Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.glauben! Martha hatte bereits bei der Commerzienräthin Rabe den Verkehr derselben mit dem Pfarrer Siegfried als eine derartige Unwahrheit erkannt, daß sie selbst zwar alles Uebermaß neuerer Anschauungen, das sie in so gefahrvoller Weise an ihrem Bruder vertreten sah, vermied, sich aber doch auf einem freiern Standpunkt erhielt. Sie sagte gelegentlich: Ich glaube, daß wir Alle in furchtbaren Täuschungen über uns selbst leben! Aber ich mag nicht, daß man über die doch immer fragliche Art, diese Täuschungen aufzudecken und zu widerlegen, so entzückt, jubelt und frohlockt! Seit Martha allein im Schlosse waltete, war Gräfin Constanze ganz in ihren Händen. Denn ihr Vorleben bei Wolnys Gattin hatte dies seltne Wesen zu einer wahren Virtuosin in der Behandlung älterer, kränkelnder, am Geist allmälig Einbuße erleidender Personen gemacht. Sie ließ heizen und pries dann wieder die wunderbar erquickende Luft, die hereinströmte, wenn Martha in andern Zimmern die Fenster öffnete. Den Roman Marthas mit Wolny wußte die Gräfin sozusagen auswendig. Das eingehaltene Trauerjahr ohne Erklärung erschien ihr als das Edelste, Schönste, was nur aus einem Mannesherzen kommen konnte. Auf einem Grabe sogleich wieder Hochzeit machen, den Vortheil ausbeuten, den uns der Abscheidende für unsern Lebensgenuß gewährt, glauben! Martha hatte bereits bei der Commerzienräthin Rabe den Verkehr derselben mit dem Pfarrer Siegfried als eine derartige Unwahrheit erkannt, daß sie selbst zwar alles Uebermaß neuerer Anschauungen, das sie in so gefahrvoller Weise an ihrem Bruder vertreten sah, vermied, sich aber doch auf einem freiern Standpunkt erhielt. Sie sagte gelegentlich: Ich glaube, daß wir Alle in furchtbaren Täuschungen über uns selbst leben! Aber ich mag nicht, daß man über die doch immer fragliche Art, diese Täuschungen aufzudecken und zu widerlegen, so entzückt, jubelt und frohlockt! Seit Martha allein im Schlosse waltete, war Gräfin Constanze ganz in ihren Händen. Denn ihr Vorleben bei Wolnys Gattin hatte dies seltne Wesen zu einer wahren Virtuosin in der Behandlung älterer, kränkelnder, am Geist allmälig Einbuße erleidender Personen gemacht. Sie ließ heizen und pries dann wieder die wunderbar erquickende Luft, die hereinströmte, wenn Martha in andern Zimmern die Fenster öffnete. Den Roman Marthas mit Wolny wußte die Gräfin sozusagen auswendig. Das eingehaltene Trauerjahr ohne Erklärung erschien ihr als das Edelste, Schönste, was nur aus einem Mannesherzen kommen konnte. Auf einem Grabe sogleich wieder Hochzeit machen, den Vortheil ausbeuten, den uns der Abscheidende für unsern Lebensgenuß gewährt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0094" n="88"/> glauben! Martha hatte bereits bei der Commerzienräthin Rabe den Verkehr derselben mit dem Pfarrer Siegfried als eine derartige Unwahrheit erkannt, daß sie selbst zwar alles Uebermaß neuerer Anschauungen, das sie in so gefahrvoller Weise an ihrem Bruder vertreten sah, vermied, sich aber doch auf einem freiern Standpunkt erhielt. Sie sagte gelegentlich: Ich glaube, daß wir Alle in furchtbaren Täuschungen über uns selbst leben! Aber ich mag nicht, daß man über die doch immer fragliche Art, diese Täuschungen aufzudecken und zu widerlegen, so entzückt, jubelt und frohlockt!</p> <p>Seit Martha allein im Schlosse waltete, war Gräfin Constanze ganz in ihren Händen. Denn ihr Vorleben bei Wolnys Gattin hatte dies seltne Wesen zu einer wahren Virtuosin in der Behandlung älterer, kränkelnder, am Geist allmälig Einbuße erleidender Personen gemacht. Sie ließ heizen und pries dann wieder die wunderbar erquickende Luft, die hereinströmte, wenn Martha in andern Zimmern die Fenster öffnete. Den Roman Marthas mit Wolny wußte die Gräfin sozusagen auswendig. Das eingehaltene Trauerjahr ohne Erklärung erschien ihr als das Edelste, Schönste, was nur aus einem Mannesherzen kommen konnte. Auf einem Grabe sogleich wieder Hochzeit machen, den Vortheil ausbeuten, den uns der Abscheidende für unsern Lebensgenuß gewährt, </p> </div> </body> </text> </TEI> [88/0094]
glauben! Martha hatte bereits bei der Commerzienräthin Rabe den Verkehr derselben mit dem Pfarrer Siegfried als eine derartige Unwahrheit erkannt, daß sie selbst zwar alles Uebermaß neuerer Anschauungen, das sie in so gefahrvoller Weise an ihrem Bruder vertreten sah, vermied, sich aber doch auf einem freiern Standpunkt erhielt. Sie sagte gelegentlich: Ich glaube, daß wir Alle in furchtbaren Täuschungen über uns selbst leben! Aber ich mag nicht, daß man über die doch immer fragliche Art, diese Täuschungen aufzudecken und zu widerlegen, so entzückt, jubelt und frohlockt!
Seit Martha allein im Schlosse waltete, war Gräfin Constanze ganz in ihren Händen. Denn ihr Vorleben bei Wolnys Gattin hatte dies seltne Wesen zu einer wahren Virtuosin in der Behandlung älterer, kränkelnder, am Geist allmälig Einbuße erleidender Personen gemacht. Sie ließ heizen und pries dann wieder die wunderbar erquickende Luft, die hereinströmte, wenn Martha in andern Zimmern die Fenster öffnete. Den Roman Marthas mit Wolny wußte die Gräfin sozusagen auswendig. Das eingehaltene Trauerjahr ohne Erklärung erschien ihr als das Edelste, Schönste, was nur aus einem Mannesherzen kommen konnte. Auf einem Grabe sogleich wieder Hochzeit machen, den Vortheil ausbeuten, den uns der Abscheidende für unsern Lebensgenuß gewährt,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-02-19T11:57:26Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-02-19T11:57:26Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-3<a>)
(2014-02-19T11:57:26Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |