Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Sie selbst, dadurch von Jhren Zweifeln geheilt, aller Welt empfehlen möchten. Ehrwürdiger Herr, ich bin heilig davon überzeugt, daß das Christenthum zum zweiten Male die Menschheit erlösen würde, wenn wir nur im Stande wären, unsre Begriffe und Vorstellungen, unsre Wünsche und Verhältnisse, unsre Hoffnungen und Leiden so zu vereinfachen, als das Christenthum einfach ist. Aber wie wollen wir das möglich machen? Wie wollen wir alle jene Leidenschaften, die sich in der Welt durchkreuzen und ihre Tagesordnung machen, auf eine einzige Gemüthsstimmung, die Resignation, zurückführen; wie wollen wir ein Gewirr von Jnteressen, das schon widerspenstig ist, wenn wir ihm nur einige allgemeine moralische Fragen vorhalten, gar durch das Christenthum vereinfachen, durch eine Lehre zumal, die durch ihr äußerliches, weltliches und vor Gott unverantwortliches Auftreten selbst in den Strudel der Discussionen hineingerissen ist und sich dem Zeitgeiste gegenüber am wenigsten unbefangen hat erhalten können? Ja, ehrwürdiger Herr, ich will Jhnen zugestehen, daß ich das Evangelium in meinem schriftstellerischen Apostelamte predigen möchte. Jch will rufen wie ein Vorläufer der Wiedererscheinung Christi, daß man Buße thun und sich bekehren solle! Welches wird die Wirkung meiner Mahnungen seyn? Jmmer nur eine vereinzelte. Jch werde immer nur Einzelne gewinnen. Das Christenthum hat seinem innersten Wesen nach wohl eine Berufung an Jeden, aber nicht an Alle auf einmal. Ehemals, Sie selbst, dadurch von Jhren Zweifeln geheilt, aller Welt empfehlen möchten. Ehrwürdiger Herr, ich bin heilig davon überzeugt, daß das Christenthum zum zweiten Male die Menschheit erlösen würde, wenn wir nur im Stande wären, unsre Begriffe und Vorstellungen, unsre Wünsche und Verhältnisse, unsre Hoffnungen und Leiden so zu vereinfachen, als das Christenthum einfach ist. Aber wie wollen wir das möglich machen? Wie wollen wir alle jene Leidenschaften, die sich in der Welt durchkreuzen und ihre Tagesordnung machen, auf eine einzige Gemüthsstimmung, die Resignation, zurückführen; wie wollen wir ein Gewirr von Jnteressen, das schon widerspenstig ist, wenn wir ihm nur einige allgemeine moralische Fragen vorhalten, gar durch das Christenthum vereinfachen, durch eine Lehre zumal, die durch ihr äußerliches, weltliches und vor Gott unverantwortliches Auftreten selbst in den Strudel der Discussionen hineingerissen ist und sich dem Zeitgeiste gegenüber am wenigsten unbefangen hat erhalten können? Ja, ehrwürdiger Herr, ich will Jhnen zugestehen, daß ich das Evangelium in meinem schriftstellerischen Apostelamte predigen möchte. Jch will rufen wie ein Vorläufer der Wiedererscheinung Christi, daß man Buße thun und sich bekehren solle! Welches wird die Wirkung meiner Mahnungen seyn? Jmmer nur eine vereinzelte. Jch werde immer nur Einzelne gewinnen. Das Christenthum hat seinem innersten Wesen nach wohl eine Berufung an Jeden, aber nicht an Alle auf einmal. Ehemals, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0423" n="395"/> Sie selbst, dadurch von Jhren Zweifeln geheilt, aller Welt empfehlen möchten. Ehrwürdiger Herr, ich bin heilig davon überzeugt, daß das Christenthum zum zweiten Male die Menschheit erlösen würde, wenn wir nur im Stande wären, unsre Begriffe und Vorstellungen, unsre Wünsche und Verhältnisse, unsre Hoffnungen und Leiden so zu vereinfachen, als das Christenthum einfach ist. Aber wie wollen wir das möglich machen? Wie wollen wir alle jene Leidenschaften, die sich in der Welt durchkreuzen und ihre Tagesordnung machen, auf eine einzige Gemüthsstimmung, die Resignation, zurückführen; wie wollen wir ein Gewirr von Jnteressen, das schon widerspenstig ist, wenn wir ihm nur einige allgemeine moralische Fragen vorhalten, gar durch das Christenthum vereinfachen, durch eine Lehre zumal, die durch ihr äußerliches, weltliches und vor Gott unverantwortliches Auftreten selbst in den Strudel der Discussionen hineingerissen ist und sich dem Zeitgeiste gegenüber am wenigsten unbefangen hat erhalten können? Ja, ehrwürdiger Herr, ich will Jhnen zugestehen, daß ich das Evangelium in meinem schriftstellerischen Apostelamte predigen möchte. Jch will rufen wie ein Vorläufer der Wiedererscheinung Christi, daß man Buße thun und sich bekehren solle! Welches wird die Wirkung meiner Mahnungen seyn? Jmmer nur eine vereinzelte. Jch werde immer nur Einzelne gewinnen. Das Christenthum hat seinem innersten Wesen nach wohl eine Berufung an Jeden, aber nicht an Alle auf <hi rendition="#g">einmal</hi>. Ehemals, </p> </div> </body> </text> </TEI> [395/0423]
Sie selbst, dadurch von Jhren Zweifeln geheilt, aller Welt empfehlen möchten. Ehrwürdiger Herr, ich bin heilig davon überzeugt, daß das Christenthum zum zweiten Male die Menschheit erlösen würde, wenn wir nur im Stande wären, unsre Begriffe und Vorstellungen, unsre Wünsche und Verhältnisse, unsre Hoffnungen und Leiden so zu vereinfachen, als das Christenthum einfach ist. Aber wie wollen wir das möglich machen? Wie wollen wir alle jene Leidenschaften, die sich in der Welt durchkreuzen und ihre Tagesordnung machen, auf eine einzige Gemüthsstimmung, die Resignation, zurückführen; wie wollen wir ein Gewirr von Jnteressen, das schon widerspenstig ist, wenn wir ihm nur einige allgemeine moralische Fragen vorhalten, gar durch das Christenthum vereinfachen, durch eine Lehre zumal, die durch ihr äußerliches, weltliches und vor Gott unverantwortliches Auftreten selbst in den Strudel der Discussionen hineingerissen ist und sich dem Zeitgeiste gegenüber am wenigsten unbefangen hat erhalten können? Ja, ehrwürdiger Herr, ich will Jhnen zugestehen, daß ich das Evangelium in meinem schriftstellerischen Apostelamte predigen möchte. Jch will rufen wie ein Vorläufer der Wiedererscheinung Christi, daß man Buße thun und sich bekehren solle! Welches wird die Wirkung meiner Mahnungen seyn? Jmmer nur eine vereinzelte. Jch werde immer nur Einzelne gewinnen. Das Christenthum hat seinem innersten Wesen nach wohl eine Berufung an Jeden, aber nicht an Alle auf einmal. Ehemals,
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/423>, abgerufen am 28.07.2024. |