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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

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als alle Gesetze der Moral und des Herkom¬
mens. Sie fühlte auch wie klein man ist, wenn
man der Poesie sich widersetzt. Ach, das quälte
sie, untergeordnet zu sein und weniger unschuldig
im Grunde, als die Poesie, die Menschen braucht
und schildert!

Wally schlug die rührende Geschichte nach,
die ihr Cäsar erzählt hatte. Sie weinte mit
Sigunen, sie kostete die Unschuld, die in dem
Verlöbniß der beiden Liebenden des Gedichtes
lag, allmälig immer tiefer. Es liegt in der
Schönheit der Natur eine göttliche Gewalt,
die bezaubert. Wally beugte und wand sich
mit all ihren schönen Grundsätzen und den Leh¬
ren, die sie ihrer Erziehung, ja selbst ihrer ver¬
nünftigen Ueberlegung verdankte, vor dem Ideale
des Naturschönen. Sie ging noch weiter. Sie
gab die Natur auf, sie hielt sich an die Kunst,
an das Gebilde der Phantasie, das in sich ab¬

als alle Geſetze der Moral und des Herkom¬
mens. Sie fühlte auch wie klein man iſt, wenn
man der Poeſie ſich widerſetzt. Ach, das quälte
ſie, untergeordnet zu ſein und weniger unſchuldig
im Grunde, als die Poeſie, die Menſchen braucht
und ſchildert!

Wally ſchlug die rührende Geſchichte nach,
die ihr Cäſar erzählt hatte. Sie weinte mit
Sigunen, ſie koſtete die Unſchuld, die in dem
Verlöbniß der beiden Liebenden des Gedichtes
lag, allmälig immer tiefer. Es liegt in der
Schönheit der Natur eine göttliche Gewalt,
die bezaubert. Wally beugte und wand ſich
mit all ihren ſchönen Grundſätzen und den Leh¬
ren, die ſie ihrer Erziehung, ja ſelbſt ihrer ver¬
nünftigen Ueberlegung verdankte, vor dem Ideale
des Naturſchönen. Sie ging noch weiter. Sie
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[124/0133] als alle Geſetze der Moral und des Herkom¬ mens. Sie fühlte auch wie klein man iſt, wenn man der Poeſie ſich widerſetzt. Ach, das quälte ſie, untergeordnet zu ſein und weniger unſchuldig im Grunde, als die Poeſie, die Menſchen braucht und ſchildert! Wally ſchlug die rührende Geſchichte nach, die ihr Cäſar erzählt hatte. Sie weinte mit Sigunen, ſie koſtete die Unſchuld, die in dem Verlöbniß der beiden Liebenden des Gedichtes lag, allmälig immer tiefer. Es liegt in der Schönheit der Natur eine göttliche Gewalt, die bezaubert. Wally beugte und wand ſich mit all ihren ſchönen Grundſätzen und den Leh¬ ren, die ſie ihrer Erziehung, ja ſelbſt ihrer ver¬ nünftigen Ueberlegung verdankte, vor dem Ideale des Naturſchönen. Sie ging noch weiter. Sie gab die Natur auf, ſie hielt ſich an die Kunſt, an das Gebilde der Phantaſie, das in ſich ab¬

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/133>, abgerufen am 25.11.2024.