Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

durch Verträge zu einem Einflusse verstanden, der dem Pabste gestattet wurde, weit über die Fortschritte der Zeit hinaus. Die Fürsten behielten fast keine andern Rechte, als diejenigen Stellen zu vergeben, über welche sie selbst durch längern Besitz oder spätern Erwerb die Patronatsrechte besaßen. Was zweifelhaft in den Bestimmungen war, wurde vom Pabste bald zu seinen Gunsten erklärt. Die Allocutionen dienten als Erweiterungen der Konkordate und die protestantischen Fürsten namentlich, um nicht ihre katholischen Unterthanen, die gewöhnlich auch in neu erworbenen bestanden, aufzureizen, zogen in diesen Fällen nicht selten vor, zu schweigen. Das ganze Verhältniß der katholischen Kirche ist, wie der katholische Glaube selbst in unsern Tagen, stagnant.

Das religiöse Leben der Gegenwart ist blühender und ernster, als das des vorigen Jahrhunderts. Dennoch ist dies zum Theil nur die Folge des Zeitgeistes, der die Religion auf sich beruhen läßt und sie achtet, ohne sie zu üben. Jn dieser Rücksicht ist der Zeitgeist sogar ein Hinderniß der Religion. Er spannt andere Netze, als die Fischernetze des Christenthums aus, um die Gemüther der Zeitgenossen zu gewinnen. Er ist nicht nur allein auf das Weltliche, sondern auch fast nur auf das Momentane bedacht. Eine Gesinnung, wie die des sechzehnten Jahrhunderts, wo das religiöse Jnteresse alle andern Fragen absorbirte, die Politik lähmte, ja den eignen Vortheil nicht selten

durch Verträge zu einem Einflusse verstanden, der dem Pabste gestattet wurde, weit über die Fortschritte der Zeit hinaus. Die Fürsten behielten fast keine andern Rechte, als diejenigen Stellen zu vergeben, über welche sie selbst durch längern Besitz oder spätern Erwerb die Patronatsrechte besaßen. Was zweifelhaft in den Bestimmungen war, wurde vom Pabste bald zu seinen Gunsten erklärt. Die Allocutionen dienten als Erweiterungen der Konkordate und die protestantischen Fürsten namentlich, um nicht ihre katholischen Unterthanen, die gewöhnlich auch in neu erworbenen bestanden, aufzureizen, zogen in diesen Fällen nicht selten vor, zu schweigen. Das ganze Verhältniß der katholischen Kirche ist, wie der katholische Glaube selbst in unsern Tagen, stagnant.

Das religiöse Leben der Gegenwart ist blühender und ernster, als das des vorigen Jahrhunderts. Dennoch ist dies zum Theil nur die Folge des Zeitgeistes, der die Religion auf sich beruhen läßt und sie achtet, ohne sie zu üben. Jn dieser Rücksicht ist der Zeitgeist sogar ein Hinderniß der Religion. Er spannt andere Netze, als die Fischernetze des Christenthums aus, um die Gemüther der Zeitgenossen zu gewinnen. Er ist nicht nur allein auf das Weltliche, sondern auch fast nur auf das Momentane bedacht. Eine Gesinnung, wie die des sechzehnten Jahrhunderts, wo das religiöse Jnteresse alle andern Fragen absorbirte, die Politik lähmte, ja den eignen Vortheil nicht selten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0197" n="195"/>
durch Verträge zu einem Einflusse verstanden, der dem Pabste gestattet wurde, weit über die Fortschritte der Zeit hinaus. Die Fürsten behielten fast keine andern Rechte, als diejenigen Stellen zu vergeben, über welche sie selbst durch längern Besitz oder spätern Erwerb die Patronatsrechte besaßen. Was zweifelhaft in den Bestimmungen war, wurde vom Pabste bald zu seinen Gunsten erklärt. Die Allocutionen dienten als Erweiterungen der Konkordate und die protestantischen Fürsten namentlich, um nicht ihre katholischen Unterthanen, die gewöhnlich auch in neu erworbenen bestanden, aufzureizen, zogen in diesen Fällen nicht selten vor, zu schweigen. Das ganze Verhältniß der katholischen Kirche ist, wie der katholische Glaube selbst in unsern Tagen, stagnant.</p>
        <p>Das religiöse Leben der Gegenwart ist blühender und ernster, als das des vorigen Jahrhunderts. Dennoch ist dies zum Theil nur die Folge des Zeitgeistes, der die Religion auf sich beruhen läßt und sie achtet, ohne sie zu üben. Jn dieser Rücksicht ist der Zeitgeist sogar ein Hinderniß der Religion. Er spannt andere Netze, als die Fischernetze des Christenthums aus, um die Gemüther der Zeitgenossen zu gewinnen. Er ist nicht nur <hi rendition="#g">allein</hi> auf das Weltliche, sondern auch fast nur auf das Momentane bedacht. Eine Gesinnung, wie die des sechzehnten Jahrhunderts, wo das religiöse Jnteresse alle andern Fragen absorbirte, die Politik lähmte, ja den eignen Vortheil nicht selten
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[195/0197] durch Verträge zu einem Einflusse verstanden, der dem Pabste gestattet wurde, weit über die Fortschritte der Zeit hinaus. Die Fürsten behielten fast keine andern Rechte, als diejenigen Stellen zu vergeben, über welche sie selbst durch längern Besitz oder spätern Erwerb die Patronatsrechte besaßen. Was zweifelhaft in den Bestimmungen war, wurde vom Pabste bald zu seinen Gunsten erklärt. Die Allocutionen dienten als Erweiterungen der Konkordate und die protestantischen Fürsten namentlich, um nicht ihre katholischen Unterthanen, die gewöhnlich auch in neu erworbenen bestanden, aufzureizen, zogen in diesen Fällen nicht selten vor, zu schweigen. Das ganze Verhältniß der katholischen Kirche ist, wie der katholische Glaube selbst in unsern Tagen, stagnant. Das religiöse Leben der Gegenwart ist blühender und ernster, als das des vorigen Jahrhunderts. Dennoch ist dies zum Theil nur die Folge des Zeitgeistes, der die Religion auf sich beruhen läßt und sie achtet, ohne sie zu üben. Jn dieser Rücksicht ist der Zeitgeist sogar ein Hinderniß der Religion. Er spannt andere Netze, als die Fischernetze des Christenthums aus, um die Gemüther der Zeitgenossen zu gewinnen. Er ist nicht nur allein auf das Weltliche, sondern auch fast nur auf das Momentane bedacht. Eine Gesinnung, wie die des sechzehnten Jahrhunderts, wo das religiöse Jnteresse alle andern Fragen absorbirte, die Politik lähmte, ja den eignen Vortheil nicht selten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/197
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/197>, abgerufen am 22.11.2024.