Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.zu allen Zeiten gerathen sind und in dem sie noch liegen, dreht sich um die Quelle der Religion, ob sie eine natürliche oder geoffenbarte wäre. Die Einen trauen sich alles zu, es selbst und so gut wie Gott und die Geschichte zu schaffen, die Andern aber nichts. Die Leztern sind jedenfalls, da sie in der Offenbarung etwas Mechanisches sehen, ganz beschränkte Buchstabenmenschen. Sie sehen in der Religion eine Veranstaltung, die allein von Gott herrühren soll. Die Andern bilden sich ein, daß jeder Einzelne aus sich selbst eine Theodicee schaffen könne, was vielleicht nur deßhalb so glaublich gemacht werden konnte, weil wir unwissend genug über den Anfang und die Möglichkeit unseres Wissens sind. Dieser Zwiespalt zwischen den Vernunft- und Offenbarungsgläubigen schuf eine dritte Partei, welche die Tradition der religiösen Begriffe als eine Offenbarung, wenn nicht Gottes, doch der Geschlechter gegen die Geschlechter annimmt, das Christenthum als eine der lautersten und tiefsinnigsten Offenbarungen dieser Art anerkennt, und gerade in die Befolgung der Vorschrift desselben, daß man Alles prüfen und das Beste behalten solle, das eigentliche Wesen der christlichen Religion sezt. Die Stoffe sind gegeben und wir sollen darnach trachten, sie uns anzueignen. Wir sollen unser Leben gleichsam zu einer Arrondirung im Christenthum machen und mit redlichem Ernste streben, davon so viel, als unsere Kräfte vermögen, zu bewältigen. Der Rationalismus zu allen Zeiten gerathen sind und in dem sie noch liegen, dreht sich um die Quelle der Religion, ob sie eine natürliche oder geoffenbarte wäre. Die Einen trauen sich alles zu, es selbst und so gut wie Gott und die Geschichte zu schaffen, die Andern aber nichts. Die Leztern sind jedenfalls, da sie in der Offenbarung etwas Mechanisches sehen, ganz beschränkte Buchstabenmenschen. Sie sehen in der Religion eine Veranstaltung, die allein von Gott herrühren soll. Die Andern bilden sich ein, daß jeder Einzelne aus sich selbst eine Theodicee schaffen könne, was vielleicht nur deßhalb so glaublich gemacht werden konnte, weil wir unwissend genug über den Anfang und die Möglichkeit unseres Wissens sind. Dieser Zwiespalt zwischen den Vernunft- und Offenbarungsgläubigen schuf eine dritte Partei, welche die Tradition der religiösen Begriffe als eine Offenbarung, wenn nicht Gottes, doch der Geschlechter gegen die Geschlechter annimmt, das Christenthum als eine der lautersten und tiefsinnigsten Offenbarungen dieser Art anerkennt, und gerade in die Befolgung der Vorschrift desselben, daß man Alles prüfen und das Beste behalten solle, das eigentliche Wesen der christlichen Religion sezt. Die Stoffe sind gegeben und wir sollen darnach trachten, sie uns anzueignen. Wir sollen unser Leben gleichsam zu einer Arrondirung im Christenthum machen und mit redlichem Ernste streben, davon so viel, als unsere Kräfte vermögen, zu bewältigen. Der Rationalismus <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0163" n="161"/> zu allen Zeiten gerathen sind und in dem sie noch liegen, dreht sich um die Quelle der Religion, ob sie eine natürliche oder geoffenbarte wäre. Die Einen trauen sich <hi rendition="#g">alles</hi> zu, es selbst und so gut wie Gott und die Geschichte zu schaffen, die Andern aber nichts. Die Leztern sind jedenfalls, da sie in der Offenbarung etwas Mechanisches sehen, ganz beschränkte Buchstabenmenschen. Sie sehen in der Religion eine Veranstaltung, die allein von Gott herrühren soll. Die Andern bilden sich ein, daß jeder Einzelne aus sich selbst eine Theodicee schaffen könne, was vielleicht nur deßhalb so glaublich gemacht werden konnte, weil wir unwissend genug über den Anfang und die Möglichkeit unseres Wissens sind. Dieser Zwiespalt zwischen den Vernunft- und Offenbarungsgläubigen schuf eine dritte Partei, welche die Tradition der religiösen Begriffe als eine Offenbarung, wenn nicht Gottes, doch der Geschlechter gegen die Geschlechter annimmt, das Christenthum als eine der lautersten und tiefsinnigsten Offenbarungen dieser Art anerkennt, und gerade in die Befolgung der Vorschrift desselben, daß man Alles prüfen und das Beste behalten solle, das eigentliche Wesen der christlichen Religion sezt. Die Stoffe sind gegeben und wir sollen darnach trachten, sie uns anzueignen. Wir sollen unser Leben gleichsam zu einer Arrondirung im Christenthum machen und mit redlichem Ernste streben, davon so viel, als unsere Kräfte vermögen, zu bewältigen. Der Rationalismus </p> </div> </body> </text> </TEI> [161/0163]
zu allen Zeiten gerathen sind und in dem sie noch liegen, dreht sich um die Quelle der Religion, ob sie eine natürliche oder geoffenbarte wäre. Die Einen trauen sich alles zu, es selbst und so gut wie Gott und die Geschichte zu schaffen, die Andern aber nichts. Die Leztern sind jedenfalls, da sie in der Offenbarung etwas Mechanisches sehen, ganz beschränkte Buchstabenmenschen. Sie sehen in der Religion eine Veranstaltung, die allein von Gott herrühren soll. Die Andern bilden sich ein, daß jeder Einzelne aus sich selbst eine Theodicee schaffen könne, was vielleicht nur deßhalb so glaublich gemacht werden konnte, weil wir unwissend genug über den Anfang und die Möglichkeit unseres Wissens sind. Dieser Zwiespalt zwischen den Vernunft- und Offenbarungsgläubigen schuf eine dritte Partei, welche die Tradition der religiösen Begriffe als eine Offenbarung, wenn nicht Gottes, doch der Geschlechter gegen die Geschlechter annimmt, das Christenthum als eine der lautersten und tiefsinnigsten Offenbarungen dieser Art anerkennt, und gerade in die Befolgung der Vorschrift desselben, daß man Alles prüfen und das Beste behalten solle, das eigentliche Wesen der christlichen Religion sezt. Die Stoffe sind gegeben und wir sollen darnach trachten, sie uns anzueignen. Wir sollen unser Leben gleichsam zu einer Arrondirung im Christenthum machen und mit redlichem Ernste streben, davon so viel, als unsere Kräfte vermögen, zu bewältigen. Der Rationalismus
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/163>, abgerufen am 27.07.2024. |