Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.wußten, welch ein Antheil am Dank daran den Massen gebührte, die sich im Schmelztigel widerwärtiger Begegnisse verjüngt hatten. Da war man auch gerecht genug und besonnen, aus der Zerstörung so viel zu retten, als möglich war, und in den Momenten, wo Eile und Hilfe Noth that, keine großen Schöpfungen aus dem Nichts oder aus der Theorie zu beginnen. Freilich hat man zu weit reagirt und zu viel künstlich musivisch zusammengesezte Trümmer der Vergangenheit als dauerhafte und unumgängliche Organe unsres Lebens darstellen wollen; allein ein Theil jener Reaktion war gerecht und billig; denn Niemand baut ein neues Haus, ohne die Steine des alten, welches auf derselben Stelle stand, mit zu demselben zu verwenden. Außer diesem großen Zuge der Begebenheiten gab es manche andere günstige Einwirkungen, welche Religion und Kirche wieder in einen Theil des alten Ansehens sezten. Philosophie und Kunst hatten sich aus der verworrenen Gegenwart in die alten Zeiten geflüchtet. Die kräftigsten Gedanken und verklärtesten Phantasien waren in dem immergrünen Epheu der Vergangenheit verwirkt. Das Studium zog eine so süße Gewöhnung an seinen Gegenstand nach sich, daß sie sich auch auf die neuen Verhältnisse übertrug. Die Denker wurden auf den Zusammenhang der bisherigen Menschenschicksale aufmerksam und erkannten den Unterschied der Zeiten und Epochen, und verliebten sich wohl in die Merkmale derselben selbst. Die Künstler wußten, welch ein Antheil am Dank daran den Massen gebührte, die sich im Schmelztigel widerwärtiger Begegnisse verjüngt hatten. Da war man auch gerecht genug und besonnen, aus der Zerstörung so viel zu retten, als möglich war, und in den Momenten, wo Eile und Hilfe Noth that, keine großen Schöpfungen aus dem Nichts oder aus der Theorie zu beginnen. Freilich hat man zu weit reagirt und zu viel künstlich musivisch zusammengesezte Trümmer der Vergangenheit als dauerhafte und unumgängliche Organe unsres Lebens darstellen wollen; allein ein Theil jener Reaktion war gerecht und billig; denn Niemand baut ein neues Haus, ohne die Steine des alten, welches auf derselben Stelle stand, mit zu demselben zu verwenden. Außer diesem großen Zuge der Begebenheiten gab es manche andere günstige Einwirkungen, welche Religion und Kirche wieder in einen Theil des alten Ansehens sezten. Philosophie und Kunst hatten sich aus der verworrenen Gegenwart in die alten Zeiten geflüchtet. Die kräftigsten Gedanken und verklärtesten Phantasien waren in dem immergrünen Epheu der Vergangenheit verwirkt. Das Studium zog eine so süße Gewöhnung an seinen Gegenstand nach sich, daß sie sich auch auf die neuen Verhältnisse übertrug. Die Denker wurden auf den Zusammenhang der bisherigen Menschenschicksale aufmerksam und erkannten den Unterschied der Zeiten und Epochen, und verliebten sich wohl in die Merkmale derselben selbst. Die Künstler <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0156" n="154"/> wußten, welch ein Antheil am Dank daran den Massen gebührte, die sich im Schmelztigel widerwärtiger Begegnisse verjüngt hatten. Da war man auch gerecht genug und besonnen, aus der Zerstörung so viel zu retten, als möglich war, und in den Momenten, wo Eile und Hilfe Noth that, keine großen Schöpfungen aus dem Nichts oder aus der Theorie zu beginnen. Freilich hat man zu weit reagirt und zu viel künstlich musivisch zusammengesezte Trümmer der Vergangenheit als dauerhafte und unumgängliche Organe unsres Lebens darstellen wollen; allein ein Theil jener Reaktion war gerecht und billig; denn Niemand baut ein neues Haus, ohne die Steine des alten, welches auf derselben Stelle stand, mit zu demselben zu verwenden.</p> <p>Außer diesem großen Zuge der Begebenheiten gab es manche andere günstige Einwirkungen, welche Religion und Kirche wieder in einen Theil des alten Ansehens sezten. Philosophie und Kunst hatten sich aus der verworrenen Gegenwart in die alten Zeiten geflüchtet. Die kräftigsten Gedanken und verklärtesten Phantasien waren in dem immergrünen Epheu der Vergangenheit verwirkt. Das Studium zog eine so süße Gewöhnung an seinen Gegenstand nach sich, daß sie sich auch auf die neuen Verhältnisse übertrug. Die Denker wurden auf den Zusammenhang der bisherigen Menschenschicksale aufmerksam und erkannten den Unterschied der Zeiten und Epochen, und verliebten sich wohl in die Merkmale derselben selbst. Die Künstler </p> </div> </body> </text> </TEI> [154/0156]
wußten, welch ein Antheil am Dank daran den Massen gebührte, die sich im Schmelztigel widerwärtiger Begegnisse verjüngt hatten. Da war man auch gerecht genug und besonnen, aus der Zerstörung so viel zu retten, als möglich war, und in den Momenten, wo Eile und Hilfe Noth that, keine großen Schöpfungen aus dem Nichts oder aus der Theorie zu beginnen. Freilich hat man zu weit reagirt und zu viel künstlich musivisch zusammengesezte Trümmer der Vergangenheit als dauerhafte und unumgängliche Organe unsres Lebens darstellen wollen; allein ein Theil jener Reaktion war gerecht und billig; denn Niemand baut ein neues Haus, ohne die Steine des alten, welches auf derselben Stelle stand, mit zu demselben zu verwenden.
Außer diesem großen Zuge der Begebenheiten gab es manche andere günstige Einwirkungen, welche Religion und Kirche wieder in einen Theil des alten Ansehens sezten. Philosophie und Kunst hatten sich aus der verworrenen Gegenwart in die alten Zeiten geflüchtet. Die kräftigsten Gedanken und verklärtesten Phantasien waren in dem immergrünen Epheu der Vergangenheit verwirkt. Das Studium zog eine so süße Gewöhnung an seinen Gegenstand nach sich, daß sie sich auch auf die neuen Verhältnisse übertrug. Die Denker wurden auf den Zusammenhang der bisherigen Menschenschicksale aufmerksam und erkannten den Unterschied der Zeiten und Epochen, und verliebten sich wohl in die Merkmale derselben selbst. Die Künstler
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/156 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/156>, abgerufen am 16.02.2025. |