des Menschen Herzen innere Gedichte ent¬ wickeln, eine ganze Historie von Wundern, die wir zu erklären verzweifeln, Gedichte, in denen wir selbst der von den Göttern verfolgte, ge¬ neckte, scheiternde, irrende Ulysses sind. Das ist alles halb, siehst du. Es ist noch immer nicht das, was ich sagen möchte und nicht sa¬ gen kann. Liebe Antonie, das ist der Fluch: man verlangt nichts von uns, man will gar nichts, es kömmt gar nichts drauf an. Auch dies noch: wir haben einen Ideenkreis, in wel¬ chen uns die Erziehung hineinschleuderte. Dar¬ aus dürfen wir nun nicht heraus und sollen uns nur mit Grazie, wie ein gefangenes Thier, an dem Eisengitter dieses Rondels herumwin¬ den. Diese Gefangenschaft unserer Meinungen -- ach, war Spreu für den Wind! Rechte will ich in Anspruch nehmen, für wen? für was? O Antonie, ich habe nichts, was werth wäre, gedacht: ich will gar nicht sagen, ge¬
des Menſchen Herzen innere Gedichte ent¬ wickeln, eine ganze Hiſtorie von Wundern, die wir zu erklären verzweifeln, Gedichte, in denen wir ſelbſt der von den Göttern verfolgte, ge¬ neckte, ſcheiternde, irrende Ulyſſes ſind. Das iſt alles halb, ſiehſt du. Es iſt noch immer nicht das, was ich ſagen möchte und nicht ſa¬ gen kann. Liebe Antonie, das iſt der Fluch: man verlangt nichts von uns, man will gar nichts, es kömmt gar nichts drauf an. Auch dies noch: wir haben einen Ideenkreis, in wel¬ chen uns die Erziehung hineinſchleuderte. Dar¬ aus dürfen wir nun nicht heraus und ſollen uns nur mit Grazie, wie ein gefangenes Thier, an dem Eiſengitter dieſes Rondels herumwin¬ den. Dieſe Gefangenſchaft unſerer Meinungen — ach, war Spreu für den Wind! Rechte will ich in Anſpruch nehmen, für wen? für was? O Antonie, ich habe nichts, was werth wäre, gedacht: ich will gar nicht ſagen, ge¬
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des Menſchen Herzen innere Gedichte ent¬
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wir zu erklären verzweifeln, Gedichte, in denen
wir ſelbſt der von den Göttern verfolgte, ge¬
neckte, ſcheiternde, irrende Ulyſſes ſind. Das
iſt alles halb, ſiehſt du. Es iſt noch immer
nicht das, was ich ſagen möchte und nicht ſa¬
gen kann. Liebe Antonie, das iſt der Fluch:
man verlangt nichts von uns, man will gar
nichts, es kömmt gar nichts drauf an. Auch
dies noch: wir haben einen Ideenkreis, in wel¬
chen uns die Erziehung hineinſchleuderte. Dar¬
aus dürfen wir nun nicht heraus und ſollen
uns nur mit Grazie, wie ein gefangenes Thier,
an dem Eiſengitter dieſes Rondels herumwin¬
den. Dieſe Gefangenſchaft unſerer Meinungen
— ach, war Spreu für den Wind! Rechte
will ich in Anſpruch nehmen, für wen? für
was? O Antonie, ich habe nichts, was werth
wäre, gedacht: ich will gar nicht ſagen, ge¬
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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/104>, abgerufen am 24.11.2024.
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