Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.in dem moralischen Fluidum der Freiheit schwimmt, sondern der sie schon wieder als ein Privilegium für sich auf Flaschen zieht; ein Wähler nähert sich schon bedeutend jener antiken Beschränktheit, die an der Freiheit nicht die Rettung des Allgemein-Menschlichen, sondern die bloße Sicherheit des Bürgerlichen sieht. Ein Wähler will die Freiheit, aber nur für sein Land, für seine Provinz, für seine Stadt, für sich selbst, kaum für den, dem man seine Stimme gibt. So schrumpft der Gesichtskreis immer enger zusammen; das, was Befreiung seyn soll, wird die größte Sklaverei. Jst z. B. die Freiheit in der Hand des französischen Wahlcensus, der kaum dreimalhunderttausend Menschen zu den Constituenten des höchsten gesetzgebenden Körpers der Nation macht, nicht schon wieder ein Despotismus geworden, der, weil er der Despotismus der Leidenschaftslosigkeit, der Apathie und des geängsteten Reichthums ist, weit unerträglicher werden kann, als die frische, vollblütige und gesunde Tyrannei meinetwegen eines Alleinherrschers, der doch in allem, was er thut, Willen und Entschlossenheit offenbart? Wenn man recht fühlen kann, wie die Alten, trotz ihrer grenzenlosen Freiheit, doch recht oft die Sklaven der Begriffe waren, welche sie mit ihr verbanden, so wird man auch fühlen können, wie sehr sich unsre neuen Wähler jenen atheniensischen Bürgern nähern, welche die Tugend des Aristides mit kleinen Schiefertäfelchen zur Stadt hinaus ostracisirten. Ein Wähler in der Hauptstadt - ein Wähler in in dem moralischen Fluidum der Freiheit schwimmt, sondern der sie schon wieder als ein Privilegium für sich auf Flaschen zieht; ein Wähler nähert sich schon bedeutend jener antiken Beschränktheit, die an der Freiheit nicht die Rettung des Allgemein-Menschlichen, sondern die bloße Sicherheit des Bürgerlichen sieht. Ein Wähler will die Freiheit, aber nur für sein Land, für seine Provinz, für seine Stadt, für sich selbst, kaum für den, dem man seine Stimme gibt. So schrumpft der Gesichtskreis immer enger zusammen; das, was Befreiung seyn soll, wird die größte Sklaverei. Jst z. B. die Freiheit in der Hand des französischen Wahlcensus, der kaum dreimalhunderttausend Menschen zu den Constituenten des höchsten gesetzgebenden Körpers der Nation macht, nicht schon wieder ein Despotismus geworden, der, weil er der Despotismus der Leidenschaftslosigkeit, der Apathie und des geängsteten Reichthums ist, weit unerträglicher werden kann, als die frische, vollblütige und gesunde Tyrannei meinetwegen eines Alleinherrschers, der doch in allem, was er thut, Willen und Entschlossenheit offenbart? Wenn man recht fühlen kann, wie die Alten, trotz ihrer grenzenlosen Freiheit, doch recht oft die Sklaven der Begriffe waren, welche sie mit ihr verbanden, so wird man auch fühlen können, wie sehr sich unsre neuen Wähler jenen atheniensischen Bürgern nähern, welche die Tugend des Aristides mit kleinen Schiefertäfelchen zur Stadt hinaus ostracisirten. Ein Wähler in der Hauptstadt – ein Wähler in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0311" n="283"/> in dem moralischen Fluidum der Freiheit schwimmt, sondern der sie schon wieder als ein Privilegium für sich auf Flaschen zieht; ein <hi rendition="#g">Wähler</hi> nähert sich schon bedeutend jener antiken Beschränktheit, die an der Freiheit nicht die Rettung des Allgemein-Menschlichen, sondern die bloße Sicherheit des Bürgerlichen sieht. Ein Wähler will die Freiheit, aber nur für sein Land, für seine Provinz, für seine Stadt, für sich selbst, kaum für den, dem man seine Stimme gibt. So schrumpft der Gesichtskreis immer enger zusammen; das, was Befreiung seyn soll, wird die größte Sklaverei. Jst z. B. die Freiheit in der Hand des französischen Wahlcensus, der kaum dreimalhunderttausend Menschen zu den Constituenten des höchsten gesetzgebenden Körpers der Nation macht, nicht schon wieder ein Despotismus geworden, der, weil er der Despotismus der Leidenschaftslosigkeit, der Apathie und des geängsteten Reichthums ist, weit unerträglicher werden kann, als die frische, vollblütige und gesunde Tyrannei meinetwegen eines Alleinherrschers, der doch in allem, was er thut, Willen und Entschlossenheit offenbart? Wenn man recht fühlen kann, wie die Alten, trotz ihrer grenzenlosen Freiheit, doch recht oft die Sklaven der Begriffe waren, welche sie mit ihr verbanden, so wird man auch fühlen können, wie sehr sich unsre neuen Wähler jenen atheniensischen Bürgern nähern, welche die Tugend des Aristides mit kleinen Schiefertäfelchen zur Stadt hinaus ostracisirten.</p> <p>Ein Wähler in der Hauptstadt – ein Wähler in </p> </div> </body> </text> </TEI> [283/0311]
in dem moralischen Fluidum der Freiheit schwimmt, sondern der sie schon wieder als ein Privilegium für sich auf Flaschen zieht; ein Wähler nähert sich schon bedeutend jener antiken Beschränktheit, die an der Freiheit nicht die Rettung des Allgemein-Menschlichen, sondern die bloße Sicherheit des Bürgerlichen sieht. Ein Wähler will die Freiheit, aber nur für sein Land, für seine Provinz, für seine Stadt, für sich selbst, kaum für den, dem man seine Stimme gibt. So schrumpft der Gesichtskreis immer enger zusammen; das, was Befreiung seyn soll, wird die größte Sklaverei. Jst z. B. die Freiheit in der Hand des französischen Wahlcensus, der kaum dreimalhunderttausend Menschen zu den Constituenten des höchsten gesetzgebenden Körpers der Nation macht, nicht schon wieder ein Despotismus geworden, der, weil er der Despotismus der Leidenschaftslosigkeit, der Apathie und des geängsteten Reichthums ist, weit unerträglicher werden kann, als die frische, vollblütige und gesunde Tyrannei meinetwegen eines Alleinherrschers, der doch in allem, was er thut, Willen und Entschlossenheit offenbart? Wenn man recht fühlen kann, wie die Alten, trotz ihrer grenzenlosen Freiheit, doch recht oft die Sklaven der Begriffe waren, welche sie mit ihr verbanden, so wird man auch fühlen können, wie sehr sich unsre neuen Wähler jenen atheniensischen Bürgern nähern, welche die Tugend des Aristides mit kleinen Schiefertäfelchen zur Stadt hinaus ostracisirten.
Ein Wähler in der Hauptstadt – ein Wähler in
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