Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

wird jeder unterste Tempeldiener zum Propheten, sie begreift am wenigsten, daß dasjenige, was ihr ein Titus Pomponius mit der hektisch'sten Strenge einzuprägen sucht, sein ganzer Reichthum ist, sein erstes und zweites Glied, seine Avant- und Arrieregarde. Den eigentlichen Pedanten charakterisirt der unerschütterliche Ernst, mit dem er unter seinen Zöglingen waltet und sich gleichsam mit der Thorheit derselben identificirt hat. Wenn ich mit Titus Pomponius spreche, so duckt er die Augen, kriecht und ist verlegen; so wie er aber in seine Schule tritt, schnellen sich alle schlottrigen Glieder seines Wesens empor; jetzt trägt er den Kopf hoch, er hört nur sich selbst, er hat fünfzig lernbegierige Bewunderer um sich her; er schwelgt in der staatsgefährlichen Wollust, seine Thorheiten von allen diesen Kindern als Vernunft anerkannt zu sehen, nachgeahmt, gebilligt, angestaunt. Die Jugend ist wie nachgiebiges Wachs, das alles vorstellt, was man daraus formen kann. Die größten Weisen und größten Narren haben sich an sie gewandt, weil sie weder prüft noch widerspricht. Wenn Sokrates, wenn Rousseau dieß thaten, so ist der Eindruck rührend; man sieht, daß nur die Verdorbenheit der Erwachsenen sie von ihnen fortschreckte. Allein nun denke man sich eine ungewasch'ne und ungekämmte Natur, einen Narren mit den häßlichsten Manieren, die man sich in Betreff des Nasenputzens und Ausspeiens nur angewöhnt haben kann; man denke sich Titus Pomponius Sylbenstecher mit seiner Vorliebe für schweinslederne Einbände, mit den Fettflecken

wird jeder unterste Tempeldiener zum Propheten, sie begreift am wenigsten, daß dasjenige, was ihr ein Titus Pomponius mit der hektisch’sten Strenge einzuprägen sucht, sein ganzer Reichthum ist, sein erstes und zweites Glied, seine Avant- und Arrieregarde. Den eigentlichen Pedanten charakterisirt der unerschütterliche Ernst, mit dem er unter seinen Zöglingen waltet und sich gleichsam mit der Thorheit derselben identificirt hat. Wenn ich mit Titus Pomponius spreche, so duckt er die Augen, kriecht und ist verlegen; so wie er aber in seine Schule tritt, schnellen sich alle schlottrigen Glieder seines Wesens empor; jetzt trägt er den Kopf hoch, er hört nur sich selbst, er hat fünfzig lernbegierige Bewunderer um sich her; er schwelgt in der staatsgefährlichen Wollust, seine Thorheiten von allen diesen Kindern als Vernunft anerkannt zu sehen, nachgeahmt, gebilligt, angestaunt. Die Jugend ist wie nachgiebiges Wachs, das alles vorstellt, was man daraus formen kann. Die größten Weisen und größten Narren haben sich an sie gewandt, weil sie weder prüft noch widerspricht. Wenn Sokrates, wenn Rousseau dieß thaten, so ist der Eindruck rührend; man sieht, daß nur die Verdorbenheit der Erwachsenen sie von ihnen fortschreckte. Allein nun denke man sich eine ungewasch’ne und ungekämmte Natur, einen Narren mit den häßlichsten Manieren, die man sich in Betreff des Nasenputzens und Ausspeiens nur angewöhnt haben kann; man denke sich Titus Pomponius Sylbenstecher mit seiner Vorliebe für schweinslederne Einbände, mit den Fettflecken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0388" n="360"/>
wird jeder unterste Tempeldiener zum Propheten, sie begreift am wenigsten, daß dasjenige, was ihr ein Titus Pomponius mit der hektisch&#x2019;sten Strenge einzuprägen sucht, sein ganzer Reichthum ist, sein erstes und zweites Glied, seine Avant- und Arrieregarde. Den eigentlichen Pedanten charakterisirt der unerschütterliche Ernst, mit dem er unter seinen Zöglingen waltet und sich gleichsam mit der Thorheit derselben identificirt hat. Wenn ich mit Titus Pomponius spreche, so duckt er die Augen, kriecht und ist verlegen; so wie er aber in seine Schule tritt, schnellen sich alle schlottrigen Glieder seines Wesens empor; jetzt trägt er den Kopf hoch, er hört nur sich selbst, er hat fünfzig lernbegierige Bewunderer um sich her; er schwelgt in der staatsgefährlichen Wollust, seine Thorheiten von allen diesen Kindern als Vernunft anerkannt zu sehen, nachgeahmt, gebilligt, angestaunt. Die Jugend ist wie nachgiebiges Wachs, das alles vorstellt, was man daraus formen kann. Die größten Weisen und größten Narren haben sich an sie gewandt, weil sie weder prüft noch widerspricht. Wenn Sokrates, wenn Rousseau dieß thaten, so ist der Eindruck rührend; man sieht, daß nur die Verdorbenheit der Erwachsenen sie von ihnen fortschreckte. Allein nun denke man sich eine ungewasch&#x2019;ne und ungekämmte Natur, einen Narren mit den häßlichsten Manieren, die man sich in Betreff des Nasenputzens und Ausspeiens nur angewöhnt haben kann; man denke sich Titus Pomponius Sylbenstecher mit seiner Vorliebe für schweinslederne Einbände, mit den Fettflecken
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[360/0388] wird jeder unterste Tempeldiener zum Propheten, sie begreift am wenigsten, daß dasjenige, was ihr ein Titus Pomponius mit der hektisch’sten Strenge einzuprägen sucht, sein ganzer Reichthum ist, sein erstes und zweites Glied, seine Avant- und Arrieregarde. Den eigentlichen Pedanten charakterisirt der unerschütterliche Ernst, mit dem er unter seinen Zöglingen waltet und sich gleichsam mit der Thorheit derselben identificirt hat. Wenn ich mit Titus Pomponius spreche, so duckt er die Augen, kriecht und ist verlegen; so wie er aber in seine Schule tritt, schnellen sich alle schlottrigen Glieder seines Wesens empor; jetzt trägt er den Kopf hoch, er hört nur sich selbst, er hat fünfzig lernbegierige Bewunderer um sich her; er schwelgt in der staatsgefährlichen Wollust, seine Thorheiten von allen diesen Kindern als Vernunft anerkannt zu sehen, nachgeahmt, gebilligt, angestaunt. Die Jugend ist wie nachgiebiges Wachs, das alles vorstellt, was man daraus formen kann. Die größten Weisen und größten Narren haben sich an sie gewandt, weil sie weder prüft noch widerspricht. Wenn Sokrates, wenn Rousseau dieß thaten, so ist der Eindruck rührend; man sieht, daß nur die Verdorbenheit der Erwachsenen sie von ihnen fortschreckte. Allein nun denke man sich eine ungewasch’ne und ungekämmte Natur, einen Narren mit den häßlichsten Manieren, die man sich in Betreff des Nasenputzens und Ausspeiens nur angewöhnt haben kann; man denke sich Titus Pomponius Sylbenstecher mit seiner Vorliebe für schweinslederne Einbände, mit den Fettflecken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/388
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/388>, abgerufen am 22.11.2024.