Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Schriftsteller! Wir haben Schriftstellerinnen, wie Sappho und Erinna, die den Mond besingen, aber auch solche, die über Nationalökonomie schreiben. Die Manie der Autorschaft ist unter den Frauen so verbreitet, daß ich, wo ich ein unliebenswürdiges Frauenzimmer sehe, immer bereit bin, sie für eine Schriftstellerin zu halten. Es ist auffallend, daß die Frauen im ledigen Stande eine Sucht haben, sich zu vereinigen, um geschlossene Ketten zu bilden, dann aber als verheirathete Frauen sie wieder auflösen und lange Zeit mehre Kindbetten erst abwarten, ehe sie wieder auf den alten Trieb zurückkommen. Das Gefühl der Liebe entspringt bei den meisten weiblichen Naturen nicht aus dem stillen Nachdenken über die Geheimnisse der Paarung, sondern aus einer magnetischen Gewöhnung an andre Jndividuen, die sie für besser und schöner, als sich selbst halten. Gewöhnlich geht der Liebe zum Manne eine oft grenzenlose Liebe zum Weibe voraus. Junge Mädchen verlieben sich in ältre, eine Erscheinung, die sich freilich auch bei den Knaben findet: wie ich mir denn bewußt bin, einst als Knabe zu einem meiner Kameraden, der mir jetzt ganz fatal ist, die heißeste Leidenschaft getragen zu haben. Wenn ich mit ihm zusammen arbeitete, so war mir dieß ein Festtag und die Krone desselben, wenn ich seinen fleischigen Arm überraschen und einen Kuß, der aber mehr Biß als Kuß war, darauf drücken konnte. Jch erinnere mich aus dem Colleg einer Knabenliebe, die etwas Bedenkliches für die Lehrer, die sie sahen und Schriftsteller! Wir haben Schriftstellerinnen, wie Sappho und Erinna, die den Mond besingen, aber auch solche, die über Nationalökonomie schreiben. Die Manie der Autorschaft ist unter den Frauen so verbreitet, daß ich, wo ich ein unliebenswürdiges Frauenzimmer sehe, immer bereit bin, sie für eine Schriftstellerin zu halten. Es ist auffallend, daß die Frauen im ledigen Stande eine Sucht haben, sich zu vereinigen, um geschlossene Ketten zu bilden, dann aber als verheirathete Frauen sie wieder auflösen und lange Zeit mehre Kindbetten erst abwarten, ehe sie wieder auf den alten Trieb zurückkommen. Das Gefühl der Liebe entspringt bei den meisten weiblichen Naturen nicht aus dem stillen Nachdenken über die Geheimnisse der Paarung, sondern aus einer magnetischen Gewöhnung an andre Jndividuen, die sie für besser und schöner, als sich selbst halten. Gewöhnlich geht der Liebe zum Manne eine oft grenzenlose Liebe zum Weibe voraus. Junge Mädchen verlieben sich in ältre, eine Erscheinung, die sich freilich auch bei den Knaben findet: wie ich mir denn bewußt bin, einst als Knabe zu einem meiner Kameraden, der mir jetzt ganz fatal ist, die heißeste Leidenschaft getragen zu haben. Wenn ich mit ihm zusammen arbeitete, so war mir dieß ein Festtag und die Krone desselben, wenn ich seinen fleischigen Arm überraschen und einen Kuß, der aber mehr Biß als Kuß war, darauf drücken konnte. Jch erinnere mich aus dem Colleg einer Knabenliebe, die etwas Bedenkliches für die Lehrer, die sie sahen und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0072" n="44"/> Schriftsteller! Wir haben Schriftstellerinnen, wie Sappho und Erinna, die den Mond besingen, aber auch solche, die über Nationalökonomie schreiben. Die Manie der Autorschaft ist unter den Frauen so verbreitet, daß ich, wo ich ein unliebenswürdiges Frauenzimmer sehe, immer bereit bin, sie für eine Schriftstellerin zu halten.</p> <p>Es ist auffallend, daß die Frauen im ledigen Stande eine Sucht haben, sich zu vereinigen, um geschlossene Ketten zu bilden, dann aber als verheirathete Frauen sie wieder auflösen und lange Zeit mehre Kindbetten erst abwarten, ehe sie wieder auf den alten Trieb zurückkommen. Das Gefühl der Liebe entspringt bei den meisten weiblichen Naturen nicht aus dem stillen Nachdenken über die Geheimnisse der Paarung, sondern aus einer magnetischen Gewöhnung an andre Jndividuen, die sie für besser und schöner, als sich selbst halten. Gewöhnlich geht der Liebe zum Manne eine oft grenzenlose Liebe zum Weibe voraus. Junge Mädchen verlieben sich in ältre, eine Erscheinung, die sich freilich auch bei den Knaben findet: wie ich mir denn bewußt bin, einst als Knabe zu einem meiner Kameraden, der mir jetzt ganz fatal ist, die heißeste Leidenschaft getragen zu haben. Wenn ich mit ihm zusammen arbeitete, so war mir dieß ein Festtag und die Krone desselben, wenn ich seinen fleischigen Arm überraschen und einen Kuß, der aber mehr Biß als Kuß war, darauf drücken konnte. Jch erinnere mich aus dem Colleg einer Knabenliebe, die etwas Bedenkliches für die Lehrer, die sie sahen und </p> </div> </body> </text> </TEI> [44/0072]
Schriftsteller! Wir haben Schriftstellerinnen, wie Sappho und Erinna, die den Mond besingen, aber auch solche, die über Nationalökonomie schreiben. Die Manie der Autorschaft ist unter den Frauen so verbreitet, daß ich, wo ich ein unliebenswürdiges Frauenzimmer sehe, immer bereit bin, sie für eine Schriftstellerin zu halten.
Es ist auffallend, daß die Frauen im ledigen Stande eine Sucht haben, sich zu vereinigen, um geschlossene Ketten zu bilden, dann aber als verheirathete Frauen sie wieder auflösen und lange Zeit mehre Kindbetten erst abwarten, ehe sie wieder auf den alten Trieb zurückkommen. Das Gefühl der Liebe entspringt bei den meisten weiblichen Naturen nicht aus dem stillen Nachdenken über die Geheimnisse der Paarung, sondern aus einer magnetischen Gewöhnung an andre Jndividuen, die sie für besser und schöner, als sich selbst halten. Gewöhnlich geht der Liebe zum Manne eine oft grenzenlose Liebe zum Weibe voraus. Junge Mädchen verlieben sich in ältre, eine Erscheinung, die sich freilich auch bei den Knaben findet: wie ich mir denn bewußt bin, einst als Knabe zu einem meiner Kameraden, der mir jetzt ganz fatal ist, die heißeste Leidenschaft getragen zu haben. Wenn ich mit ihm zusammen arbeitete, so war mir dieß ein Festtag und die Krone desselben, wenn ich seinen fleischigen Arm überraschen und einen Kuß, der aber mehr Biß als Kuß war, darauf drücken konnte. Jch erinnere mich aus dem Colleg einer Knabenliebe, die etwas Bedenkliches für die Lehrer, die sie sahen und
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/72>, abgerufen am 16.02.2025. |