Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Die Freundschaft, mit welcher Napoleon in Erfurt von Alexander begrüßt wurde, war keine erheuchelte. Sie beruhte, wenn nicht auf dem Genie des Kaisers, doch in jenem richtigen Blicke, mit welchem Alexander den Lauf der Ereignisse von der Revolution an zu beurtheilen wußte, auf jenem warnenden Kassandrablick, der es für ein Unglück hielt, Frankreich wieder an die Schwäche der Bourbonen zu überliefern und der den ersten besten General, einen Bernadotte, Moreau lieber an der Spitze der Franzosen gesehen hätte, als die verhätschelten Enkel des heiligen Ludwig. Jn Alexander lagen zwei Seelen, die eine wollte die Freiheit, die andere wollte niemanden bei dem Siege derselben verkürzen. Eine bekannte religiöse Stimmung verknüpfte später beide Richtungen, so daß man sich den Widerspruch erklären kann, wie zur Ehre Gottes Rußland im Süden die Flammen der griechischen Empörung schürte und im Westen zur Ehre Gottes dieselbe Revolution bekämpfte. Zu der alten Bojarenpolitik gesellte sich eine zweite Tendenz, die von Nesselrode repräsentirte verschlagene Unterhandlung und diplomatische Schachspielerei mit dem Westen und die an den Namen Capo d'Jstria sich anschließende Politik der Befreiung des Orients und der europäischen Türkei. Als diese Richtungen sich zum erstenmale in Bewegung setzten, gab ihnen nicht blos der Egoismus den Stoß, sondern im Anfang in der That Jdeen von Völkerwürde und Rechten der Geschichte, um welche sich ein Heiligenschein religiöser Empfindungen Die Freundschaft, mit welcher Napoleon in Erfurt von Alexander begrüßt wurde, war keine erheuchelte. Sie beruhte, wenn nicht auf dem Genie des Kaisers, doch in jenem richtigen Blicke, mit welchem Alexander den Lauf der Ereignisse von der Revolution an zu beurtheilen wußte, auf jenem warnenden Kassandrablick, der es für ein Unglück hielt, Frankreich wieder an die Schwäche der Bourbonen zu überliefern und der den ersten besten General, einen Bernadotte, Moreau lieber an der Spitze der Franzosen gesehen hätte, als die verhätschelten Enkel des heiligen Ludwig. Jn Alexander lagen zwei Seelen, die eine wollte die Freiheit, die andere wollte niemanden bei dem Siege derselben verkürzen. Eine bekannte religiöse Stimmung verknüpfte später beide Richtungen, so daß man sich den Widerspruch erklären kann, wie zur Ehre Gottes Rußland im Süden die Flammen der griechischen Empörung schürte und im Westen zur Ehre Gottes dieselbe Revolution bekämpfte. Zu der alten Bojarenpolitik gesellte sich eine zweite Tendenz, die von Nesselrode repräsentirte verschlagene Unterhandlung und diplomatische Schachspielerei mit dem Westen und die an den Namen Capo d’Jstria sich anschließende Politik der Befreiung des Orients und der europäischen Türkei. Als diese Richtungen sich zum erstenmale in Bewegung setzten, gab ihnen nicht blos der Egoismus den Stoß, sondern im Anfang in der That Jdeen von Völkerwürde und Rechten der Geschichte, um welche sich ein Heiligenschein religiöser Empfindungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0357" n="329"/> Die Freundschaft, mit welcher Napoleon in Erfurt von Alexander begrüßt wurde, war keine erheuchelte. Sie beruhte, wenn nicht auf dem Genie des Kaisers, doch in jenem richtigen Blicke, mit welchem Alexander den Lauf der Ereignisse von der Revolution an zu beurtheilen wußte, auf jenem warnenden Kassandrablick, der es für ein Unglück hielt, Frankreich wieder an die Schwäche der Bourbonen zu überliefern und der den ersten besten General, einen Bernadotte, Moreau lieber an der Spitze der Franzosen gesehen hätte, als die verhätschelten Enkel des heiligen Ludwig. Jn Alexander lagen zwei Seelen, die eine wollte die Freiheit, die andere wollte niemanden bei dem Siege derselben verkürzen. Eine bekannte religiöse Stimmung verknüpfte später beide Richtungen, so daß man sich den Widerspruch erklären kann, wie zur Ehre Gottes Rußland im Süden die Flammen der griechischen Empörung schürte und im Westen zur Ehre Gottes dieselbe Revolution bekämpfte.</p> <p>Zu der alten Bojarenpolitik gesellte sich eine zweite Tendenz, die von Nesselrode repräsentirte verschlagene Unterhandlung und diplomatische Schachspielerei mit dem Westen und die an den Namen Capo d’Jstria sich anschließende Politik der Befreiung des Orients und der europäischen Türkei. Als diese Richtungen sich zum erstenmale in Bewegung setzten, gab ihnen nicht blos der Egoismus den Stoß, sondern im Anfang in der That Jdeen von Völkerwürde und Rechten der Geschichte, um welche sich ein Heiligenschein religiöser Empfindungen </p> </div> </body> </text> </TEI> [329/0357]
Die Freundschaft, mit welcher Napoleon in Erfurt von Alexander begrüßt wurde, war keine erheuchelte. Sie beruhte, wenn nicht auf dem Genie des Kaisers, doch in jenem richtigen Blicke, mit welchem Alexander den Lauf der Ereignisse von der Revolution an zu beurtheilen wußte, auf jenem warnenden Kassandrablick, der es für ein Unglück hielt, Frankreich wieder an die Schwäche der Bourbonen zu überliefern und der den ersten besten General, einen Bernadotte, Moreau lieber an der Spitze der Franzosen gesehen hätte, als die verhätschelten Enkel des heiligen Ludwig. Jn Alexander lagen zwei Seelen, die eine wollte die Freiheit, die andere wollte niemanden bei dem Siege derselben verkürzen. Eine bekannte religiöse Stimmung verknüpfte später beide Richtungen, so daß man sich den Widerspruch erklären kann, wie zur Ehre Gottes Rußland im Süden die Flammen der griechischen Empörung schürte und im Westen zur Ehre Gottes dieselbe Revolution bekämpfte.
Zu der alten Bojarenpolitik gesellte sich eine zweite Tendenz, die von Nesselrode repräsentirte verschlagene Unterhandlung und diplomatische Schachspielerei mit dem Westen und die an den Namen Capo d’Jstria sich anschließende Politik der Befreiung des Orients und der europäischen Türkei. Als diese Richtungen sich zum erstenmale in Bewegung setzten, gab ihnen nicht blos der Egoismus den Stoß, sondern im Anfang in der That Jdeen von Völkerwürde und Rechten der Geschichte, um welche sich ein Heiligenschein religiöser Empfindungen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/357>, abgerufen am 28.07.2024. |