Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Denn selbst Byron, an den man immer versucht ist zu denken, wenn von der Poesie des Augenblicks gesprochen wird, selbst Byron kann nicht als deutlicher Typus unsres Begriffes dienen. Er hat soviel Launen und Spezialitäten gehabt, daß er mehr einem Auswuchse gleicht. Denn es soll ja nimmermehr gesagt werden, in der modernen Richtung der Literatur müsse all die Ausschweifung und Caprice liegen, der sich Byron nur zu bereitwillig hingegeben hat. Jch muß gestehen, entgegnete ich, daß ich meine Schreibart schwerlich anders als mit dem Namen des Modernen zu bezeichnen wüßte; wie ich aber zu dieser besondern Haltung, wie ich zu meinem eigenthümlichen Tone komme, ist mir selbst ein Räthsel. Bald scheint es mir, als treibe mich der Geist der Unruhe, welcher überhaupt unsre Zeit quält, und ermuthigte mich, mit Hand anzulegen und eine neue Welt bauen zu helfen; bald aber schmieg' ich mich wieder mit so viel liebendem Jnteresse an die selbst veralteten Sitten, an die bestehenden Gesetze und Einrichtungen an, daß ich mich fast schäme, mich auf einen bloßen Maler und Copisten dieser Zustände reduzirt zu sehen. Allein möglich auch und vielleicht ganz gewiß, es liegt in der Pflicht, welche der Literat zu befolgen hat, eben so reformistisch wie conservativ gesinnt zu seyn, wenn wir nämlich von der politischen Alltagsbedeutung dieser beiden Begriffe abstrahiren und sie in Rücksicht auf die menschliche Existenz im Ganzen und Großen gebrauchen wollen. Moderne Denn selbst Byron, an den man immer versucht ist zu denken, wenn von der Poesie des Augenblicks gesprochen wird, selbst Byron kann nicht als deutlicher Typus unsres Begriffes dienen. Er hat soviel Launen und Spezialitäten gehabt, daß er mehr einem Auswuchse gleicht. Denn es soll ja nimmermehr gesagt werden, in der modernen Richtung der Literatur müsse all die Ausschweifung und Caprice liegen, der sich Byron nur zu bereitwillig hingegeben hat. Jch muß gestehen, entgegnete ich, daß ich meine Schreibart schwerlich anders als mit dem Namen des Modernen zu bezeichnen wüßte; wie ich aber zu dieser besondern Haltung, wie ich zu meinem eigenthümlichen Tone komme, ist mir selbst ein Räthsel. Bald scheint es mir, als treibe mich der Geist der Unruhe, welcher überhaupt unsre Zeit quält, und ermuthigte mich, mit Hand anzulegen und eine neue Welt bauen zu helfen; bald aber schmieg’ ich mich wieder mit so viel liebendem Jnteresse an die selbst veralteten Sitten, an die bestehenden Gesetze und Einrichtungen an, daß ich mich fast schäme, mich auf einen bloßen Maler und Copisten dieser Zustände reduzirt zu sehen. Allein möglich auch und vielleicht ganz gewiß, es liegt in der Pflicht, welche der Literat zu befolgen hat, eben so reformistisch wie conservativ gesinnt zu seyn, wenn wir nämlich von der politischen Alltagsbedeutung dieser beiden Begriffe abstrahiren und sie in Rücksicht auf die menschliche Existenz im Ganzen und Großen gebrauchen wollen. Moderne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0198" n="170"/> Denn selbst Byron, an den man immer versucht ist zu denken, wenn von der Poesie des Augenblicks gesprochen wird, selbst Byron kann nicht als deutlicher Typus unsres Begriffes dienen. Er hat soviel Launen und Spezialitäten gehabt, daß er mehr einem Auswuchse gleicht. Denn es soll ja nimmermehr gesagt werden, in der modernen Richtung der Literatur müsse all die Ausschweifung und Caprice liegen, der sich Byron nur zu bereitwillig hingegeben hat.</p> <p>Jch muß gestehen, entgegnete ich, daß ich meine Schreibart schwerlich anders als mit dem Namen des Modernen zu bezeichnen wüßte; wie ich aber zu dieser besondern Haltung, wie ich zu meinem eigenthümlichen Tone komme, ist mir selbst ein Räthsel. Bald scheint es mir, als treibe mich der Geist der Unruhe, welcher überhaupt unsre Zeit quält, und ermuthigte mich, mit Hand anzulegen und eine neue Welt bauen zu helfen; bald aber schmieg’ ich mich wieder mit so viel liebendem Jnteresse an die selbst veralteten Sitten, an die bestehenden Gesetze und Einrichtungen an, daß ich mich fast schäme, mich auf einen bloßen Maler und Copisten dieser Zustände reduzirt zu sehen. Allein möglich auch und vielleicht ganz gewiß, es liegt in der Pflicht, welche der Literat zu befolgen hat, eben so reformistisch wie conservativ gesinnt zu seyn, wenn wir nämlich von der politischen Alltagsbedeutung dieser beiden Begriffe abstrahiren und sie in Rücksicht auf die menschliche Existenz im Ganzen und Großen gebrauchen wollen. Moderne </p> </div> </body> </text> </TEI> [170/0198]
Denn selbst Byron, an den man immer versucht ist zu denken, wenn von der Poesie des Augenblicks gesprochen wird, selbst Byron kann nicht als deutlicher Typus unsres Begriffes dienen. Er hat soviel Launen und Spezialitäten gehabt, daß er mehr einem Auswuchse gleicht. Denn es soll ja nimmermehr gesagt werden, in der modernen Richtung der Literatur müsse all die Ausschweifung und Caprice liegen, der sich Byron nur zu bereitwillig hingegeben hat.
Jch muß gestehen, entgegnete ich, daß ich meine Schreibart schwerlich anders als mit dem Namen des Modernen zu bezeichnen wüßte; wie ich aber zu dieser besondern Haltung, wie ich zu meinem eigenthümlichen Tone komme, ist mir selbst ein Räthsel. Bald scheint es mir, als treibe mich der Geist der Unruhe, welcher überhaupt unsre Zeit quält, und ermuthigte mich, mit Hand anzulegen und eine neue Welt bauen zu helfen; bald aber schmieg’ ich mich wieder mit so viel liebendem Jnteresse an die selbst veralteten Sitten, an die bestehenden Gesetze und Einrichtungen an, daß ich mich fast schäme, mich auf einen bloßen Maler und Copisten dieser Zustände reduzirt zu sehen. Allein möglich auch und vielleicht ganz gewiß, es liegt in der Pflicht, welche der Literat zu befolgen hat, eben so reformistisch wie conservativ gesinnt zu seyn, wenn wir nämlich von der politischen Alltagsbedeutung dieser beiden Begriffe abstrahiren und sie in Rücksicht auf die menschliche Existenz im Ganzen und Großen gebrauchen wollen. Moderne
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