Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Temperament nicht. Nichts desto weniger traf
sie sehr gut die Gedankenreihe Cäsars, indem
sie fortfuhr: "Ich glaube fast, Sie halten die
Tugend für eine Berechnung?"

"Die Tugend nicht," entgegnete Cäsar;
"aber Alles, was man gern für Instinkt an¬
zusehen gewohnt ist. Unsre Handlungen sollen
berechnet sein, unsre Empfindungen sind es.
Ich erinnere Sie nur an das Unbequeme man¬
cher Empfindung, mit der wir gern kokettiren,
die uns aber in gewissen Zeiten recht zur Un¬
zeit kömmt."

"Sie sind ohne Natur;" sagte Wally.

"Ich bin ohne Verstellung;" fiel Cäsar ein.

"Ohne Verstellung? Jeder Satz in Ihren
Theorien scheint von Ihren zufälligen Zwek¬
ken abhängig zu sein."

Cäsar mußte lächeln; er hatte etwas ge¬
sagt, was er nicht meinte.

Temperament nicht. Nichts deſto weniger traf
ſie ſehr gut die Gedankenreihe Cäſars, indem
ſie fortfuhr: „Ich glaube faſt, Sie halten die
Tugend für eine Berechnung?“

„Die Tugend nicht,“ entgegnete Cäſar;
„aber Alles, was man gern für Inſtinkt an¬
zuſehen gewohnt iſt. Unſre Handlungen ſollen
berechnet ſein, unſre Empfindungen ſind es.
Ich erinnere Sie nur an das Unbequeme man¬
cher Empfindung, mit der wir gern kokettiren,
die uns aber in gewiſſen Zeiten recht zur Un¬
zeit kömmt.“

„Sie ſind ohne Natur;“ ſagte Wally.

„Ich bin ohne Verſtellung;“ fiel Cäſar ein.

„Ohne Verſtellung? Jeder Satz in Ihren
Theorien ſcheint von Ihren zufälligen Zwek¬
ken abhängig zu ſein.“

Cäſar mußte lächeln; er hatte etwas ge¬
ſagt, was er nicht meinte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0034" n="25"/>
Temperament nicht. Nichts de&#x017F;to weniger traf<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ehr gut die Gedankenreihe Cä&#x017F;ars, indem<lb/>
&#x017F;ie fortfuhr: &#x201E;Ich glaube fa&#x017F;t, Sie halten die<lb/>
Tugend für eine Berechnung?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Die Tugend nicht,&#x201C; entgegnete Cä&#x017F;ar;<lb/>
&#x201E;aber Alles, was man gern für In&#x017F;tinkt an¬<lb/>
zu&#x017F;ehen gewohnt i&#x017F;t. Un&#x017F;re Handlungen &#x017F;ollen<lb/>
berechnet &#x017F;ein, un&#x017F;re Empfindungen &#x017F;ind es.<lb/>
Ich erinnere Sie nur an das Unbequeme man¬<lb/>
cher Empfindung, mit der wir gern kokettiren,<lb/>
die uns aber in gewi&#x017F;&#x017F;en Zeiten recht zur Un¬<lb/>
zeit kömmt.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie &#x017F;ind ohne Natur;&#x201C; &#x017F;agte Wally.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich bin ohne Ver&#x017F;tellung;&#x201C; fiel Cä&#x017F;ar ein.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ohne Ver&#x017F;tellung? Jeder Satz in Ihren<lb/>
Theorien &#x017F;cheint von Ihren zufälligen Zwek¬<lb/>
ken abhängig zu &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x017F;ar mußte lächeln; er hatte etwas ge¬<lb/>
&#x017F;agt, was er nicht meinte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0034] Temperament nicht. Nichts deſto weniger traf ſie ſehr gut die Gedankenreihe Cäſars, indem ſie fortfuhr: „Ich glaube faſt, Sie halten die Tugend für eine Berechnung?“ „Die Tugend nicht,“ entgegnete Cäſar; „aber Alles, was man gern für Inſtinkt an¬ zuſehen gewohnt iſt. Unſre Handlungen ſollen berechnet ſein, unſre Empfindungen ſind es. Ich erinnere Sie nur an das Unbequeme man¬ cher Empfindung, mit der wir gern kokettiren, die uns aber in gewiſſen Zeiten recht zur Un¬ zeit kömmt.“ „Sie ſind ohne Natur;“ ſagte Wally. „Ich bin ohne Verſtellung;“ fiel Cäſar ein. „Ohne Verſtellung? Jeder Satz in Ihren Theorien ſcheint von Ihren zufälligen Zwek¬ ken abhängig zu ſein.“ Cäſar mußte lächeln; er hatte etwas ge¬ ſagt, was er nicht meinte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/34
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/34>, abgerufen am 25.11.2024.