Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Verwandtschaft mit dem Blute der Normannen stets für sie in so lebhaftem Andenken, daß für sie der Pas de Calais nicht existirte, daß jene Meerenge in ihrer Jdee nicht größer war, als der Bach, der England von Schottland trennt. Erst im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts finden sich Spuren eines grimmigen Hasses zwischen England und Frankreich. Allein, wie wir oben bei Spanien gesehen hatten, daß die Jnteressen diesen Haß schürten, so wäre die Rivalität vielleicht noch zu ertragen gewesen; doch Frankreichs unkluge Politik nahm die vertriebenen Stuarts in Schutz, unterstützte die Bestrebungen des Prätendenten, eine Herrschaft wieder einzusetzen, in deren Gefolge der Katholicismus kam. Jn englische Sitte und Leben kam im vorigen Jahrhundert ein gleich starker Schwung, wie in die französische Kultur. Die Revolution und Napoleon hintertrieben vollends jede Annäherung. Und was folgt hieraus? Daß es immer nur die Jnteressen und Umstände sind, keineswegs die angebornen Antipathien, welche die Nationen gegeneinander in Harnisch bringen. Die Deutschen haben zur Zeit ihrer Befreiung vom französischen Joche ihren Haß gegen Frankreich fast zur Carrikatur gemacht, dieselben Deutschen, welche 50, 30 Jahre früher bekanntlich die größten Affen der französischen Bildung und Sitte waren. Nach den Eingebungen des Nationalhasses wird es wenigstens in unserer Zeit unmöglich seyn, noch die auswärtige Politik irgend eines Staates einzurichten. Oesterreich und Rußland haben Jahrhunderte lang mit der Verwandtschaft mit dem Blute der Normannen stets für sie in so lebhaftem Andenken, daß für sie der Pas de Calais nicht existirte, daß jene Meerenge in ihrer Jdee nicht größer war, als der Bach, der England von Schottland trennt. Erst im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts finden sich Spuren eines grimmigen Hasses zwischen England und Frankreich. Allein, wie wir oben bei Spanien gesehen hatten, daß die Jnteressen diesen Haß schürten, so wäre die Rivalität vielleicht noch zu ertragen gewesen; doch Frankreichs unkluge Politik nahm die vertriebenen Stuarts in Schutz, unterstützte die Bestrebungen des Prätendenten, eine Herrschaft wieder einzusetzen, in deren Gefolge der Katholicismus kam. Jn englische Sitte und Leben kam im vorigen Jahrhundert ein gleich starker Schwung, wie in die französische Kultur. Die Revolution und Napoleon hintertrieben vollends jede Annäherung. Und was folgt hieraus? Daß es immer nur die Jnteressen und Umstände sind, keineswegs die angebornen Antipathien, welche die Nationen gegeneinander in Harnisch bringen. Die Deutschen haben zur Zeit ihrer Befreiung vom französischen Joche ihren Haß gegen Frankreich fast zur Carrikatur gemacht, dieselben Deutschen, welche 50, 30 Jahre früher bekanntlich die größten Affen der französischen Bildung und Sitte waren. Nach den Eingebungen des Nationalhasses wird es wenigstens in unserer Zeit unmöglich seyn, noch die auswärtige Politik irgend eines Staates einzurichten. Oesterreich und Rußland haben Jahrhunderte lang mit der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0345" n="317"/> Verwandtschaft mit dem Blute der Normannen stets für sie in so lebhaftem Andenken, daß für sie der <hi rendition="#aq">Pas de Calais</hi> nicht existirte, daß jene Meerenge in ihrer Jdee nicht größer war, als der Bach, der England von Schottland trennt. Erst im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts finden sich Spuren eines grimmigen Hasses zwischen England und Frankreich. Allein, wie wir oben bei Spanien gesehen hatten, daß die Jnteressen diesen Haß schürten, so wäre die Rivalität vielleicht noch zu ertragen gewesen; doch Frankreichs unkluge Politik nahm die vertriebenen Stuarts in Schutz, unterstützte die Bestrebungen des Prätendenten, eine Herrschaft wieder einzusetzen, in deren Gefolge der Katholicismus kam. Jn englische Sitte und Leben kam im vorigen Jahrhundert ein gleich starker Schwung, wie in die französische Kultur. Die Revolution und Napoleon hintertrieben vollends jede Annäherung. Und was folgt hieraus? Daß es immer nur die Jnteressen und Umstände sind, keineswegs die angebornen Antipathien, welche die Nationen gegeneinander in Harnisch bringen. Die Deutschen haben zur Zeit ihrer Befreiung vom französischen Joche ihren Haß gegen Frankreich fast zur Carrikatur gemacht, dieselben Deutschen, welche 50, 30 Jahre früher bekanntlich die größten Affen der französischen Bildung und Sitte waren.</p> <p>Nach den Eingebungen des Nationalhasses wird es wenigstens in unserer Zeit unmöglich seyn, noch die auswärtige Politik irgend eines Staates einzurichten. Oesterreich und Rußland haben Jahrhunderte lang mit der </p> </div> </body> </text> </TEI> [317/0345]
Verwandtschaft mit dem Blute der Normannen stets für sie in so lebhaftem Andenken, daß für sie der Pas de Calais nicht existirte, daß jene Meerenge in ihrer Jdee nicht größer war, als der Bach, der England von Schottland trennt. Erst im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts finden sich Spuren eines grimmigen Hasses zwischen England und Frankreich. Allein, wie wir oben bei Spanien gesehen hatten, daß die Jnteressen diesen Haß schürten, so wäre die Rivalität vielleicht noch zu ertragen gewesen; doch Frankreichs unkluge Politik nahm die vertriebenen Stuarts in Schutz, unterstützte die Bestrebungen des Prätendenten, eine Herrschaft wieder einzusetzen, in deren Gefolge der Katholicismus kam. Jn englische Sitte und Leben kam im vorigen Jahrhundert ein gleich starker Schwung, wie in die französische Kultur. Die Revolution und Napoleon hintertrieben vollends jede Annäherung. Und was folgt hieraus? Daß es immer nur die Jnteressen und Umstände sind, keineswegs die angebornen Antipathien, welche die Nationen gegeneinander in Harnisch bringen. Die Deutschen haben zur Zeit ihrer Befreiung vom französischen Joche ihren Haß gegen Frankreich fast zur Carrikatur gemacht, dieselben Deutschen, welche 50, 30 Jahre früher bekanntlich die größten Affen der französischen Bildung und Sitte waren.
Nach den Eingebungen des Nationalhasses wird es wenigstens in unserer Zeit unmöglich seyn, noch die auswärtige Politik irgend eines Staates einzurichten. Oesterreich und Rußland haben Jahrhunderte lang mit der
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/345>, abgerufen am 28.07.2024. |