Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Belügen hätte man den Alten nicht dürfen. Der Zufall hatte gewollt, daß er die Ankunft des Briefes, den La Rose überbracht hatte, beobachten konnte. Er las den Brief sogleich, als er die Frauen beim Weinen antraf. Und sonderbar, er polterte nicht. Er glich nicht dem alten Miller in "Kabale und Liebe", der die Schuld auf Louisens schmachtende Augen wirft; er sagte weich: Ueberlegt, bis ich wiederkomme. Ich werde dem Franzosen unten sagen, der Brief würde geschickt werden.

La Rose war schon gegangen.

Schon nach einigen Stunden zurückgekehrt, wollte er noch Nichts von den Seelenkämpfen wissen, die inzwischen stattgefunden hatten, sondern er berichtete: Der gute Kerl lebt noch! Acht Tage wird er's noch machen! Ja, ändere nur Einer, setzte er beziehungsreich hinzu, in späteren Jahren seine Lebensweise und bringe sich um seine Kräfte. Er wird dran glauben müssen! Ein Steinarbeiter, der ohnehin seine Lunge und den Magen ruinirt, will plötzlich nur Gemüse essen! Paßt denn Eines für Alle, ihr Neuerer? Alles hat sein eignes Erdreich! Auch die Bildhauerstöchter!

Dann stellte er den Stock weg und sagte: Sind nun die Wasserflüsse Babylons verlaufen? Die trauernden Juden sind jetzt wieder durch den Krach in die Mode gekommen, wenn auch nicht die gemalten. Seit dreißig

Belügen hätte man den Alten nicht dürfen. Der Zufall hatte gewollt, daß er die Ankunft des Briefes, den La Rose überbracht hatte, beobachten konnte. Er las den Brief sogleich, als er die Frauen beim Weinen antraf. Und sonderbar, er polterte nicht. Er glich nicht dem alten Miller in „Kabale und Liebe“, der die Schuld auf Louisens schmachtende Augen wirft; er sagte weich: Ueberlegt, bis ich wiederkomme. Ich werde dem Franzosen unten sagen, der Brief würde geschickt werden.

La Rose war schon gegangen.

Schon nach einigen Stunden zurückgekehrt, wollte er noch Nichts von den Seelenkämpfen wissen, die inzwischen stattgefunden hatten, sondern er berichtete: Der gute Kerl lebt noch! Acht Tage wird er’s noch machen! Ja, ändere nur Einer, setzte er beziehungsreich hinzu, in späteren Jahren seine Lebensweise und bringe sich um seine Kräfte. Er wird dran glauben müssen! Ein Steinarbeiter, der ohnehin seine Lunge und den Magen ruinirt, will plötzlich nur Gemüse essen! Paßt denn Eines für Alle, ihr Neuerer? Alles hat sein eignes Erdreich! Auch die Bildhauerstöchter!

Dann stellte er den Stock weg und sagte: Sind nun die Wasserflüsse Babylons verlaufen? Die trauernden Juden sind jetzt wieder durch den Krach in die Mode gekommen, wenn auch nicht die gemalten. Seit dreißig

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0135" n="129"/>
        <p> Belügen hätte man den Alten nicht dürfen. Der Zufall hatte gewollt, daß er die Ankunft des Briefes, den La Rose überbracht hatte, beobachten konnte. Er las den Brief sogleich, als er die Frauen beim Weinen antraf. Und sonderbar, er polterte nicht. Er glich nicht dem alten Miller in &#x201E;Kabale und Liebe&#x201C;, der die Schuld auf Louisens schmachtende Augen wirft; er sagte weich: Ueberlegt, bis ich wiederkomme. Ich werde dem Franzosen unten sagen, der Brief würde geschickt werden.</p>
        <p>La Rose war schon gegangen.</p>
        <p>Schon nach einigen Stunden zurückgekehrt, wollte er noch Nichts von den Seelenkämpfen wissen, die inzwischen stattgefunden hatten, sondern er berichtete: Der gute Kerl lebt noch! Acht Tage wird er&#x2019;s noch machen! Ja, ändere nur Einer, setzte er beziehungsreich hinzu, in späteren Jahren seine Lebensweise und bringe sich um seine Kräfte. Er wird dran glauben müssen! Ein Steinarbeiter, der ohnehin seine Lunge und den Magen ruinirt, will plötzlich nur Gemüse essen! Paßt denn Eines für Alle, ihr Neuerer? Alles hat sein eignes Erdreich! Auch die Bildhauerstöchter! </p>
        <p>Dann stellte er den Stock weg und sagte: Sind nun die Wasserflüsse Babylons verlaufen? Die trauernden Juden sind jetzt wieder durch den Krach in die Mode gekommen, wenn auch nicht die gemalten. Seit dreißig
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0135] Belügen hätte man den Alten nicht dürfen. Der Zufall hatte gewollt, daß er die Ankunft des Briefes, den La Rose überbracht hatte, beobachten konnte. Er las den Brief sogleich, als er die Frauen beim Weinen antraf. Und sonderbar, er polterte nicht. Er glich nicht dem alten Miller in „Kabale und Liebe“, der die Schuld auf Louisens schmachtende Augen wirft; er sagte weich: Ueberlegt, bis ich wiederkomme. Ich werde dem Franzosen unten sagen, der Brief würde geschickt werden. La Rose war schon gegangen. Schon nach einigen Stunden zurückgekehrt, wollte er noch Nichts von den Seelenkämpfen wissen, die inzwischen stattgefunden hatten, sondern er berichtete: Der gute Kerl lebt noch! Acht Tage wird er’s noch machen! Ja, ändere nur Einer, setzte er beziehungsreich hinzu, in späteren Jahren seine Lebensweise und bringe sich um seine Kräfte. Er wird dran glauben müssen! Ein Steinarbeiter, der ohnehin seine Lunge und den Magen ruinirt, will plötzlich nur Gemüse essen! Paßt denn Eines für Alle, ihr Neuerer? Alles hat sein eignes Erdreich! Auch die Bildhauerstöchter! Dann stellte er den Stock weg und sagte: Sind nun die Wasserflüsse Babylons verlaufen? Die trauernden Juden sind jetzt wieder durch den Krach in die Mode gekommen, wenn auch nicht die gemalten. Seit dreißig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-02-19T11:57:26Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-02-19T11:57:26Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-3<a>) (2014-02-19T11:57:26Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/135
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/135>, abgerufen am 22.11.2024.