Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.hatte, bekam unter Ludwig XJV. eine Pension. Allein daß die Bevölkerung Europa's trotz der Kriege des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts reißende Fortschritte gemacht hat, ist weit weniger die Folge dieser in manchen Militärstaaten, z. B. Preußen, noch bestehenden Prämien, als die der steigenden individuellen und industriellen Freiheit. Seitdem die Macht des Clerus und der Aristokratie beschränkt ist, seitdem die nutzlos gelegenen und selbst bei ehrlichem Anbau nicht hinreichend ausgebeuteten Domänen der Fürsten an den meisten Orten der Nation überlassen sind, seitdem die Monopole und Privilegien erstarben, hat sich überall eine kecke, fröhliche Lust an der, wie Göthe*) sagt, "süßen Gewohnheit des Daseyns" gezeigt und Menschen die Hülle und Fülle ins Leben gerufen. Die Bevölkerung nahm mit so gewaltiger Schnelligkeit zu, daß sich der Phantasie das Schreckbild der Uebervölkerung bemächtigte und in Malthus einen finstern, unglücksschwangern Propheten fand. Jch habe einen Bekannten, der über die Lektüre des Malthus'schen Buches in Trübsinn verfallen ist. Ueberall, wo er hinsieht, erblickt er die Plage der Uebervölkerung. Ueberall sind ihm die Menschen zu zahlreich. Die Gier, welche diese Millionen beseelen muß, um sich zu ernähren, hat ihn feige gemacht, die Conkurrenz auszuhalten und mit im Athem zu bleiben bei dem allgemeinen Wettlaufe. Sein Geschäft blieb *) Schiller. A. d. U.
hatte, bekam unter Ludwig XJV. eine Pension. Allein daß die Bevölkerung Europa’s trotz der Kriege des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts reißende Fortschritte gemacht hat, ist weit weniger die Folge dieser in manchen Militärstaaten, z. B. Preußen, noch bestehenden Prämien, als die der steigenden individuellen und industriellen Freiheit. Seitdem die Macht des Clerus und der Aristokratie beschränkt ist, seitdem die nutzlos gelegenen und selbst bei ehrlichem Anbau nicht hinreichend ausgebeuteten Domänen der Fürsten an den meisten Orten der Nation überlassen sind, seitdem die Monopole und Privilegien erstarben, hat sich überall eine kecke, fröhliche Lust an der, wie Göthe*) sagt, "süßen Gewohnheit des Daseyns" gezeigt und Menschen die Hülle und Fülle ins Leben gerufen. Die Bevölkerung nahm mit so gewaltiger Schnelligkeit zu, daß sich der Phantasie das Schreckbild der Uebervölkerung bemächtigte und in Malthus einen finstern, unglücksschwangern Propheten fand. Jch habe einen Bekannten, der über die Lektüre des Malthus’schen Buches in Trübsinn verfallen ist. Ueberall, wo er hinsieht, erblickt er die Plage der Uebervölkerung. Ueberall sind ihm die Menschen zu zahlreich. Die Gier, welche diese Millionen beseelen muß, um sich zu ernähren, hat ihn feige gemacht, die Conkurrenz auszuhalten und mit im Athem zu bleiben bei dem allgemeinen Wettlaufe. Sein Geschäft blieb *) Schiller. A. d. U.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0213" n="185"/> hatte, bekam unter Ludwig <hi rendition="#aq">XJV</hi>. eine Pension. Allein daß die Bevölkerung Europa’s trotz der Kriege des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts reißende Fortschritte gemacht hat, ist weit weniger die Folge dieser in manchen Militärstaaten, z. B. Preußen, noch bestehenden Prämien, als die der steigenden individuellen und industriellen Freiheit. Seitdem die Macht des Clerus und der Aristokratie beschränkt ist, seitdem die nutzlos gelegenen und selbst bei ehrlichem Anbau nicht hinreichend ausgebeuteten Domänen der Fürsten an den meisten Orten der Nation überlassen sind, seitdem die Monopole und Privilegien erstarben, hat sich überall eine kecke, fröhliche Lust an der, wie Göthe<note place="foot" n="*)">Schiller. A. d. U.</note> sagt, "süßen Gewohnheit des Daseyns" gezeigt und Menschen die Hülle und Fülle ins Leben gerufen. Die Bevölkerung nahm mit so gewaltiger Schnelligkeit zu, daß sich der Phantasie das Schreckbild der Uebervölkerung bemächtigte und in Malthus einen finstern, unglücksschwangern Propheten fand. Jch habe einen Bekannten, der über die Lektüre des Malthus’schen Buches in Trübsinn verfallen ist. Ueberall, wo er hinsieht, erblickt er die Plage der Uebervölkerung. Ueberall sind ihm die Menschen zu zahlreich. Die Gier, welche diese Millionen beseelen muß, um sich zu ernähren, hat ihn feige gemacht, die Conkurrenz auszuhalten und mit im Athem zu bleiben bei dem allgemeinen Wettlaufe. Sein Geschäft blieb </p> </div> </body> </text> </TEI> [185/0213]
hatte, bekam unter Ludwig XJV. eine Pension. Allein daß die Bevölkerung Europa’s trotz der Kriege des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts reißende Fortschritte gemacht hat, ist weit weniger die Folge dieser in manchen Militärstaaten, z. B. Preußen, noch bestehenden Prämien, als die der steigenden individuellen und industriellen Freiheit. Seitdem die Macht des Clerus und der Aristokratie beschränkt ist, seitdem die nutzlos gelegenen und selbst bei ehrlichem Anbau nicht hinreichend ausgebeuteten Domänen der Fürsten an den meisten Orten der Nation überlassen sind, seitdem die Monopole und Privilegien erstarben, hat sich überall eine kecke, fröhliche Lust an der, wie Göthe *) sagt, "süßen Gewohnheit des Daseyns" gezeigt und Menschen die Hülle und Fülle ins Leben gerufen. Die Bevölkerung nahm mit so gewaltiger Schnelligkeit zu, daß sich der Phantasie das Schreckbild der Uebervölkerung bemächtigte und in Malthus einen finstern, unglücksschwangern Propheten fand. Jch habe einen Bekannten, der über die Lektüre des Malthus’schen Buches in Trübsinn verfallen ist. Ueberall, wo er hinsieht, erblickt er die Plage der Uebervölkerung. Ueberall sind ihm die Menschen zu zahlreich. Die Gier, welche diese Millionen beseelen muß, um sich zu ernähren, hat ihn feige gemacht, die Conkurrenz auszuhalten und mit im Athem zu bleiben bei dem allgemeinen Wettlaufe. Sein Geschäft blieb
*) Schiller. A. d. U.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/213 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/213>, abgerufen am 28.07.2024. |