Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.sondern eine lange, heftige, gläubige Apostrophe an Gott und an Jesus, sie beten sich den Himmel auf die Erde herunter und können in den Zumuthungen, die sie an den Himmel stellen, oft gar nicht wieder das Ende finden. Darauf werden denn nicht selten Angelegenheiten der kleinen Gemeinde zur Sprache gebracht; sie steht im Briefwechsel mit andern, sie hat einen Missionär unter die Heiden gesandt, sie erhält einen Brief von ihm, worin er die Bekehrung eines Neuholländers meldet; man schickt sich zum Gebet an für den Neuholländer und dekretirt, dem Missionär zu antworten und ihm zu sagen, daß hundert Männer ihn und seinen Täufling in ihr Gebet einschließen wollten. Darauf wird irgend eine Stelle der Bibel vom Redner mit einer frommen Weitschweifigkeit umschrieben. Diese Redner, welche größtentheils nur Handwerker, bisweilen Schulmeister sind (seltner Gelehrte und Staatsbeamte) haben nicht den Scharfblick, sich aus einer Stelle der Bibel einen Hauptgedanken zu entnehmen, dann die Bibel zu verlassen und nur durch die Behandlung des Themas allmälig wieder auf sie zurückzukommen. Dies würde ihnen zu schwer werden; sie können sich keinen Augenblick von dem theuern Buch entfernen, sondern nehmen Vers für Vers durch, erweitern seinen Jnhalt, geben ihm einige Nutzanwendungen, wobei höchstens das Gesangbuch als Aushilfe der Bibel citirt wird, und schließen dann die Versammlung wieder mit Gebet und Gesang. sondern eine lange, heftige, gläubige Apostrophe an Gott und an Jesus, sie beten sich den Himmel auf die Erde herunter und können in den Zumuthungen, die sie an den Himmel stellen, oft gar nicht wieder das Ende finden. Darauf werden denn nicht selten Angelegenheiten der kleinen Gemeinde zur Sprache gebracht; sie steht im Briefwechsel mit andern, sie hat einen Missionär unter die Heiden gesandt, sie erhält einen Brief von ihm, worin er die Bekehrung eines Neuholländers meldet; man schickt sich zum Gebet an für den Neuholländer und dekretirt, dem Missionär zu antworten und ihm zu sagen, daß hundert Männer ihn und seinen Täufling in ihr Gebet einschließen wollten. Darauf wird irgend eine Stelle der Bibel vom Redner mit einer frommen Weitschweifigkeit umschrieben. Diese Redner, welche größtentheils nur Handwerker, bisweilen Schulmeister sind (seltner Gelehrte und Staatsbeamte) haben nicht den Scharfblick, sich aus einer Stelle der Bibel einen Hauptgedanken zu entnehmen, dann die Bibel zu verlassen und nur durch die Behandlung des Themas allmälig wieder auf sie zurückzukommen. Dies würde ihnen zu schwer werden; sie können sich keinen Augenblick von dem theuern Buch entfernen, sondern nehmen Vers für Vers durch, erweitern seinen Jnhalt, geben ihm einige Nutzanwendungen, wobei höchstens das Gesangbuch als Aushilfe der Bibel citirt wird, und schließen dann die Versammlung wieder mit Gebet und Gesang. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0203" n="201"/> sondern eine lange, heftige, gläubige Apostrophe an Gott und an Jesus, sie beten sich den Himmel auf die Erde herunter und können in den Zumuthungen, die sie an den Himmel stellen, oft gar nicht wieder das Ende finden. Darauf werden denn nicht selten Angelegenheiten der kleinen Gemeinde zur Sprache gebracht; sie steht im Briefwechsel mit andern, sie hat einen Missionär unter die Heiden gesandt, sie erhält einen Brief von ihm, worin er die Bekehrung eines Neuholländers meldet; man schickt sich zum Gebet an für den Neuholländer und dekretirt, dem Missionär zu antworten und ihm zu sagen, daß hundert Männer ihn und seinen Täufling in ihr Gebet einschließen wollten. Darauf wird irgend eine Stelle der Bibel vom Redner mit einer frommen Weitschweifigkeit umschrieben. Diese Redner, welche größtentheils nur Handwerker, bisweilen Schulmeister sind (seltner Gelehrte und Staatsbeamte) haben nicht den Scharfblick, sich aus einer Stelle der Bibel einen Hauptgedanken zu entnehmen, dann die Bibel zu verlassen und nur durch die Behandlung des Themas allmälig wieder auf sie zurückzukommen. Dies würde ihnen zu schwer werden; sie können sich keinen Augenblick von dem theuern Buch entfernen, sondern nehmen Vers für Vers durch, erweitern seinen Jnhalt, geben ihm einige Nutzanwendungen, wobei höchstens das Gesangbuch als Aushilfe der Bibel citirt wird, und schließen dann die Versammlung wieder mit Gebet und Gesang. </p> </div> </body> </text> </TEI> [201/0203]
sondern eine lange, heftige, gläubige Apostrophe an Gott und an Jesus, sie beten sich den Himmel auf die Erde herunter und können in den Zumuthungen, die sie an den Himmel stellen, oft gar nicht wieder das Ende finden. Darauf werden denn nicht selten Angelegenheiten der kleinen Gemeinde zur Sprache gebracht; sie steht im Briefwechsel mit andern, sie hat einen Missionär unter die Heiden gesandt, sie erhält einen Brief von ihm, worin er die Bekehrung eines Neuholländers meldet; man schickt sich zum Gebet an für den Neuholländer und dekretirt, dem Missionär zu antworten und ihm zu sagen, daß hundert Männer ihn und seinen Täufling in ihr Gebet einschließen wollten. Darauf wird irgend eine Stelle der Bibel vom Redner mit einer frommen Weitschweifigkeit umschrieben. Diese Redner, welche größtentheils nur Handwerker, bisweilen Schulmeister sind (seltner Gelehrte und Staatsbeamte) haben nicht den Scharfblick, sich aus einer Stelle der Bibel einen Hauptgedanken zu entnehmen, dann die Bibel zu verlassen und nur durch die Behandlung des Themas allmälig wieder auf sie zurückzukommen. Dies würde ihnen zu schwer werden; sie können sich keinen Augenblick von dem theuern Buch entfernen, sondern nehmen Vers für Vers durch, erweitern seinen Jnhalt, geben ihm einige Nutzanwendungen, wobei höchstens das Gesangbuch als Aushilfe der Bibel citirt wird, und schließen dann die Versammlung wieder mit Gebet und Gesang.
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/203>, abgerufen am 20.07.2024. |