Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.seiner vortrefflichen Auseinandersetzung der Jdeen St. Pierres über den ewigen Frieden sagen konnte: Es wird ein großer Jrrthum seyn, zu glauben, daß sich der gewaltthätige Zustand unserer gesellschaftlichen Verhältnisse einzig und allein nur durch Gewalt verändern könne und nicht auch im Gegentheil durch friedliche Hülfe. Auf welcher Stufe es stehen mag, so hat das europäische Staatensystem doch so viel Solidität, daß es eine fortwährende Bewegung auch ohne völligen Umsturz aushalten kann. Und, fügt Rousseau hinzu, wenn unsere Uebel auch nicht aufhören sollten, sondern sich vermehrten, so ist doch jede große Revolution in Zukunft unmöglich. Dieß schrieb Rousseau einige 30 Jahre vor den Greueln der Jacobiner. Wenn man nun bedenkt, daß im achtzehnten Jahrhundert Alles unwillkürlich und unbewußt darauf hinzielte, die Revolution zu erzeugen, so ist es thöricht anzunehmen, daß das neunzehnte Jahrhundert bestimmt seyn sollte, dieselbe Revolution zu reproduziren. Das achtzehnte Jahrhundert kam zur Revolution, ohne es zu wollen und zu fühlen; und wir, die wir immer mitten in der Agitation der politischen Leidenschaften inne leben, die wir weit mehr in ein System der Unordnung als der Ordnung eingefügt sind, die wir vergleichen können, welches die Extreme planloser Verirrungen zu seyn pflegen, wir, die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, sollten wiederum in der Revolution enden zu müssen glauben? Dieß ist eine völlig unphilosophische Ansicht seiner vortrefflichen Auseinandersetzung der Jdeen St. Pierres über den ewigen Frieden sagen konnte: Es wird ein großer Jrrthum seyn, zu glauben, daß sich der gewaltthätige Zustand unserer gesellschaftlichen Verhältnisse einzig und allein nur durch Gewalt verändern könne und nicht auch im Gegentheil durch friedliche Hülfe. Auf welcher Stufe es stehen mag, so hat das europäische Staatensystem doch so viel Solidität, daß es eine fortwährende Bewegung auch ohne völligen Umsturz aushalten kann. Und, fügt Rousseau hinzu, wenn unsere Uebel auch nicht aufhören sollten, sondern sich vermehrten, so ist doch jede große Revolution in Zukunft unmöglich. Dieß schrieb Rousseau einige 30 Jahre vor den Greueln der Jacobiner. Wenn man nun bedenkt, daß im achtzehnten Jahrhundert Alles unwillkürlich und unbewußt darauf hinzielte, die Revolution zu erzeugen, so ist es thöricht anzunehmen, daß das neunzehnte Jahrhundert bestimmt seyn sollte, dieselbe Revolution zu reproduziren. Das achtzehnte Jahrhundert kam zur Revolution, ohne es zu wollen und zu fühlen; und wir, die wir immer mitten in der Agitation der politischen Leidenschaften inne leben, die wir weit mehr in ein System der Unordnung als der Ordnung eingefügt sind, die wir vergleichen können, welches die Extreme planloser Verirrungen zu seyn pflegen, wir, die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, sollten wiederum in der Revolution enden zu müssen glauben? Dieß ist eine völlig unphilosophische Ansicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0094" n="66"/> seiner vortrefflichen Auseinandersetzung der Jdeen St. Pierres über den ewigen Frieden sagen konnte: Es wird ein großer Jrrthum seyn, zu glauben, daß sich der gewaltthätige Zustand unserer gesellschaftlichen Verhältnisse einzig und allein nur durch Gewalt verändern könne und nicht auch im Gegentheil durch friedliche Hülfe. Auf welcher Stufe es stehen mag, so hat das europäische Staatensystem doch so viel Solidität, daß es eine fortwährende Bewegung auch ohne völligen Umsturz aushalten kann. Und, fügt Rousseau hinzu, wenn unsere Uebel auch nicht aufhören sollten, sondern sich vermehrten, <hi rendition="#g">so ist doch jede große Revolution in Zukunft unmöglich</hi>. Dieß schrieb Rousseau einige 30 Jahre vor den Greueln der Jacobiner.</p> <p>Wenn man nun bedenkt, daß im achtzehnten Jahrhundert Alles unwillkürlich und unbewußt darauf hinzielte, die Revolution zu erzeugen, so ist es thöricht anzunehmen, daß das neunzehnte Jahrhundert bestimmt seyn sollte, dieselbe Revolution zu reproduziren. Das achtzehnte Jahrhundert kam zur Revolution, ohne es zu wollen und zu fühlen; und wir, die wir immer mitten in der Agitation der politischen Leidenschaften inne leben, die wir weit mehr in ein System der Unordnung als der Ordnung eingefügt sind, die wir vergleichen können, welches die Extreme planloser Verirrungen zu seyn pflegen, wir, die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, sollten wiederum in der Revolution enden zu müssen glauben? Dieß ist eine völlig unphilosophische Ansicht </p> </div> </body> </text> </TEI> [66/0094]
seiner vortrefflichen Auseinandersetzung der Jdeen St. Pierres über den ewigen Frieden sagen konnte: Es wird ein großer Jrrthum seyn, zu glauben, daß sich der gewaltthätige Zustand unserer gesellschaftlichen Verhältnisse einzig und allein nur durch Gewalt verändern könne und nicht auch im Gegentheil durch friedliche Hülfe. Auf welcher Stufe es stehen mag, so hat das europäische Staatensystem doch so viel Solidität, daß es eine fortwährende Bewegung auch ohne völligen Umsturz aushalten kann. Und, fügt Rousseau hinzu, wenn unsere Uebel auch nicht aufhören sollten, sondern sich vermehrten, so ist doch jede große Revolution in Zukunft unmöglich. Dieß schrieb Rousseau einige 30 Jahre vor den Greueln der Jacobiner.
Wenn man nun bedenkt, daß im achtzehnten Jahrhundert Alles unwillkürlich und unbewußt darauf hinzielte, die Revolution zu erzeugen, so ist es thöricht anzunehmen, daß das neunzehnte Jahrhundert bestimmt seyn sollte, dieselbe Revolution zu reproduziren. Das achtzehnte Jahrhundert kam zur Revolution, ohne es zu wollen und zu fühlen; und wir, die wir immer mitten in der Agitation der politischen Leidenschaften inne leben, die wir weit mehr in ein System der Unordnung als der Ordnung eingefügt sind, die wir vergleichen können, welches die Extreme planloser Verirrungen zu seyn pflegen, wir, die Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, sollten wiederum in der Revolution enden zu müssen glauben? Dieß ist eine völlig unphilosophische Ansicht
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/94>, abgerufen am 27.07.2024. |