Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.dem Christenthum seinen zeitlichen Ursprung zum Vorwurf machen. Großer Gott! diese Anklagen der Bibel wegen ihrer Zusammensetzung, diese kritische Anatomie der Wunder des Heilandes, dieser Jubel, wenn in den einfachen Erzählungen schlichter Handwerker und Landleute Widersprüche entdeckt werden, indem doch gerade das Vorhandenseyn derselben die unverfälschte, zufällige, unverabredete Entstehung der ersten Berichte von den großen Vorgängen beweist - ja, mein theurer Herr, dieser ganze Apparat von Gelehrsamkeit ist in seinen Schlußfolgerungen sehr ungerecht und lieblos. Der Heiland war kein Schriftsteller; ach, wahrhaftig nein! Die Apostel wollten es seyn und hatten nicht die Fähigkeiten dazu. Das Evangelium war kein Buch, sondern eine Begebenheit. Als solche mußte sie alles Risiko der Geschichte und der Tradition laufen. Jst nun darum, daß sich so Manches als unecht vor der Kritik bewiesen hat, d. h. als jünger, denn Christus, ist darum der Kern, den sie aus der Schaale genommen haben, weniger duftend und rein? O wenn es erwiesen seyn sollte, daß Menschen viel zur Feststellung dieses beseligenden Glaubens beigetragen haben, sollte er uns nicht deßhalb gerade wahrscheinlicher, faßlicher und liebenswürdiger seyn? Dürften Jhre wackern Glaubensgenossen diese Frage bestreiten, welche doch auf den Triumph der Humanität hinauszukommen scheint? Wäre das Christenthum eine Kunst, die man lehren kann, eine Kunst, die, um nicht in blose Technik zu dem Christenthum seinen zeitlichen Ursprung zum Vorwurf machen. Großer Gott! diese Anklagen der Bibel wegen ihrer Zusammensetzung, diese kritische Anatomie der Wunder des Heilandes, dieser Jubel, wenn in den einfachen Erzählungen schlichter Handwerker und Landleute Widersprüche entdeckt werden, indem doch gerade das Vorhandenseyn derselben die unverfälschte, zufällige, unverabredete Entstehung der ersten Berichte von den großen Vorgängen beweist – ja, mein theurer Herr, dieser ganze Apparat von Gelehrsamkeit ist in seinen Schlußfolgerungen sehr ungerecht und lieblos. Der Heiland war kein Schriftsteller; ach, wahrhaftig nein! Die Apostel wollten es seyn und hatten nicht die Fähigkeiten dazu. Das Evangelium war kein Buch, sondern eine Begebenheit. Als solche mußte sie alles Risiko der Geschichte und der Tradition laufen. Jst nun darum, daß sich so Manches als unecht vor der Kritik bewiesen hat, d. h. als jünger, denn Christus, ist darum der Kern, den sie aus der Schaale genommen haben, weniger duftend und rein? O wenn es erwiesen seyn sollte, daß Menschen viel zur Feststellung dieses beseligenden Glaubens beigetragen haben, sollte er uns nicht deßhalb gerade wahrscheinlicher, faßlicher und liebenswürdiger seyn? Dürften Jhre wackern Glaubensgenossen diese Frage bestreiten, welche doch auf den Triumph der Humanität hinauszukommen scheint? Wäre das Christenthum eine Kunst, die man lehren kann, eine Kunst, die, um nicht in blose Technik zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0420" n="392"/> dem Christenthum seinen zeitlichen Ursprung zum Vorwurf machen. Großer Gott! diese Anklagen der Bibel wegen ihrer Zusammensetzung, diese kritische Anatomie der Wunder des Heilandes, dieser Jubel, wenn in den einfachen Erzählungen schlichter Handwerker und Landleute Widersprüche entdeckt werden, indem doch gerade das Vorhandenseyn derselben die unverfälschte, zufällige, unverabredete Entstehung der ersten Berichte von den großen Vorgängen beweist – ja, mein theurer Herr, dieser ganze Apparat von Gelehrsamkeit ist in seinen Schlußfolgerungen sehr ungerecht und lieblos. Der Heiland war kein Schriftsteller; ach, wahrhaftig nein! Die Apostel wollten es seyn und hatten nicht die Fähigkeiten dazu. Das Evangelium war kein Buch, sondern eine Begebenheit. Als solche mußte sie alles Risiko der Geschichte und der Tradition laufen. Jst nun darum, daß sich so Manches als unecht vor der Kritik bewiesen hat, d. h. als jünger, denn Christus, ist darum der Kern, den sie aus der Schaale genommen haben, weniger duftend und rein? O wenn es erwiesen seyn sollte, daß <hi rendition="#g">Menschen</hi> viel zur Feststellung dieses beseligenden Glaubens beigetragen haben, sollte er uns nicht deßhalb gerade wahrscheinlicher, faßlicher und liebenswürdiger seyn? Dürften Jhre wackern Glaubensgenossen diese Frage bestreiten, welche doch auf den Triumph der Humanität hinauszukommen scheint?</p> <p>Wäre das Christenthum eine Kunst, die man lehren kann, eine Kunst, die, um nicht in blose Technik zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [392/0420]
dem Christenthum seinen zeitlichen Ursprung zum Vorwurf machen. Großer Gott! diese Anklagen der Bibel wegen ihrer Zusammensetzung, diese kritische Anatomie der Wunder des Heilandes, dieser Jubel, wenn in den einfachen Erzählungen schlichter Handwerker und Landleute Widersprüche entdeckt werden, indem doch gerade das Vorhandenseyn derselben die unverfälschte, zufällige, unverabredete Entstehung der ersten Berichte von den großen Vorgängen beweist – ja, mein theurer Herr, dieser ganze Apparat von Gelehrsamkeit ist in seinen Schlußfolgerungen sehr ungerecht und lieblos. Der Heiland war kein Schriftsteller; ach, wahrhaftig nein! Die Apostel wollten es seyn und hatten nicht die Fähigkeiten dazu. Das Evangelium war kein Buch, sondern eine Begebenheit. Als solche mußte sie alles Risiko der Geschichte und der Tradition laufen. Jst nun darum, daß sich so Manches als unecht vor der Kritik bewiesen hat, d. h. als jünger, denn Christus, ist darum der Kern, den sie aus der Schaale genommen haben, weniger duftend und rein? O wenn es erwiesen seyn sollte, daß Menschen viel zur Feststellung dieses beseligenden Glaubens beigetragen haben, sollte er uns nicht deßhalb gerade wahrscheinlicher, faßlicher und liebenswürdiger seyn? Dürften Jhre wackern Glaubensgenossen diese Frage bestreiten, welche doch auf den Triumph der Humanität hinauszukommen scheint?
Wäre das Christenthum eine Kunst, die man lehren kann, eine Kunst, die, um nicht in blose Technik zu
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/420>, abgerufen am 28.07.2024. |