Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.in einem Gasthofe das zu finden, was ihr in ihrem Hause nie begegnen würde. Aber wer noch auf alte Zucht und Sitte etwas hält, den hält dann auch nichts mehr, einen Gasthof dieser Art schleunigst zu verlassen. Die Wirthe benutzen diese Verzweiflung eines Unglücklichen und setzen ihre Rechnungen mit einer Willkür im Preise an, daß man in ein Land sich verzaubert wähnt, wo Gold auf den Werth des Silbers heruntergesetzt ist. Jch mochte nicht um diese unverschämte Vertheurung der einfachsten, mir im Preise wohl bekannten Lebensbedürfnisse rechten; denn ich war froh, aus dieser Mördergrube herauszukommen. Nun war es aber sehr kalt geworden und die Landkutsche ganz leer. Jch konnte nicht einmal darauf rechnen, mir wenigstens durch Gedräng einige Erwärmung zu verschaffen. Eine einzige Dame fuhr mit, die mir, wenn die pariser Modehändlerin gemein war, ihrerseits verrückt vorkam. Nicht darum, weil sie sagte: die Eisenbahnen verdrängen die Landkutschen; denn das war freilich richtig genug und ganz aus der Zeit gegriffen; allein den Schnak, den sie an diese Bemerkung anknüpfte, war in der That wohl kaum sie selber fähig zu verstehen. Sie hatte dabei ganz die Gewohnheit rasender Menschen, immer an den Kopf zu fassen, weil sie wohl fühlte, daß es darin nicht richtig war. Auch hatte sie ganz das kurze Lächeln der Närrischen, wenn ich auch nicht sagen will, daß sie es schon vollkommen war. Allein selbst dieser letzte Fall wäre mir nicht so in einem Gasthofe das zu finden, was ihr in ihrem Hause nie begegnen würde. Aber wer noch auf alte Zucht und Sitte etwas hält, den hält dann auch nichts mehr, einen Gasthof dieser Art schleunigst zu verlassen. Die Wirthe benutzen diese Verzweiflung eines Unglücklichen und setzen ihre Rechnungen mit einer Willkür im Preise an, daß man in ein Land sich verzaubert wähnt, wo Gold auf den Werth des Silbers heruntergesetzt ist. Jch mochte nicht um diese unverschämte Vertheurung der einfachsten, mir im Preise wohl bekannten Lebensbedürfnisse rechten; denn ich war froh, aus dieser Mördergrube herauszukommen. Nun war es aber sehr kalt geworden und die Landkutsche ganz leer. Jch konnte nicht einmal darauf rechnen, mir wenigstens durch Gedräng einige Erwärmung zu verschaffen. Eine einzige Dame fuhr mit, die mir, wenn die pariser Modehändlerin gemein war, ihrerseits verrückt vorkam. Nicht darum, weil sie sagte: die Eisenbahnen verdrängen die Landkutschen; denn das war freilich richtig genug und ganz aus der Zeit gegriffen; allein den Schnak, den sie an diese Bemerkung anknüpfte, war in der That wohl kaum sie selber fähig zu verstehen. Sie hatte dabei ganz die Gewohnheit rasender Menschen, immer an den Kopf zu fassen, weil sie wohl fühlte, daß es darin nicht richtig war. Auch hatte sie ganz das kurze Lächeln der Närrischen, wenn ich auch nicht sagen will, daß sie es schon vollkommen war. Allein selbst dieser letzte Fall wäre mir nicht so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0447" n="419"/> in einem Gasthofe das zu finden, was ihr in ihrem Hause nie begegnen würde. Aber wer noch auf alte Zucht und Sitte etwas hält, den hält dann auch nichts mehr, einen Gasthof dieser Art schleunigst zu verlassen. Die Wirthe benutzen diese Verzweiflung eines Unglücklichen und setzen ihre Rechnungen mit einer Willkür im Preise an, daß man in ein Land sich verzaubert wähnt, wo Gold auf den Werth des Silbers heruntergesetzt ist. Jch mochte nicht um diese unverschämte Vertheurung der einfachsten, mir im Preise wohl bekannten Lebensbedürfnisse rechten; denn ich war froh, aus dieser Mördergrube herauszukommen.</p> <p>Nun war es aber sehr kalt geworden und die Landkutsche ganz leer. Jch konnte nicht einmal darauf rechnen, mir wenigstens durch Gedräng einige Erwärmung zu verschaffen. Eine einzige Dame fuhr mit, die mir, wenn die pariser Modehändlerin <hi rendition="#g">gemein</hi> war, ihrerseits verrückt vorkam. Nicht darum, weil sie sagte: die Eisenbahnen verdrängen die Landkutschen; denn das war freilich richtig genug und ganz aus der Zeit gegriffen; allein den Schnak, den sie an diese Bemerkung anknüpfte, war in der That wohl kaum sie selber fähig zu verstehen. Sie hatte dabei ganz die Gewohnheit rasender Menschen, immer an den Kopf zu fassen, weil sie wohl fühlte, daß es darin nicht richtig war. Auch hatte sie ganz das kurze Lächeln der Närrischen, wenn ich auch nicht sagen will, daß sie es schon vollkommen war. Allein selbst dieser letzte Fall wäre mir nicht so </p> </div> </body> </text> </TEI> [419/0447]
in einem Gasthofe das zu finden, was ihr in ihrem Hause nie begegnen würde. Aber wer noch auf alte Zucht und Sitte etwas hält, den hält dann auch nichts mehr, einen Gasthof dieser Art schleunigst zu verlassen. Die Wirthe benutzen diese Verzweiflung eines Unglücklichen und setzen ihre Rechnungen mit einer Willkür im Preise an, daß man in ein Land sich verzaubert wähnt, wo Gold auf den Werth des Silbers heruntergesetzt ist. Jch mochte nicht um diese unverschämte Vertheurung der einfachsten, mir im Preise wohl bekannten Lebensbedürfnisse rechten; denn ich war froh, aus dieser Mördergrube herauszukommen.
Nun war es aber sehr kalt geworden und die Landkutsche ganz leer. Jch konnte nicht einmal darauf rechnen, mir wenigstens durch Gedräng einige Erwärmung zu verschaffen. Eine einzige Dame fuhr mit, die mir, wenn die pariser Modehändlerin gemein war, ihrerseits verrückt vorkam. Nicht darum, weil sie sagte: die Eisenbahnen verdrängen die Landkutschen; denn das war freilich richtig genug und ganz aus der Zeit gegriffen; allein den Schnak, den sie an diese Bemerkung anknüpfte, war in der That wohl kaum sie selber fähig zu verstehen. Sie hatte dabei ganz die Gewohnheit rasender Menschen, immer an den Kopf zu fassen, weil sie wohl fühlte, daß es darin nicht richtig war. Auch hatte sie ganz das kurze Lächeln der Närrischen, wenn ich auch nicht sagen will, daß sie es schon vollkommen war. Allein selbst dieser letzte Fall wäre mir nicht so
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/447>, abgerufen am 28.07.2024. |