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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Genfer Taschenuhren lassen sich keine menschlichen Herzen machen; Automaten werden niemals, wenn wir sie auch auf den Markt schicken können, an unsern Versammlungen und Bestrebungen Theil nehmen. Man lasse dem erfindenden Menschengeiste den freisten Spielraum. Gibt es eine größre Aufgabe, als der Natur ihre geschickten Handgriffe abzulauschen und sie, die launische, gedankenlose und bald ermüdete, durch menschlichen Eifer, Rath und die Ausdauer seines Geistes, welche die Ausdauer der schwachen Hände stärkt, noch in ihren Gebilden zu übertreffen? Die Natur besitzt so außerordentliche Reichthümer, so große Gesetze und Erfahrungsthatsachen und achtet sie ihrer angebornen Trägheit und Unbeholfenheit wegen so wenig. Sie ist einer Trödlerin zu vergleichen, welche unter ihren alten Schildereien Gemälde von Tizian besitzt, ohne sie zu kennen. Die Natur verschleudert Alles; sie gibt Alles um denselben Preis her, ja das Kleine schlägt sie oft höher an, als das Große. Die Menschheit geht auf das, was größre Anstrengung kostet; sie arbeitet aus Ehrgeiz Zwecken nach, an welche die Natur viel Gefahr geknüpft hat, und die doch von weit geringerm Werthe sind, als andre, die offen auf der Hand daliegen, und bei denen man nur zugreifen sollte, um bei jedem Griffe Gold zu entdecken. Glaubt ihr denn, daß alle jene scharfsinnigen Gesetze und Combinationen, welche der moderne Erfindungsgeist der Natur zu entbeuten weiß, die Menschheit von der sinnigen Betrachtung göttlicher Fügungen

Genfer Taschenuhren lassen sich keine menschlichen Herzen machen; Automaten werden niemals, wenn wir sie auch auf den Markt schicken können, an unsern Versammlungen und Bestrebungen Theil nehmen. Man lasse dem erfindenden Menschengeiste den freisten Spielraum. Gibt es eine größre Aufgabe, als der Natur ihre geschickten Handgriffe abzulauschen und sie, die launische, gedankenlose und bald ermüdete, durch menschlichen Eifer, Rath und die Ausdauer seines Geistes, welche die Ausdauer der schwachen Hände stärkt, noch in ihren Gebilden zu übertreffen? Die Natur besitzt so außerordentliche Reichthümer, so große Gesetze und Erfahrungsthatsachen und achtet sie ihrer angebornen Trägheit und Unbeholfenheit wegen so wenig. Sie ist einer Trödlerin zu vergleichen, welche unter ihren alten Schildereien Gemälde von Tizian besitzt, ohne sie zu kennen. Die Natur verschleudert Alles; sie gibt Alles um denselben Preis her, ja das Kleine schlägt sie oft höher an, als das Große. Die Menschheit geht auf das, was größre Anstrengung kostet; sie arbeitet aus Ehrgeiz Zwecken nach, an welche die Natur viel Gefahr geknüpft hat, und die doch von weit geringerm Werthe sind, als andre, die offen auf der Hand daliegen, und bei denen man nur zugreifen sollte, um bei jedem Griffe Gold zu entdecken. Glaubt ihr denn, daß alle jene scharfsinnigen Gesetze und Combinationen, welche der moderne Erfindungsgeist der Natur zu entbeuten weiß, die Menschheit von der sinnigen Betrachtung göttlicher Fügungen

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Genfer Taschenuhren lassen sich keine menschlichen Herzen machen; Automaten werden niemals, wenn wir sie auch auf den Markt schicken können, an unsern Versammlungen und Bestrebungen Theil nehmen. Man lasse dem erfindenden Menschengeiste den freisten Spielraum. Gibt es eine größre Aufgabe, als der Natur ihre geschickten Handgriffe abzulauschen und sie, die launische, gedankenlose und bald ermüdete, durch menschlichen Eifer, Rath und die Ausdauer seines Geistes, welche die Ausdauer der schwachen Hände stärkt, noch in ihren Gebilden zu übertreffen? Die Natur besitzt so außerordentliche Reichthümer, so große Gesetze und Erfahrungsthatsachen und achtet sie ihrer angebornen Trägheit und Unbeholfenheit wegen so wenig. Sie ist einer Trödlerin zu vergleichen, welche unter ihren alten Schildereien Gemälde von Tizian besitzt, ohne sie zu kennen. Die Natur verschleudert Alles; sie gibt Alles um denselben Preis her, ja das Kleine schlägt sie oft höher an, als das Große. Die Menschheit geht auf das, was größre Anstrengung kostet; sie arbeitet aus Ehrgeiz Zwecken nach, an welche die Natur viel Gefahr geknüpft hat, und die doch von weit geringerm Werthe sind, als andre, die offen auf der Hand daliegen, und bei denen man nur zugreifen sollte, um bei jedem Griffe Gold zu entdecken. Glaubt ihr denn, daß alle jene scharfsinnigen Gesetze und Combinationen, welche der moderne Erfindungsgeist der Natur zu entbeuten weiß, die Menschheit von der sinnigen Betrachtung göttlicher Fügungen
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[267/0295] Genfer Taschenuhren lassen sich keine menschlichen Herzen machen; Automaten werden niemals, wenn wir sie auch auf den Markt schicken können, an unsern Versammlungen und Bestrebungen Theil nehmen. Man lasse dem erfindenden Menschengeiste den freisten Spielraum. Gibt es eine größre Aufgabe, als der Natur ihre geschickten Handgriffe abzulauschen und sie, die launische, gedankenlose und bald ermüdete, durch menschlichen Eifer, Rath und die Ausdauer seines Geistes, welche die Ausdauer der schwachen Hände stärkt, noch in ihren Gebilden zu übertreffen? Die Natur besitzt so außerordentliche Reichthümer, so große Gesetze und Erfahrungsthatsachen und achtet sie ihrer angebornen Trägheit und Unbeholfenheit wegen so wenig. Sie ist einer Trödlerin zu vergleichen, welche unter ihren alten Schildereien Gemälde von Tizian besitzt, ohne sie zu kennen. Die Natur verschleudert Alles; sie gibt Alles um denselben Preis her, ja das Kleine schlägt sie oft höher an, als das Große. Die Menschheit geht auf das, was größre Anstrengung kostet; sie arbeitet aus Ehrgeiz Zwecken nach, an welche die Natur viel Gefahr geknüpft hat, und die doch von weit geringerm Werthe sind, als andre, die offen auf der Hand daliegen, und bei denen man nur zugreifen sollte, um bei jedem Griffe Gold zu entdecken. Glaubt ihr denn, daß alle jene scharfsinnigen Gesetze und Combinationen, welche der moderne Erfindungsgeist der Natur zu entbeuten weiß, die Menschheit von der sinnigen Betrachtung göttlicher Fügungen

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/295>, abgerufen am 22.11.2024.