Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.Stich versetzte: Ich begreife nicht, Sie glauben mit Ihrem seligen Regierungsrath Alles durchsetzen zu können! Warum haben Sie sich nicht um eine Stelle als Oberhofmeisterin bei Hofe beworben? Frau Brennicke sah damals das schöne reiche Mädchen nur groß an. Aber Edwinas Augen konnten Medusa-Augen werden. "Ich erkläre Ihnen", fuhr sie mit fester Stimme und kreideweiß im Antlitz fort, "daß ich Ihnen volle Freiheit zu reden und zu declamiren lasse, im Handeln aber dulde ich nicht den geringsten Widerspruch, oder wir sind geschiedene Leute!" Das war, als wenn der Tamtam in der großen Oper seine Meinung abgiebt. Gewöhnlich bekommt die Handlung dann eine andere Wendung. Mutter Brennicke schwieg. War ihr doch das Reden und Declamiren gelassen! Letzteres bezog sich auf ihre wunderbare, ausnehmende ästhetische Bildung! Die Regierungsräthin war groß im Drapiren ihres nicht eben einen Raphael begeisternden Kopfes und ihrer kaum grade zu nennenden Schultern mit allerlei Wollenstoff und dann mit dem Heraustreten eines enormen Vorraths von Romanzen und Balladen, mit denen sie den polnischen Domprobst, der etwas Deutsch verstand, immer zum sanften Schlummer gebracht zu haben schien. Im Anordnen der neuen Wohnung, die ein ungeheures Stich versetzte: Ich begreife nicht, Sie glauben mit Ihrem seligen Regierungsrath Alles durchsetzen zu können! Warum haben Sie sich nicht um eine Stelle als Oberhofmeisterin bei Hofe beworben? Frau Brennicke sah damals das schöne reiche Mädchen nur groß an. Aber Edwinas Augen konnten Medusa-Augen werden. „Ich erkläre Ihnen“, fuhr sie mit fester Stimme und kreideweiß im Antlitz fort, „daß ich Ihnen volle Freiheit zu reden und zu declamiren lasse, im Handeln aber dulde ich nicht den geringsten Widerspruch, oder wir sind geschiedene Leute!“ Das war, als wenn der Tamtam in der großen Oper seine Meinung abgiebt. Gewöhnlich bekommt die Handlung dann eine andere Wendung. Mutter Brennicke schwieg. War ihr doch das Reden und Declamiren gelassen! Letzteres bezog sich auf ihre wunderbare, ausnehmende ästhetische Bildung! Die Regierungsräthin war groß im Drapiren ihres nicht eben einen Raphael begeisternden Kopfes und ihrer kaum grade zu nennenden Schultern mit allerlei Wollenstoff und dann mit dem Heraustreten eines enormen Vorraths von Romanzen und Balladen, mit denen sie den polnischen Domprobst, der etwas Deutsch verstand, immer zum sanften Schlummer gebracht zu haben schien. Im Anordnen der neuen Wohnung, die ein ungeheures <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0086" n="80"/> Stich versetzte: Ich begreife nicht, Sie glauben mit Ihrem seligen Regierungsrath Alles durchsetzen zu können! Warum haben Sie sich nicht um eine Stelle als Oberhofmeisterin bei Hofe beworben?</p> <p>Frau Brennicke sah damals das schöne reiche Mädchen nur groß an. Aber Edwinas Augen konnten <ref xml:id="TEXTMedusaAugen" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLMedusaAugen">Medusa-Augen</ref> werden. „Ich erkläre Ihnen“, fuhr sie mit fester Stimme und kreideweiß im Antlitz fort, „daß ich Ihnen volle Freiheit zu reden und zu declamiren lasse, im Handeln aber dulde ich nicht den geringsten Widerspruch, oder wir sind geschiedene Leute!“ Das war, als wenn <ref xml:id="TEXTderTamtam" type="editorialNote" target="NSer3E.htm#ERLderTamtam">der Tamtam</ref> in der großen Oper seine Meinung abgiebt. Gewöhnlich bekommt die Handlung dann eine andere Wendung.</p> <p>Mutter Brennicke schwieg. War ihr doch das Reden und Declamiren gelassen! Letzteres bezog sich auf ihre wunderbare, ausnehmende ästhetische Bildung! Die Regierungsräthin war groß im Drapiren ihres nicht eben einen Raphael begeisternden Kopfes und ihrer kaum grade zu nennenden Schultern mit allerlei Wollenstoff und dann mit dem Heraustreten eines enormen Vorraths von Romanzen und Balladen, mit denen sie den polnischen Domprobst, der etwas Deutsch verstand, immer zum sanften Schlummer gebracht zu haben schien. Im Anordnen der neuen Wohnung, die ein ungeheures </p> </div> </body> </text> </TEI> [80/0086]
Stich versetzte: Ich begreife nicht, Sie glauben mit Ihrem seligen Regierungsrath Alles durchsetzen zu können! Warum haben Sie sich nicht um eine Stelle als Oberhofmeisterin bei Hofe beworben?
Frau Brennicke sah damals das schöne reiche Mädchen nur groß an. Aber Edwinas Augen konnten Medusa-Augen werden. „Ich erkläre Ihnen“, fuhr sie mit fester Stimme und kreideweiß im Antlitz fort, „daß ich Ihnen volle Freiheit zu reden und zu declamiren lasse, im Handeln aber dulde ich nicht den geringsten Widerspruch, oder wir sind geschiedene Leute!“ Das war, als wenn der Tamtam in der großen Oper seine Meinung abgiebt. Gewöhnlich bekommt die Handlung dann eine andere Wendung.
Mutter Brennicke schwieg. War ihr doch das Reden und Declamiren gelassen! Letzteres bezog sich auf ihre wunderbare, ausnehmende ästhetische Bildung! Die Regierungsräthin war groß im Drapiren ihres nicht eben einen Raphael begeisternden Kopfes und ihrer kaum grade zu nennenden Schultern mit allerlei Wollenstoff und dann mit dem Heraustreten eines enormen Vorraths von Romanzen und Balladen, mit denen sie den polnischen Domprobst, der etwas Deutsch verstand, immer zum sanften Schlummer gebracht zu haben schien. Im Anordnen der neuen Wohnung, die ein ungeheures
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/86 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/86>, abgerufen am 16.02.2025. |