Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Gesetz die Sitte nicht überwunden gehabt, sondern alle Welt war froh, sein Haar jezt wieder wachsen zu lassen, wie die Natur es wollte oder wenigstens das pariser Modejournal. Wenn ich bisher von der Moral gesprochen habe, so muß man, wenn man sie für die Beherrscherin der gegenwärtigen Sitte halten soll, sie nicht aus jenen abstrakten Lehrgebäuden schöpfen, welche uns das vorige Jahrhundert über die Rechte und Pflichten des Menschen gebracht hat. Die moralischen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts haben, indem sie den abstrakten Menschen schilderten, eine große Wirksamkeit auf die Meinungen der Menschen ausgeübt. Durch die Schriften Fergusons wurden die Sophismen untergraben, welche bisher das Recht zur Sklaverei beschüzt hatten. Die allgemein menschlichen Vorschriften waren in jener Zeit etwas so neues, daß man über den Jnhalt derselben ihre unerträglich weitläufige Form und eine gewisse Trivialität, die sich in alle ihre Sätze mischte, ganz übersah. Wer kann jezt noch die Schriften Rutherforts, Payley's, ja selbst die Schrift Smiths über die moralischen Empfindungen ohne das Gefühl einer kolossalen Langweiligkeit lesen! Dennoch haben diese Schriften für unsre Zeit bewirkt, daß sie in allen Gemüthern das Bewußtseyn des kategorischen Jmperativs lebendig erweckt haben. Jene Schriftsteller strebten nach Prinzipien; sie mühten sich mit dem schon von Aristoteles auf das Tapet gebrachten Gesetz die Sitte nicht überwunden gehabt, sondern alle Welt war froh, sein Haar jezt wieder wachsen zu lassen, wie die Natur es wollte oder wenigstens das pariser Modejournal. Wenn ich bisher von der Moral gesprochen habe, so muß man, wenn man sie für die Beherrscherin der gegenwärtigen Sitte halten soll, sie nicht aus jenen abstrakten Lehrgebäuden schöpfen, welche uns das vorige Jahrhundert über die Rechte und Pflichten des Menschen gebracht hat. Die moralischen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts haben, indem sie den abstrakten Menschen schilderten, eine große Wirksamkeit auf die Meinungen der Menschen ausgeübt. Durch die Schriften Fergusons wurden die Sophismen untergraben, welche bisher das Recht zur Sklaverei beschüzt hatten. Die allgemein menschlichen Vorschriften waren in jener Zeit etwas so neues, daß man über den Jnhalt derselben ihre unerträglich weitläufige Form und eine gewisse Trivialität, die sich in alle ihre Sätze mischte, ganz übersah. Wer kann jezt noch die Schriften Rutherforts, Payley’s, ja selbst die Schrift Smiths über die moralischen Empfindungen ohne das Gefühl einer kolossalen Langweiligkeit lesen! Dennoch haben diese Schriften für unsre Zeit bewirkt, daß sie in allen Gemüthern das Bewußtseyn des kategorischen Jmperativs lebendig erweckt haben. Jene Schriftsteller strebten nach Prinzipien; sie mühten sich mit dem schon von Aristoteles auf das Tapet gebrachten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024" n="22"/> Gesetz die Sitte nicht überwunden gehabt, sondern alle Welt war froh, sein Haar jezt wieder wachsen zu lassen, wie die Natur es wollte oder wenigstens das pariser Modejournal.</p> <p>Wenn ich bisher von der Moral gesprochen habe, so muß man, wenn man sie für die Beherrscherin der gegenwärtigen Sitte halten soll, sie nicht aus jenen abstrakten Lehrgebäuden schöpfen, welche uns das vorige Jahrhundert über die Rechte und Pflichten des Menschen gebracht hat. Die moralischen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts haben, indem sie den abstrakten Menschen schilderten, eine große Wirksamkeit auf die Meinungen der Menschen ausgeübt. Durch die Schriften <hi rendition="#g">Fergusons</hi> wurden die Sophismen untergraben, welche bisher das Recht zur Sklaverei beschüzt hatten. Die allgemein menschlichen Vorschriften waren in jener Zeit etwas so neues, daß man über den Jnhalt derselben ihre unerträglich weitläufige Form und eine gewisse Trivialität, die sich in alle ihre Sätze mischte, ganz übersah. Wer kann jezt noch die Schriften <hi rendition="#g">Rutherforts</hi>, <hi rendition="#g">Payley’s</hi>, ja selbst die Schrift <hi rendition="#g">Smiths</hi> über die moralischen Empfindungen ohne das Gefühl einer kolossalen Langweiligkeit lesen! Dennoch haben diese Schriften für unsre Zeit bewirkt, daß sie in allen Gemüthern das Bewußtseyn des kategorischen Jmperativs lebendig erweckt haben. Jene Schriftsteller strebten nach Prinzipien; sie mühten sich mit dem schon von <hi rendition="#g">Aristoteles</hi> auf das Tapet gebrachten </p> </div> </body> </text> </TEI> [22/0024]
Gesetz die Sitte nicht überwunden gehabt, sondern alle Welt war froh, sein Haar jezt wieder wachsen zu lassen, wie die Natur es wollte oder wenigstens das pariser Modejournal.
Wenn ich bisher von der Moral gesprochen habe, so muß man, wenn man sie für die Beherrscherin der gegenwärtigen Sitte halten soll, sie nicht aus jenen abstrakten Lehrgebäuden schöpfen, welche uns das vorige Jahrhundert über die Rechte und Pflichten des Menschen gebracht hat. Die moralischen Schriftsteller des vergangenen Jahrhunderts haben, indem sie den abstrakten Menschen schilderten, eine große Wirksamkeit auf die Meinungen der Menschen ausgeübt. Durch die Schriften Fergusons wurden die Sophismen untergraben, welche bisher das Recht zur Sklaverei beschüzt hatten. Die allgemein menschlichen Vorschriften waren in jener Zeit etwas so neues, daß man über den Jnhalt derselben ihre unerträglich weitläufige Form und eine gewisse Trivialität, die sich in alle ihre Sätze mischte, ganz übersah. Wer kann jezt noch die Schriften Rutherforts, Payley’s, ja selbst die Schrift Smiths über die moralischen Empfindungen ohne das Gefühl einer kolossalen Langweiligkeit lesen! Dennoch haben diese Schriften für unsre Zeit bewirkt, daß sie in allen Gemüthern das Bewußtseyn des kategorischen Jmperativs lebendig erweckt haben. Jene Schriftsteller strebten nach Prinzipien; sie mühten sich mit dem schon von Aristoteles auf das Tapet gebrachten
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