und in einem gewissen Betracht darum unpoetischer geworden.
Oder ist vielleicht die Poesie unsrer Zeiten anders motivirt, als ehemals? Napoleon stürzt, der Bellerophon trägt ihn über die schwankende See, ein weitentlegenes Eiland trennt ihn auf ewig vom Schauplatze seines Ruhmes; Napoleon auf St. Helena wird eine Ursache der allgemeinen Verwünschung Englands, ja England selbst stimmt in den Ausbruch einer Theilnahme ein, die mit dem frühern Haß seltsam kontrastirte. Er wird der Held der Dichtkunst, gepriesen wie der größte Wohlthäter der Menschheit, er war der Gefährlichste unter den Menschen und wird nun ihr Größter genannt. Merkwürdige Umkehr! Man kann nicht sagen, daß hier allein die Großmuth obwaltete, und daß man einem Löwen, dem die Tatzen beschnitten waren, vergeben konnte; dieß wäre ein Gefühl gewesen, das den Fürsten und ihren Rathgebern gut gestanden hätte. Das Volk übte eine andere Gerechtigkeit, die poetische. Es sah nicht einmal mehr den Gefangenen in Napoleon, sondern nur noch den Todten. Die Täuschungen, welche die Folge der gegen Frankreich gerichtet gewesenen Kämpfe waren, die Täuschungen, welche Frankreich sich selbst gestehen mußte, ließen das Unrecht Napoleons vergessen, man legte seiner Erscheinung eine höhere Bedeutung bei und trug sich, wie bei Christi Tode, noch lange Jahre mit seiner Wiederkunft. Bei Varna und Adrianopel im Russenkriege wollte man einen untersetzten Mann
und in einem gewissen Betracht darum unpoetischer geworden.
Oder ist vielleicht die Poesie unsrer Zeiten anders motivirt, als ehemals? Napoleon stürzt, der Bellerophon trägt ihn über die schwankende See, ein weitentlegenes Eiland trennt ihn auf ewig vom Schauplatze seines Ruhmes; Napoleon auf St. Helena wird eine Ursache der allgemeinen Verwünschung Englands, ja England selbst stimmt in den Ausbruch einer Theilnahme ein, die mit dem frühern Haß seltsam kontrastirte. Er wird der Held der Dichtkunst, gepriesen wie der größte Wohlthäter der Menschheit, er war der Gefährlichste unter den Menschen und wird nun ihr Größter genannt. Merkwürdige Umkehr! Man kann nicht sagen, daß hier allein die Großmuth obwaltete, und daß man einem Löwen, dem die Tatzen beschnitten waren, vergeben konnte; dieß wäre ein Gefühl gewesen, das den Fürsten und ihren Rathgebern gut gestanden hätte. Das Volk übte eine andere Gerechtigkeit, die poetische. Es sah nicht einmal mehr den Gefangenen in Napoleon, sondern nur noch den Todten. Die Täuschungen, welche die Folge der gegen Frankreich gerichtet gewesenen Kämpfe waren, die Täuschungen, welche Frankreich sich selbst gestehen mußte, ließen das Unrecht Napoleons vergessen, man legte seiner Erscheinung eine höhere Bedeutung bei und trug sich, wie bei Christi Tode, noch lange Jahre mit seiner Wiederkunft. Bei Varna und Adrianopel im Russenkriege wollte man einen untersetzten Mann
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und in einem gewissen Betracht darum unpoetischer geworden.</p><p>Oder ist vielleicht die Poesie unsrer Zeiten anders motivirt, als ehemals? Napoleon stürzt, der Bellerophon trägt ihn über die schwankende See, ein weitentlegenes Eiland trennt ihn auf ewig vom Schauplatze seines Ruhmes; Napoleon auf St. Helena wird eine Ursache der allgemeinen Verwünschung Englands, ja England selbst stimmt in den Ausbruch einer Theilnahme ein, die mit dem frühern Haß seltsam kontrastirte. Er wird der Held der Dichtkunst, gepriesen wie der größte Wohlthäter der Menschheit, er war der Gefährlichste unter den Menschen und wird nun ihr Größter genannt. Merkwürdige Umkehr! Man kann nicht sagen, daß hier allein die Großmuth obwaltete, und daß man einem Löwen, dem die Tatzen beschnitten waren, vergeben konnte; dieß wäre ein Gefühl gewesen, das den Fürsten und ihren Rathgebern gut gestanden hätte. Das Volk übte eine andere Gerechtigkeit, die poetische. Es sah nicht einmal mehr den Gefangenen in Napoleon, sondern nur noch den Todten. Die Täuschungen, welche die Folge der gegen Frankreich gerichtet gewesenen Kämpfe waren, die Täuschungen, welche Frankreich sich selbst gestehen mußte, ließen das Unrecht Napoleons vergessen, man legte seiner Erscheinung eine höhere Bedeutung bei und trug sich, wie bei Christi Tode, noch lange Jahre mit seiner Wiederkunft. Bei Varna und Adrianopel im Russenkriege wollte man einen untersetzten Mann
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und in einem gewissen Betracht darum unpoetischer geworden.
Oder ist vielleicht die Poesie unsrer Zeiten anders motivirt, als ehemals? Napoleon stürzt, der Bellerophon trägt ihn über die schwankende See, ein weitentlegenes Eiland trennt ihn auf ewig vom Schauplatze seines Ruhmes; Napoleon auf St. Helena wird eine Ursache der allgemeinen Verwünschung Englands, ja England selbst stimmt in den Ausbruch einer Theilnahme ein, die mit dem frühern Haß seltsam kontrastirte. Er wird der Held der Dichtkunst, gepriesen wie der größte Wohlthäter der Menschheit, er war der Gefährlichste unter den Menschen und wird nun ihr Größter genannt. Merkwürdige Umkehr! Man kann nicht sagen, daß hier allein die Großmuth obwaltete, und daß man einem Löwen, dem die Tatzen beschnitten waren, vergeben konnte; dieß wäre ein Gefühl gewesen, das den Fürsten und ihren Rathgebern gut gestanden hätte. Das Volk übte eine andere Gerechtigkeit, die poetische. Es sah nicht einmal mehr den Gefangenen in Napoleon, sondern nur noch den Todten. Die Täuschungen, welche die Folge der gegen Frankreich gerichtet gewesenen Kämpfe waren, die Täuschungen, welche Frankreich sich selbst gestehen mußte, ließen das Unrecht Napoleons vergessen, man legte seiner Erscheinung eine höhere Bedeutung bei und trug sich, wie bei Christi Tode, noch lange Jahre mit seiner Wiederkunft. Bei Varna und Adrianopel im Russenkriege wollte man einen untersetzten Mann
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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/112>, abgerufen am 28.07.2024.
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