Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.den Thoren sich tummeln und das Jahrhundert ausfechten müssen. Warum verlangt die Religion jetzt mehr, als den Dienst der Götter? Warum wird der Ausdruck: "Weltreligion" immer so verstanden, als müßten alle Dinge der priesterlichen Vormundschaft unterthan werden? Wahrlich, wär' ich für das Christenthum ausschließlich so eingenommen, wie ich es für alle historischen Erscheinungen bin, wo Humanität und Vernunft über Sklaverei und Aberglauben siegten, so würd' ich für mein Jdeal die größte Genugthuung darin finden, daß die Kämpfer, ermüdet von Wunden oder vom Alter, doch zu mir kommen müßten, um sich heilen oder zur Ruhe bestatten zu lassen, daß ich mit meinem Troste unter einer grünen Linde stehe und Jeden aufnähme, der erschöpft von der Sonnenhitze Kühlung sucht. So bietet sich der einsame Waldbruder in seiner Hütte Niemanden an, weil er kein Wirthshaus hält, nimmt aber Jeden auf, der sich verspätet hat und seine Hülfe, sein Nachtlager, seine Freigebigkeit in Anspruch nimmt. Warum will das Christenthum mehr als diese Mission haben? Warum wollt Jhr stolzen Priester selbst in das Gedränge und Wirrsal der Jnteressen treten? Verzeihung, ehrwürdiger Herr, daß ich Jhre von Priesterehrgeiz weit entfernten Anmahnungen von der Seite dargestellt habe, von welcher sie bei klugen und vorsichtigen Leuten genommen werden könnten. Jhr Zuspruch kam aus reinstem Herzen; aber das, was man Jhren edlen Motiven gestatten würde, könnte leicht von den Thoren sich tummeln und das Jahrhundert ausfechten müssen. Warum verlangt die Religion jetzt mehr, als den Dienst der Götter? Warum wird der Ausdruck: "Weltreligion" immer so verstanden, als müßten alle Dinge der priesterlichen Vormundschaft unterthan werden? Wahrlich, wär’ ich für das Christenthum ausschließlich so eingenommen, wie ich es für alle historischen Erscheinungen bin, wo Humanität und Vernunft über Sklaverei und Aberglauben siegten, so würd’ ich für mein Jdeal die größte Genugthuung darin finden, daß die Kämpfer, ermüdet von Wunden oder vom Alter, doch zu mir kommen müßten, um sich heilen oder zur Ruhe bestatten zu lassen, daß ich mit meinem Troste unter einer grünen Linde stehe und Jeden aufnähme, der erschöpft von der Sonnenhitze Kühlung sucht. So bietet sich der einsame Waldbruder in seiner Hütte Niemanden an, weil er kein Wirthshaus hält, nimmt aber Jeden auf, der sich verspätet hat und seine Hülfe, sein Nachtlager, seine Freigebigkeit in Anspruch nimmt. Warum will das Christenthum mehr als diese Mission haben? Warum wollt Jhr stolzen Priester selbst in das Gedränge und Wirrsal der Jnteressen treten? Verzeihung, ehrwürdiger Herr, daß ich Jhre von Priesterehrgeiz weit entfernten Anmahnungen von der Seite dargestellt habe, von welcher sie bei klugen und vorsichtigen Leuten genommen werden könnten. Jhr Zuspruch kam aus reinstem Herzen; aber das, was man Jhren edlen Motiven gestatten würde, könnte leicht von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0427" n="399"/> den Thoren sich tummeln und das Jahrhundert ausfechten müssen. Warum verlangt die Religion jetzt mehr, als den Dienst der Götter? Warum wird der Ausdruck: "Weltreligion" immer so verstanden, als müßten alle Dinge der priesterlichen Vormundschaft unterthan werden? Wahrlich, wär’ ich für das Christenthum ausschließlich so eingenommen, wie ich es für alle historischen Erscheinungen bin, wo Humanität und Vernunft über Sklaverei und Aberglauben siegten, so würd’ ich für mein Jdeal die größte Genugthuung darin finden, daß die Kämpfer, ermüdet von Wunden oder vom Alter, doch zu <hi rendition="#g">mir</hi> kommen müßten, um sich heilen oder zur Ruhe bestatten zu lassen, daß ich mit meinem Troste unter einer grünen Linde stehe und Jeden aufnähme, der erschöpft von der Sonnenhitze Kühlung sucht. So bietet sich der einsame Waldbruder in seiner Hütte Niemanden an, weil er kein Wirthshaus hält, nimmt aber Jeden auf, der sich verspätet hat und seine Hülfe, sein Nachtlager, seine Freigebigkeit in Anspruch nimmt. Warum will das Christenthum mehr als diese Mission haben? Warum wollt Jhr stolzen Priester selbst in das Gedränge und Wirrsal der Jnteressen treten?</p> <p>Verzeihung, ehrwürdiger Herr, daß ich Jhre von Priesterehrgeiz weit entfernten Anmahnungen von der Seite dargestellt habe, von welcher sie bei klugen und vorsichtigen Leuten genommen werden könnten. Jhr Zuspruch kam aus reinstem Herzen; aber das, was man Jhren edlen Motiven gestatten würde, könnte leicht von </p> </div> </body> </text> </TEI> [399/0427]
den Thoren sich tummeln und das Jahrhundert ausfechten müssen. Warum verlangt die Religion jetzt mehr, als den Dienst der Götter? Warum wird der Ausdruck: "Weltreligion" immer so verstanden, als müßten alle Dinge der priesterlichen Vormundschaft unterthan werden? Wahrlich, wär’ ich für das Christenthum ausschließlich so eingenommen, wie ich es für alle historischen Erscheinungen bin, wo Humanität und Vernunft über Sklaverei und Aberglauben siegten, so würd’ ich für mein Jdeal die größte Genugthuung darin finden, daß die Kämpfer, ermüdet von Wunden oder vom Alter, doch zu mir kommen müßten, um sich heilen oder zur Ruhe bestatten zu lassen, daß ich mit meinem Troste unter einer grünen Linde stehe und Jeden aufnähme, der erschöpft von der Sonnenhitze Kühlung sucht. So bietet sich der einsame Waldbruder in seiner Hütte Niemanden an, weil er kein Wirthshaus hält, nimmt aber Jeden auf, der sich verspätet hat und seine Hülfe, sein Nachtlager, seine Freigebigkeit in Anspruch nimmt. Warum will das Christenthum mehr als diese Mission haben? Warum wollt Jhr stolzen Priester selbst in das Gedränge und Wirrsal der Jnteressen treten?
Verzeihung, ehrwürdiger Herr, daß ich Jhre von Priesterehrgeiz weit entfernten Anmahnungen von der Seite dargestellt habe, von welcher sie bei klugen und vorsichtigen Leuten genommen werden könnten. Jhr Zuspruch kam aus reinstem Herzen; aber das, was man Jhren edlen Motiven gestatten würde, könnte leicht von
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/427 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/427>, abgerufen am 28.07.2024. |