Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.nicht schön und melodisch, doch nach guten Mustern gebildet war. Dieser las die Rede gegen den Verres mit uns und zwar ziemlich kursorisch. Er hatte dabei nicht die Antiquitäten als Hauptgesichtspunkt, allerdings auch nicht blos die formelle Grammatik, sondern nur den Styl im Auge. Wäre Cicero in seinen langen Perioden weniger klar, als er es ist, so würden uns, was auch diesen Lehrer anbetrifft, die Verrinischen Reden ihrem wahren Jnhalte nach ein verschlossenes Buch geblieben seyn. Ein Anderer laß den Horaz und in einer andern Stunde den Sophokles. Dieser glaubte, die alten Dichter hätten nur gelebt und gesungen, ihrer Metra wegen. Eine Horazische Ode uns in ihrem Verfolg zu analysiren oder den Chor einer Tragödie auf einfache, vor den Augen sich schematisirende Grundgedanken zurückzuführen, verstand er nicht; den Rest von Muße, den uns die Metrik ließ, verbrauchte die Grammatik und die Mythologie. Es war immer ein wüstes Chaos, was uns vor Augen schwebte und das uns dunkel blieb, selbst wenn wir es ganz leidlich übersetzen konnten. Rekapitulationen des Jnhalts und Zusammenhangs kamen nie vor; bei'm sechsten und siebenten Verse hatten wir schon wieder vergessen, was im zweiten und dritten gesagt war. Den Plato erklärte uns ein junger Mann, der kränklich war, aber, was unter Philologen so selten ist, gern den Fashionable gespielt hätte. Er ritt seiner schwachen Brust wegen und kam fast immer mit Sporen in die Klasse. Oft war sein Hals so angegriffen, daß er nicht sprechen nicht schön und melodisch, doch nach guten Mustern gebildet war. Dieser las die Rede gegen den Verres mit uns und zwar ziemlich kursorisch. Er hatte dabei nicht die Antiquitäten als Hauptgesichtspunkt, allerdings auch nicht blos die formelle Grammatik, sondern nur den Styl im Auge. Wäre Cicero in seinen langen Perioden weniger klar, als er es ist, so würden uns, was auch diesen Lehrer anbetrifft, die Verrinischen Reden ihrem wahren Jnhalte nach ein verschlossenes Buch geblieben seyn. Ein Anderer laß den Horaz und in einer andern Stunde den Sophokles. Dieser glaubte, die alten Dichter hätten nur gelebt und gesungen, ihrer Metra wegen. Eine Horazische Ode uns in ihrem Verfolg zu analysiren oder den Chor einer Tragödie auf einfache, vor den Augen sich schematisirende Grundgedanken zurückzuführen, verstand er nicht; den Rest von Muße, den uns die Metrik ließ, verbrauchte die Grammatik und die Mythologie. Es war immer ein wüstes Chaos, was uns vor Augen schwebte und das uns dunkel blieb, selbst wenn wir es ganz leidlich übersetzen konnten. Rekapitulationen des Jnhalts und Zusammenhangs kamen nie vor; bei’m sechsten und siebenten Verse hatten wir schon wieder vergessen, was im zweiten und dritten gesagt war. Den Plato erklärte uns ein junger Mann, der kränklich war, aber, was unter Philologen so selten ist, gern den Fashionable gespielt hätte. Er ritt seiner schwachen Brust wegen und kam fast immer mit Sporen in die Klasse. Oft war sein Hals so angegriffen, daß er nicht sprechen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0390" n="362"/> nicht schön und melodisch, doch nach guten Mustern gebildet war. Dieser las die Rede gegen den Verres mit uns und zwar ziemlich kursorisch. Er hatte dabei nicht die Antiquitäten als Hauptgesichtspunkt, allerdings auch nicht blos die formelle Grammatik, sondern nur den Styl im Auge. Wäre Cicero in seinen langen Perioden weniger klar, als er es ist, so würden uns, was auch diesen Lehrer anbetrifft, die Verrinischen Reden ihrem wahren Jnhalte nach ein verschlossenes Buch geblieben seyn. Ein Anderer laß den Horaz und in einer andern Stunde den Sophokles. Dieser glaubte, die alten Dichter hätten nur gelebt und gesungen, ihrer <hi rendition="#g">Metra</hi> wegen. Eine Horazische Ode uns in ihrem Verfolg zu analysiren oder den Chor einer Tragödie auf einfache, vor den Augen sich schematisirende Grundgedanken zurückzuführen, verstand er nicht; den Rest von Muße, den uns die Metrik ließ, verbrauchte die Grammatik und die Mythologie. Es war immer ein wüstes Chaos, was uns vor Augen schwebte und das uns dunkel blieb, selbst wenn wir es ganz leidlich übersetzen konnten. Rekapitulationen des Jnhalts und Zusammenhangs kamen nie vor; bei’m sechsten und siebenten Verse hatten wir schon wieder vergessen, was im zweiten und dritten gesagt war. Den Plato erklärte uns ein junger Mann, der kränklich war, aber, was unter Philologen so selten ist, gern den Fashionable gespielt hätte. Er <hi rendition="#g">ritt</hi> seiner schwachen Brust wegen und kam fast immer mit Sporen in die Klasse. Oft war sein Hals so angegriffen, daß er nicht sprechen </p> </div> </body> </text> </TEI> [362/0390]
nicht schön und melodisch, doch nach guten Mustern gebildet war. Dieser las die Rede gegen den Verres mit uns und zwar ziemlich kursorisch. Er hatte dabei nicht die Antiquitäten als Hauptgesichtspunkt, allerdings auch nicht blos die formelle Grammatik, sondern nur den Styl im Auge. Wäre Cicero in seinen langen Perioden weniger klar, als er es ist, so würden uns, was auch diesen Lehrer anbetrifft, die Verrinischen Reden ihrem wahren Jnhalte nach ein verschlossenes Buch geblieben seyn. Ein Anderer laß den Horaz und in einer andern Stunde den Sophokles. Dieser glaubte, die alten Dichter hätten nur gelebt und gesungen, ihrer Metra wegen. Eine Horazische Ode uns in ihrem Verfolg zu analysiren oder den Chor einer Tragödie auf einfache, vor den Augen sich schematisirende Grundgedanken zurückzuführen, verstand er nicht; den Rest von Muße, den uns die Metrik ließ, verbrauchte die Grammatik und die Mythologie. Es war immer ein wüstes Chaos, was uns vor Augen schwebte und das uns dunkel blieb, selbst wenn wir es ganz leidlich übersetzen konnten. Rekapitulationen des Jnhalts und Zusammenhangs kamen nie vor; bei’m sechsten und siebenten Verse hatten wir schon wieder vergessen, was im zweiten und dritten gesagt war. Den Plato erklärte uns ein junger Mann, der kränklich war, aber, was unter Philologen so selten ist, gern den Fashionable gespielt hätte. Er ritt seiner schwachen Brust wegen und kam fast immer mit Sporen in die Klasse. Oft war sein Hals so angegriffen, daß er nicht sprechen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/390>, abgerufen am 28.07.2024. |