Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.des Christenthums allerdings mit seiner äußern Erscheinung innig verbunden ist, schrumpfte in eine Begebenheit zusammen, deren tausendjährige großartige Nachwirkung die Neuerungssucht nicht vermochte, sie für größer zu halten, als sie ihr erschien. - Ja, ist nicht sogar das Faktum eines gekreuzigten Christus gänzlich geläugnet worden? und hat man ihn nicht zu einer dichterischen Personifikation der Sonne in demselben Sinne machen wollen, wie schon im Herkulesmythus nichts als eine Verherrlichung der wunderthätigen Wirkungen jenes Gestirns enthalten seyn sollte? Das, was uns das achtzehnte Jahrhundert vom Christenthum hinterließ, war eine wüste Zerstörung, über deren Trümmern man höchstens noch der natürlichen Religion Tempel bauen wollte. Das religiöse Leben selbst konnte eben so wenig gedeihen, da es nichts mehr zur Anknüpfung vorfand. An Verketzerung und Verdammung des Skepticismus von Seiten der Orthodoxie fehlte es nicht, allein die Orthodoxie, die sich selbst überlebt hatte, enthielt keine Befruchtungskeime mehr in sich; sie konnte durch praktische Wirksamkeit in den meist leer stehenden Kirchen kaum mehr bewirken, als daß sich die dogmatischen Sätze und die biblischen Ausdrücke dafür in dem Gedächtniß des Volkes nicht ganz verloren. Pietisten gab es zwar hier und dort. Wie aber ihr Streben immer nur auf Absonderung geht, so konnten sie die trockne Geistesrichtung, die sie umgab, selbst wenn des Christenthums allerdings mit seiner äußern Erscheinung innig verbunden ist, schrumpfte in eine Begebenheit zusammen, deren tausendjährige großartige Nachwirkung die Neuerungssucht nicht vermochte, sie für größer zu halten, als sie ihr erschien. – Ja, ist nicht sogar das Faktum eines gekreuzigten Christus gänzlich geläugnet worden? und hat man ihn nicht zu einer dichterischen Personifikation der Sonne in demselben Sinne machen wollen, wie schon im Herkulesmythus nichts als eine Verherrlichung der wunderthätigen Wirkungen jenes Gestirns enthalten seyn sollte? Das, was uns das achtzehnte Jahrhundert vom Christenthum hinterließ, war eine wüste Zerstörung, über deren Trümmern man höchstens noch der natürlichen Religion Tempel bauen wollte. Das religiöse Leben selbst konnte eben so wenig gedeihen, da es nichts mehr zur Anknüpfung vorfand. An Verketzerung und Verdammung des Skepticismus von Seiten der Orthodoxie fehlte es nicht, allein die Orthodoxie, die sich selbst überlebt hatte, enthielt keine Befruchtungskeime mehr in sich; sie konnte durch praktische Wirksamkeit in den meist leer stehenden Kirchen kaum mehr bewirken, als daß sich die dogmatischen Sätze und die biblischen Ausdrücke dafür in dem Gedächtniß des Volkes nicht ganz verloren. Pietisten gab es zwar hier und dort. Wie aber ihr Streben immer nur auf Absonderung geht, so konnten sie die trockne Geistesrichtung, die sie umgab, selbst wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0143" n="141"/> des Christenthums allerdings mit seiner äußern Erscheinung innig verbunden ist, schrumpfte in eine Begebenheit zusammen, deren tausendjährige großartige Nachwirkung die Neuerungssucht nicht vermochte, sie für größer zu halten, als sie ihr erschien. – Ja, ist nicht sogar das Faktum eines gekreuzigten Christus gänzlich geläugnet worden? und hat man ihn nicht zu einer dichterischen Personifikation der Sonne in demselben Sinne machen wollen, wie schon im Herkulesmythus nichts als eine Verherrlichung der wunderthätigen Wirkungen jenes Gestirns enthalten seyn sollte? Das, was uns das achtzehnte Jahrhundert vom Christenthum hinterließ, war eine wüste Zerstörung, über deren Trümmern man höchstens noch der natürlichen Religion Tempel bauen wollte.</p> <p>Das religiöse Leben selbst konnte eben so wenig gedeihen, da es nichts mehr zur Anknüpfung vorfand. An Verketzerung und Verdammung des Skepticismus von Seiten der Orthodoxie fehlte es nicht, allein die Orthodoxie, die sich selbst überlebt hatte, enthielt keine Befruchtungskeime mehr in sich; sie konnte durch praktische Wirksamkeit in den meist leer stehenden Kirchen kaum mehr bewirken, als daß sich die dogmatischen Sätze und die biblischen Ausdrücke dafür in dem Gedächtniß des Volkes nicht ganz verloren. Pietisten gab es zwar hier und dort. Wie aber ihr Streben immer nur auf Absonderung geht, so konnten sie die trockne Geistesrichtung, die sie umgab, selbst wenn </p> </div> </body> </text> </TEI> [141/0143]
des Christenthums allerdings mit seiner äußern Erscheinung innig verbunden ist, schrumpfte in eine Begebenheit zusammen, deren tausendjährige großartige Nachwirkung die Neuerungssucht nicht vermochte, sie für größer zu halten, als sie ihr erschien. – Ja, ist nicht sogar das Faktum eines gekreuzigten Christus gänzlich geläugnet worden? und hat man ihn nicht zu einer dichterischen Personifikation der Sonne in demselben Sinne machen wollen, wie schon im Herkulesmythus nichts als eine Verherrlichung der wunderthätigen Wirkungen jenes Gestirns enthalten seyn sollte? Das, was uns das achtzehnte Jahrhundert vom Christenthum hinterließ, war eine wüste Zerstörung, über deren Trümmern man höchstens noch der natürlichen Religion Tempel bauen wollte.
Das religiöse Leben selbst konnte eben so wenig gedeihen, da es nichts mehr zur Anknüpfung vorfand. An Verketzerung und Verdammung des Skepticismus von Seiten der Orthodoxie fehlte es nicht, allein die Orthodoxie, die sich selbst überlebt hatte, enthielt keine Befruchtungskeime mehr in sich; sie konnte durch praktische Wirksamkeit in den meist leer stehenden Kirchen kaum mehr bewirken, als daß sich die dogmatischen Sätze und die biblischen Ausdrücke dafür in dem Gedächtniß des Volkes nicht ganz verloren. Pietisten gab es zwar hier und dort. Wie aber ihr Streben immer nur auf Absonderung geht, so konnten sie die trockne Geistesrichtung, die sie umgab, selbst wenn
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/143>, abgerufen am 27.07.2024. |