Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.trat eine Philosophie, welche, trotz aller Abenteuerlichkeit im Schematismus, sich durch eine Fülle vereinzelter, goldner Jdeen auszeichnete. Alles, was geschah, geschah durch Verbrüderung und Oeffentlichkeit. Die Pädagogen waren die Priester einer neuen Religion geworden. Den beschränkten, verzärtelten Eltern wurden die Kinder aus den Betten geholt und in die Flüsse geworfen, wo sie sich bald wie Fische lustig tummelten. Es gab moralische Verpflichtungen in der Luft, in der Literatur, im Zeitgeist, überall, namentlich in der neubelebten Geschichte, welchen sich Niemand, der nicht für einen Heloten und Jdioten gelten wollte, entziehen durfte. Ja diese Dinge scheinen mir so außerordentlich, sind so reich an Samen für die herrlichste Zukunft, daß ich eine Nation beklagen muß, die, sie weiß selbst nicht wie, plötzlich darum gekommen ist. Ach, wenn es irgend etwas gibt, was die Schlechtigkeit der politischen Reaktionen, die durch die Julirevolution leider nicht beseitigt worden sind, beweist, so ist es grade diese Beraubung der Menschheit an neuen und schönen Reichthümern, die sich ihr Leben hätte erwerben können. Alles, seh' ich, wird wieder dumpf. Der grelle lachende Sonnenschein wird mit Flor gedämpft. Juristische Abwägungen von mehr oder minder Macht und Einfluß nehmen die Stelle eines welthistorischen Aufschwunges ein. Wuchergeist und Egoismus sind das Gefolge der unterdrückten freien Gemüthsstimmungen. Damit hier oder da keine Regierungsform zu Grunde gehe, damit die Verhältnisse von Fürst, Unterthan, Adel trat eine Philosophie, welche, trotz aller Abenteuerlichkeit im Schematismus, sich durch eine Fülle vereinzelter, goldner Jdeen auszeichnete. Alles, was geschah, geschah durch Verbrüderung und Oeffentlichkeit. Die Pädagogen waren die Priester einer neuen Religion geworden. Den beschränkten, verzärtelten Eltern wurden die Kinder aus den Betten geholt und in die Flüsse geworfen, wo sie sich bald wie Fische lustig tummelten. Es gab moralische Verpflichtungen in der Luft, in der Literatur, im Zeitgeist, überall, namentlich in der neubelebten Geschichte, welchen sich Niemand, der nicht für einen Heloten und Jdioten gelten wollte, entziehen durfte. Ja diese Dinge scheinen mir so außerordentlich, sind so reich an Samen für die herrlichste Zukunft, daß ich eine Nation beklagen muß, die, sie weiß selbst nicht wie, plötzlich darum gekommen ist. Ach, wenn es irgend etwas gibt, was die Schlechtigkeit der politischen Reaktionen, die durch die Julirevolution leider nicht beseitigt worden sind, beweist, so ist es grade diese Beraubung der Menschheit an neuen und schönen Reichthümern, die sich ihr Leben hätte erwerben können. Alles, seh’ ich, wird wieder dumpf. Der grelle lachende Sonnenschein wird mit Flor gedämpft. Juristische Abwägungen von mehr oder minder Macht und Einfluß nehmen die Stelle eines welthistorischen Aufschwunges ein. Wuchergeist und Egoismus sind das Gefolge der unterdrückten freien Gemüthsstimmungen. Damit hier oder da keine Regierungsform zu Grunde gehe, damit die Verhältnisse von Fürst, Unterthan, Adel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0440" n="412"/> trat eine Philosophie, welche, trotz aller Abenteuerlichkeit im Schematismus, sich durch eine Fülle vereinzelter, goldner Jdeen auszeichnete. Alles, was geschah, geschah durch Verbrüderung und Oeffentlichkeit. Die Pädagogen waren die Priester einer neuen Religion geworden. Den beschränkten, verzärtelten Eltern wurden die Kinder aus den Betten geholt und in die Flüsse geworfen, wo sie sich bald wie Fische lustig tummelten. Es gab moralische Verpflichtungen in der Luft, in der Literatur, im Zeitgeist, überall, namentlich in der neubelebten Geschichte, welchen sich Niemand, der nicht für einen Heloten und Jdioten gelten wollte, entziehen durfte. Ja diese Dinge scheinen mir so außerordentlich, sind so reich an Samen für die herrlichste Zukunft, daß ich eine Nation beklagen muß, die, sie weiß selbst nicht wie, plötzlich darum gekommen ist. Ach, wenn es irgend etwas gibt, was die Schlechtigkeit der politischen Reaktionen, die durch die Julirevolution leider nicht beseitigt worden sind, beweist, so ist es grade diese Beraubung der Menschheit an neuen und schönen Reichthümern, die sich ihr Leben hätte erwerben können. Alles, seh’ ich, wird wieder dumpf. Der grelle lachende Sonnenschein wird mit Flor gedämpft. Juristische Abwägungen von mehr oder minder Macht und Einfluß nehmen die Stelle eines welthistorischen Aufschwunges ein. Wuchergeist und Egoismus sind das Gefolge der unterdrückten freien Gemüthsstimmungen. Damit hier oder da keine Regierungsform zu Grunde gehe, damit die Verhältnisse von Fürst, Unterthan, Adel </p> </div> </body> </text> </TEI> [412/0440]
trat eine Philosophie, welche, trotz aller Abenteuerlichkeit im Schematismus, sich durch eine Fülle vereinzelter, goldner Jdeen auszeichnete. Alles, was geschah, geschah durch Verbrüderung und Oeffentlichkeit. Die Pädagogen waren die Priester einer neuen Religion geworden. Den beschränkten, verzärtelten Eltern wurden die Kinder aus den Betten geholt und in die Flüsse geworfen, wo sie sich bald wie Fische lustig tummelten. Es gab moralische Verpflichtungen in der Luft, in der Literatur, im Zeitgeist, überall, namentlich in der neubelebten Geschichte, welchen sich Niemand, der nicht für einen Heloten und Jdioten gelten wollte, entziehen durfte. Ja diese Dinge scheinen mir so außerordentlich, sind so reich an Samen für die herrlichste Zukunft, daß ich eine Nation beklagen muß, die, sie weiß selbst nicht wie, plötzlich darum gekommen ist. Ach, wenn es irgend etwas gibt, was die Schlechtigkeit der politischen Reaktionen, die durch die Julirevolution leider nicht beseitigt worden sind, beweist, so ist es grade diese Beraubung der Menschheit an neuen und schönen Reichthümern, die sich ihr Leben hätte erwerben können. Alles, seh’ ich, wird wieder dumpf. Der grelle lachende Sonnenschein wird mit Flor gedämpft. Juristische Abwägungen von mehr oder minder Macht und Einfluß nehmen die Stelle eines welthistorischen Aufschwunges ein. Wuchergeist und Egoismus sind das Gefolge der unterdrückten freien Gemüthsstimmungen. Damit hier oder da keine Regierungsform zu Grunde gehe, damit die Verhältnisse von Fürst, Unterthan, Adel
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/440>, abgerufen am 05.07.2024. |