Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.Waschfrauennaturen heben zu wollen. Frau Müller ist geistesschwach. Als sie mich fragte: Was wollen Sie eigentlich hier? hatte ich die Geistesgegenwart zu sagen: Das frage ich Sie! Wer sind Sie? Edwina kam dazwischen und trennte uns. Ich war unter den paar Gasflammen, den tropischen Pflanzen, den Möbeln, den Vorhängen, nach der stillen Straße zu, wo Edwina wohnt, wie mit einer Verrückten allein. Mein Dolchmesser führe ich aus alter Gewohnheit immer bei mir, denn ich fühle Ueberspannung, Haß, Neid rings um mich her. Manche Rivale sind geradezu lächerlich! Unser Verwaltungsrath Cohn von Cohnheim z. B. wechselt mehr als Albumsprüche mit Edwinen. Wenn es die Assessorin Rabe wüßte! Ihre Photographie hat er sich von Edwinen erbeten mit einem Spruch. Auf den Rücken ihres göttlichen, in Cabinetsformat wiedergegebenen Halbprofils hatte sie mit zierlicher Hand geschrieben: "Was Euch Comödie dünkt, ist Andern Tragödie! Du nennst den Scheiternden einen Narren, der Gerechte wird ihn einen Weisen nennen!" Der Baron machte mit dieser Eroberung auf der Börse Glück. Alles war im Scheitern begriffen und Jeder konnte nun weise sein. Man bewunderte die Tiefe des Spruches. Der glückliche Besitzer that sogar, als läge diesen Zeilen eine Leidenschaft für seine Person zum Grunde. Er hatte lange Waschfrauennaturen heben zu wollen. Frau Müller ist geistesschwach. Als sie mich fragte: Was wollen Sie eigentlich hier? hatte ich die Geistesgegenwart zu sagen: Das frage ich Sie! Wer sind Sie? Edwina kam dazwischen und trennte uns. Ich war unter den paar Gasflammen, den tropischen Pflanzen, den Möbeln, den Vorhängen, nach der stillen Straße zu, wo Edwina wohnt, wie mit einer Verrückten allein. Mein Dolchmesser führe ich aus alter Gewohnheit immer bei mir, denn ich fühle Ueberspannung, Haß, Neid rings um mich her. Manche Rivale sind geradezu lächerlich! Unser Verwaltungsrath Cohn von Cohnheim z. B. wechselt mehr als Albumsprüche mit Edwinen. Wenn es die Assessorin Rabe wüßte! Ihre Photographie hat er sich von Edwinen erbeten mit einem Spruch. Auf den Rücken ihres göttlichen, in Cabinetsformat wiedergegebenen Halbprofils hatte sie mit zierlicher Hand geschrieben: „Was Euch Comödie dünkt, ist Andern Tragödie! Du nennst den Scheiternden einen Narren, der Gerechte wird ihn einen Weisen nennen!“ Der Baron machte mit dieser Eroberung auf der Börse Glück. Alles war im Scheitern begriffen und Jeder konnte nun weise sein. Man bewunderte die Tiefe des Spruches. Der glückliche Besitzer that sogar, als läge diesen Zeilen eine Leidenschaft für seine Person zum Grunde. Er hatte lange <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0054" n="48"/> Waschfrauennaturen heben zu wollen. Frau Müller ist geistesschwach. Als sie mich fragte: Was wollen Sie eigentlich hier? hatte ich die Geistesgegenwart zu sagen: Das frage ich Sie! Wer sind Sie? Edwina kam dazwischen und trennte uns. Ich war unter den paar Gasflammen, den tropischen Pflanzen, den Möbeln, den Vorhängen, nach der stillen Straße zu, wo Edwina wohnt, wie mit einer Verrückten allein. Mein Dolchmesser führe ich aus alter Gewohnheit immer bei mir, denn ich fühle Ueberspannung, Haß, Neid rings um mich her. Manche Rivale sind geradezu lächerlich! Unser Verwaltungsrath Cohn von Cohnheim z. B. wechselt mehr als Albumsprüche mit Edwinen. Wenn es die Assessorin Rabe wüßte! Ihre Photographie hat er sich von Edwinen erbeten mit einem Spruch. Auf den Rücken ihres göttlichen, in Cabinetsformat wiedergegebenen Halbprofils hatte sie mit zierlicher Hand geschrieben: „Was Euch Comödie dünkt, ist Andern Tragödie! Du nennst den Scheiternden einen Narren, der Gerechte wird ihn einen Weisen nennen!“ Der Baron machte mit dieser Eroberung auf der Börse Glück. Alles war im Scheitern begriffen und Jeder konnte nun weise sein. Man bewunderte die Tiefe des Spruches. Der glückliche Besitzer that sogar, als läge diesen Zeilen eine Leidenschaft für seine Person zum Grunde. Er hatte lange </p> </div> </body> </text> </TEI> [48/0054]
Waschfrauennaturen heben zu wollen. Frau Müller ist geistesschwach. Als sie mich fragte: Was wollen Sie eigentlich hier? hatte ich die Geistesgegenwart zu sagen: Das frage ich Sie! Wer sind Sie? Edwina kam dazwischen und trennte uns. Ich war unter den paar Gasflammen, den tropischen Pflanzen, den Möbeln, den Vorhängen, nach der stillen Straße zu, wo Edwina wohnt, wie mit einer Verrückten allein. Mein Dolchmesser führe ich aus alter Gewohnheit immer bei mir, denn ich fühle Ueberspannung, Haß, Neid rings um mich her. Manche Rivale sind geradezu lächerlich! Unser Verwaltungsrath Cohn von Cohnheim z. B. wechselt mehr als Albumsprüche mit Edwinen. Wenn es die Assessorin Rabe wüßte! Ihre Photographie hat er sich von Edwinen erbeten mit einem Spruch. Auf den Rücken ihres göttlichen, in Cabinetsformat wiedergegebenen Halbprofils hatte sie mit zierlicher Hand geschrieben: „Was Euch Comödie dünkt, ist Andern Tragödie! Du nennst den Scheiternden einen Narren, der Gerechte wird ihn einen Weisen nennen!“ Der Baron machte mit dieser Eroberung auf der Börse Glück. Alles war im Scheitern begriffen und Jeder konnte nun weise sein. Man bewunderte die Tiefe des Spruches. Der glückliche Besitzer that sogar, als läge diesen Zeilen eine Leidenschaft für seine Person zum Grunde. Er hatte lange
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