einen harmonischen Zusammenhang haben. Unter den Weibern sind vielleicht die Sängerinnen theilweise die ungeschlachtesten. Sie reiten und fahren, sie trinken Bier und reißen Zoten. Jhre Stimme ist himmlisch, ihre Bildung höllisch. Jedenfalls liegt diese Rohheit der Musiker in der außerordentlichen Anstrengung, welche zu tüchtigen musikalischen Leistungen heute erfordert wird. Keine Kunst nimmt die unermüdliche Hingebung ihres Schülers so sehr in Anspruch. Man muß von Kindheit auf für sein Jnstrument ausschließlich erzogen seyn; da bleibt keine andere Erholung übrig, als die einer allgemeinen Abspannung der geistigen Kräfte. Wer an der einseitigen Ausbildung für ein Jnstrument verzweifelt, flüchtet sich zulezt zur Komposition. Die Komponisten bewegen sich entweder im reinen Gebiete des Tons, indem sie Quartette oder Concerte schreiben, aber sie müssen sich an die Dichtung anlehnen, wo ihre Sorge nur darin besteht, gute Texte zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [257/0259]
Vorarbeiten bedarf. Trifft man hier nicht die höchste Fertigkeit bei Ungebildeten an? Selbst Komponisten gibt es, die die schönsten Notensätze, aber keinen richtigen Satz in einem Briefe schreiben. Keine Kunst isolirt sich so sehr, als die Musik. Die Musiker haben die Wirkung ihres Talentes immer gleich in der Nähe und sind an unbedingten Tadel nicht gewöhnt, da ein Theil von Beifall doch immer gespendet wird, wenn auch nur dem Jnstrument, das so schön klingt, und den Noten, die doch immer einen harmonischen Zusammenhang haben. Unter den Weibern sind vielleicht die Sängerinnen theilweise die ungeschlachtesten. Sie reiten und fahren, sie trinken Bier und reißen Zoten. Jhre Stimme ist himmlisch, ihre Bildung höllisch. Jedenfalls liegt diese Rohheit der Musiker in der außerordentlichen Anstrengung, welche zu tüchtigen musikalischen Leistungen heute erfordert wird. Keine Kunst nimmt die unermüdliche Hingebung ihres Schülers so sehr in Anspruch. Man muß von Kindheit auf für sein Jnstrument ausschließlich erzogen seyn; da bleibt keine andere Erholung übrig, als die einer allgemeinen Abspannung der geistigen Kräfte. Wer an der einseitigen Ausbildung für ein Jnstrument verzweifelt, flüchtet sich zulezt zur Komposition. Die Komponisten bewegen sich entweder im reinen Gebiete des Tons, indem sie Quartette oder Concerte schreiben, aber sie müssen sich an die Dichtung anlehnen, wo ihre Sorge nur darin besteht, gute Texte zu
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/259>, abgerufen am 16.02.2025. |