Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Künstler; da ist eine kleine philosophische Schule, die so gefährlich wirken kann, weil sie sich nicht entfaltet, weil nur einzelne ihrer Sätze mißverstanden und entstellt unter das Volk kommen; da grollt in der Stille eine wichtige Entdeckung in der Wissenschaft, die selbst wieder entdeckt werden muß; da gährt der Kampf alter Vorurtheile mit neuen Schwärmereien - ja, wenn die Staaten sich erhalten wollen, dann haben sie nöthig, allen diesen Beziehungen eine Seite zuzuwenden, sie in das innere Staatsleben hineinzusaugen, sie mit dem Blut der Administration und der Oeffentlichkeit selbst zu vermischen. Man glaubt Wunder, welche Concession man dem Zeitgeiste gibt, daß nur dem Verdienste im Staate der Vorzug gebühren solle. Ach! diesen Satz hat man schon im achtzehnten Jahrhundert gepredigt; er umfaßt vielleicht so viel, als man gebraucht hätte, um die französische Revolution zu vermeiden, aber bei weitem nicht genug, um jene Auflösung aller von der Tradition überlieferten Beziehungen, die, wenn wir in begonnener Weise fortfahren, eintreten muß, zu hintertreiben. Daß nur das Verdienst bekränzt werde, genügt nicht; auch die Auszeichnungen des Verdienstes bilden eine Aristokratie. Darin liegt es, daß man Jedem Mittel an die Hand und Raum gebe, sich so verdient zu machen, als sein Ehrgeiz darnach glüht und die Kraft dafür da ist. Enthusiasmus muß geboren werden, Freude am Daseyn, jugendlicher Anflug in allem, was unternommen wird. Der Staat soll den ganzen Menschen erfüllen. Er soll nicht

Künstler; da ist eine kleine philosophische Schule, die so gefährlich wirken kann, weil sie sich nicht entfaltet, weil nur einzelne ihrer Sätze mißverstanden und entstellt unter das Volk kommen; da grollt in der Stille eine wichtige Entdeckung in der Wissenschaft, die selbst wieder entdeckt werden muß; da gährt der Kampf alter Vorurtheile mit neuen Schwärmereien – ja, wenn die Staaten sich erhalten wollen, dann haben sie nöthig, allen diesen Beziehungen eine Seite zuzuwenden, sie in das innere Staatsleben hineinzusaugen, sie mit dem Blut der Administration und der Oeffentlichkeit selbst zu vermischen. Man glaubt Wunder, welche Concession man dem Zeitgeiste gibt, daß nur dem Verdienste im Staate der Vorzug gebühren solle. Ach! diesen Satz hat man schon im achtzehnten Jahrhundert gepredigt; er umfaßt vielleicht so viel, als man gebraucht hätte, um die französische Revolution zu vermeiden, aber bei weitem nicht genug, um jene Auflösung aller von der Tradition überlieferten Beziehungen, die, wenn wir in begonnener Weise fortfahren, eintreten muß, zu hintertreiben. Daß nur das Verdienst bekränzt werde, genügt nicht; auch die Auszeichnungen des Verdienstes bilden eine Aristokratie. Darin liegt es, daß man Jedem Mittel an die Hand und Raum gebe, sich so verdient zu machen, als sein Ehrgeiz darnach glüht und die Kraft dafür da ist. Enthusiasmus muß geboren werden, Freude am Daseyn, jugendlicher Anflug in allem, was unternommen wird. Der Staat soll den ganzen Menschen erfüllen. Er soll nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0376" n="348"/>
Künstler; da ist eine kleine philosophische Schule, die so gefährlich wirken kann, weil sie sich nicht entfaltet, weil nur einzelne ihrer Sätze mißverstanden und entstellt unter das Volk kommen; da grollt in der Stille eine wichtige Entdeckung in der Wissenschaft, die selbst wieder entdeckt werden muß; da gährt der Kampf alter Vorurtheile mit neuen Schwärmereien &#x2013; ja, wenn die Staaten sich erhalten wollen, dann haben sie nöthig, allen diesen Beziehungen eine Seite zuzuwenden, sie in das innere Staatsleben hineinzusaugen, sie mit dem Blut der Administration und der Oeffentlichkeit selbst zu vermischen. Man glaubt Wunder, welche Concession man dem Zeitgeiste gibt, daß nur dem Verdienste im Staate der Vorzug gebühren solle. Ach! diesen Satz hat man schon im achtzehnten Jahrhundert gepredigt; er umfaßt vielleicht so viel, als man gebraucht hätte, um die französische Revolution zu vermeiden, aber bei weitem nicht genug, um jene Auflösung aller von der Tradition überlieferten Beziehungen, die, wenn wir in begonnener Weise fortfahren, eintreten muß, zu hintertreiben. Daß nur das Verdienst bekränzt werde, genügt nicht; auch die Auszeichnungen des Verdienstes bilden eine Aristokratie. Darin liegt es, daß man Jedem Mittel an die Hand und Raum gebe, sich so verdient zu machen, als sein Ehrgeiz darnach glüht und die Kraft dafür da ist. Enthusiasmus muß geboren werden, Freude am Daseyn, jugendlicher Anflug in allem, was unternommen wird. Der Staat soll den ganzen Menschen erfüllen. Er soll nicht
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0376] Künstler; da ist eine kleine philosophische Schule, die so gefährlich wirken kann, weil sie sich nicht entfaltet, weil nur einzelne ihrer Sätze mißverstanden und entstellt unter das Volk kommen; da grollt in der Stille eine wichtige Entdeckung in der Wissenschaft, die selbst wieder entdeckt werden muß; da gährt der Kampf alter Vorurtheile mit neuen Schwärmereien – ja, wenn die Staaten sich erhalten wollen, dann haben sie nöthig, allen diesen Beziehungen eine Seite zuzuwenden, sie in das innere Staatsleben hineinzusaugen, sie mit dem Blut der Administration und der Oeffentlichkeit selbst zu vermischen. Man glaubt Wunder, welche Concession man dem Zeitgeiste gibt, daß nur dem Verdienste im Staate der Vorzug gebühren solle. Ach! diesen Satz hat man schon im achtzehnten Jahrhundert gepredigt; er umfaßt vielleicht so viel, als man gebraucht hätte, um die französische Revolution zu vermeiden, aber bei weitem nicht genug, um jene Auflösung aller von der Tradition überlieferten Beziehungen, die, wenn wir in begonnener Weise fortfahren, eintreten muß, zu hintertreiben. Daß nur das Verdienst bekränzt werde, genügt nicht; auch die Auszeichnungen des Verdienstes bilden eine Aristokratie. Darin liegt es, daß man Jedem Mittel an die Hand und Raum gebe, sich so verdient zu machen, als sein Ehrgeiz darnach glüht und die Kraft dafür da ist. Enthusiasmus muß geboren werden, Freude am Daseyn, jugendlicher Anflug in allem, was unternommen wird. Der Staat soll den ganzen Menschen erfüllen. Er soll nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/376
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/376>, abgerufen am 22.11.2024.